Österreichische Innenpolitik: Die große Überhitzung

Seit letztem Sommer herrschen in der österreichischen Politiklandschaft Sauna-Temperaturen. Insbesondere die Präsidentschaftswahl hat die Sache nun unerträglich gemacht.

Im Moment geht es um kaum etwas anderes als Tagespolitik. Wie rechts beziehungsweise rechtsextrem ist Hofer, hat Hofer hier gelogen, hat er da gelogen, was ist NLP, was ist „schwarze“ oder „verbotene“ Rhetorik, würde er einen Präsidentenputsch herbeiführen, ist Van der Bellen zu alt, wer spricht sich für ihn aus, würde er Strache angeloben, würde er TTIP unterschreiben, was darf der Präsident überhaupt, wie kann man ihn absetzen,… eine Fülle an Fragen, die allerorts, ob im Wirtshaus, beim Familienessen oder den unendlichen Weiten des Web 2.0 emsig diskutiert werden.

Das hohe Interesse an der Politik kann man durchaus positiv werten. Vorbei die politische Lethargie, die Menschen wachen auf, interessieren sich, eine hohe Wahlbeteiligung erhöht die Legitimität des demokratischen Vorgangs und des Systems als solchen. Der politisch mündige Bürger als zoon politikon wie man es bei Aristoteles findet.

Man kann darin aber auch ein Anzeichen dafür sehen, dass etwas nicht stimmt. Ein hoher Grad politischer Erregung ist eine Folge von breiter Verunsicherung, von Sorgen und damit einhergehender Polarisierung. Die Suche nach Antworten, nach Abhilfe und damit letzten Endes der Politik und ihren Protagonisten.

Solange es den Menschen gut geht, interessieren sich viele nur mäßig für Politik. Gehen mitunter gar nicht wählen und wenn, dann ohne sich im Detail mit Wahlprogrammen, Analysen und Hintergrundberichten aller Art herumzuschlagen. Wählen nach Gefühl, wählen, weil die eine Partei für die Alten da ist, die andere für konservative Werte, eine andere gegen,… na und so weiter. Das muss nicht bedingt schlecht sein. Wenn „im Großen und Ganzen“ alles passt, kann man die Politik eben Politik sein lassen und mit Denkmustern der Marke „die machen sowieso, was sie wollen“ ins Aufmerksamkeitsexil verbannen.

Dass die letzten Wochen von Fernsehauftritten, teils ziemlich niveaulosen Diskussionen, Streitereien, politischen Salons aller Art, von denen es gefühlte 20 jeden Abend gibt (man muss in Wien jedenfalls nicht mehr für sein Abendessen bezahlen, wenn man nicht will) und unzähligen Artikeln gekennzeichnet waren, beunruhigt. An so manchem Arbeitsplatz, bei so manchem Familienessen, in so mancher zwischenmenschlicher Beziehung wurde nicht mehr diskutiert, sondern gestritten. Politik ist ein Reizthema, sobald man die wohlig-warme Bubble verlässt und oft bereits davor. Dann wird unterstellt und hineininterpretiert, wer Reizwörter verwendet, verkommt schnell zur Projektionsfläche für sehr viel mehr, zum Repräsentanten eines ganzen Sets unliebsamer Meinungen. Da weicht die Sachlichkeit schnell der Wut. Eris, die Göttin der Zwietracht hat den Diskurs zerstört, sofern er jemals wirklich funktioniert hat.

Bleibt, wenn wir schon bei der griechischen Mythologie sind, die Hoffnung; wenn es nach der Geschichte von Pandora geht, bleibt sie in ihrer Büchse, die ja geschlossen wird, bevor sie entweichen kann. Andererseits ist stirbt sie im Volksmund bekanntlich zuletzt. Bleibt zu hoffen, dass nach dem Präsidentschaftswahlkampf ein wenig Ruhe einkehrt. Und überhaupt die nebulöse Gesamtsituation ein wenig abkühlt. Irgendwann muss man aus der Sauna wieder raus – vor allem dann, wenn viele beim beim Aufguß übertreiben.

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fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 20.05.2016 18:47:41

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