Der Konflikt in Syrien hat mit dem verstärkten russischen Engagement eine neue Dimension erreicht. Die Folgen sind noch nicht absehbar, viele sind darüber erfreut, dass endlich "aufgeräumt" wird – ein Ende der Herrschaft Assads, das lange verfolgte Ziel der USA und ihrer Partner, scheint zumindest vorläufig in weite Ferne gerückt. Die Fragen, ob es das wert war und wie man sich ein Syrien ohne Assad vorgestellt hatte, sind indes drängender denn je.
Regime Change
Im August 2011 haben Barack Obama und Catherine Ashtonunter Berufung auf die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und die erfolglosen diplomatischen Bemühungen explizit das Ende der Herrschaft Assads gefordert. Inoffiziell ging es freilich nicht zuletzt darum, den Iran und Russland zu schwächen. Erst jüngst wurde bekannt, dass ein von Russland 2012 vorgelegter Friedensplan zurückgewiesen wurde, weil man der Meinung war, Assads Sturz wäre ohnehin nur noch eine Frage der Zeit. Heute, vier Jahre später, hat "der Westen" immer noch nicht bekommen was er wollte.
Um Assad zu stürzen wurden unterschiedliche Gruppierungen ausgebildet und mit Waffen beliefert. Offiziell handelte es sich stets um „moderate“ Rebellen. Allerdings ist eine derartige Typisierung gezwungenermaßen relativ, vor allem, wenn Gruppierungen wie der Islamische Staat oder die al-Nusra Front als Vergleichsbasis dienen. Hinzu kommt, dass die Unterstützung beziehungsweise ihre Empfänger militärisch nicht sonderlich effektiv waren, oftmals konnten kämpferisch überlegene fundamentalistische Gruppen deren Waffen erbeuten. Gerade eben mussten die USA ein dementsprechendes Ausbildungsprogramm teilweise beenden, da einige der 75 von den USA ausgebildeten Kämpfer Fahrzeuge, Waffen und Munition an die al-Nusra Front übergeben hatten. Ähnliches war bereits im Juli sowie im Vorjahr passiert. Zu der bis Jahresende ursprünglich geplanten Ausbildung von 5000 Kämpfern wird es dementsprechend nicht kommen.
Außerdem steht der Vorwurf einer bewussten Unterstützung radikaler sunnitischer, hier wiederum oftmals salafistischer Gruppierungen, aus denen letzten Endes der Islamische Staat hervorgegangen ist, im Raum. Gemäß der Maxime „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ sei die Charakterisierung als „moderat“ dementsprechend flexibel angewendet worden. Durchaus denkbar, schließlich weiß man spätestens seit der Unterstützung der Contras in Nicaragua oder der Mudschaheddin in Afghanistan, dass Anspruch und Wirklichkeit bei der Auswahl von Partnern durch die USA oft weit auseinanderklaffen. Aber wer weiß, vielleicht hat Assad auch die Entstehung des Islamischen Staats gefördert oder zumindest bewusst zugelassen, um sich als geringeres Übel zu präsentieren. Auf dem syrischen Scherbenhaufen gedeihen die erschütterndsten und leider durchaus realistischen Theorien, die Wahrheit wird – wie bei jedem Krieg – erst später ans Licht kommen.
Man muss sich mehr denn je fragen, ob es in Syrien auch ohne Intervention des Westens zu einem Konflikt gekommen wäre. Oder er zumindest weniger Blut gekostet hätte. Das Land befand sich im August 2011 noch nicht im Kriegszustand, die syrische Mitgliedschaft in der Arabischen Liga war noch nicht suspendiert. Die Losung „Assad muss gehen“ hat allerdings jegliche Aussicht auf einen Kompromiss verunmöglicht. Sollten die Vorwürfe stimmen, hat man dazu einen sich lange hinziehenden Konflikt auf Basis einer höchst unheilvollen Allianz mit äußerst fragwürdigen Kräften bewusst in Kauf genommen.
Syrien ohne Assad?
Wie die USA und ihre Verbündeten die Lage in Syrien eingeschätzt haben, lässt sich von außen nur schwer feststellen. Die zentrale und bis heute ungeklärte Frage besteht darin, wie man sich das Land nach dem Sturz Assads vorgestellt hatte. Sofern man wirklich dachte, dass es sich zu einer liberalen Demokratie entwickeln würde, wäre eine derartige Naivität höchst verwunderlich bis besorgniserregend. Anderseits könnte nur der zynischste Geopolitiker die wohl realistischste Option, ein fundamentalistisch-wahhabistisches Regime unter der Fuchtel Saudi Arabiens, ernsthaft gutheißen.
Bleibt offen, ob der hohe Preis für den Abgang Assads von Anfang an absehbar war oder aufgrund des relativ einfachen Sturzes Gaddafis übertriebener Optimismus vorherrschte. Jedenfalls dürfte man die syrische Armee unterschätzt beziehungsweise Assad zu früh (jedenfalls politisch) totgeglaubt haben. Dabei eventuell mit einem weniger weitgehendem Eingreifen von Seiten des Iran und Russlands gerechnet. Den Aufstieg des Islamischen Staats nicht vorhergesehen, jedenfalls nicht in dieser Form. Unabhängig davon: Die westliche Strategie, so es eine gegeben hat, ist entweder phänomenal gescheitert oder jedenfalls – milde ausgedrückt – ziemlich fragwürdig. Kein Wunder, dass viele das verstärkte russische Engagement und eine etwaige Rückkehr zum status quo ante begrüßen.