Vor wenigen Tagen wurde auf FischundFleisch eine der gegenwärtig brennendsten Fragen aufgeworfen: Warum schafft die Welt es nicht, in Syrien Frieden herzustellen und, damit einhergehend, warum dauert das so lange?
Ich beschäftige mich von Anfang an mit diesem Konflikt, nicht zuletzt aus beruflichen Gründen. Habe unzählige Diskussionen geführt, mit Studenten, Praktikern, Freunden, Laien. Das Thema lässt spätestens seitdem der Konflikt an Europas und damit an Österreichs Türen geklopft hat, kaum noch jemanden kalt. Syrien, das war vielleicht anfangs weit weg, mittlerweile ist es sehr nah.
Die eingangs genannte fundamentale Frage gerät dabei immer mehr in Vergessenheit. Dass Syrien einmal ein friedliches, schönes Land war, ist heute kaum noch vorstellbar. Es scheint fast, als hätte man sich damit abgefunden, dass die Welt nun einmal so ist, wie sie ist. Womit der Krieg als unvermeidbare anthropologische Grundkonstante gilt, die man vielleicht einhegen, ab und an auch verhindern, aber niemals ganz beseitigen kann. Auch zwei Jahrhunderte nach Immanuel Kants mitunter bedeutsamster Schrift Zum Ewigen Frieden sind wir von einem solchen nach wie vor weit entfernt.
Warum Krieg?
Die Gründe für den Ausbruch und die lange Dauer des Konflikts sind bis heute nicht restlos geklärt. Eine Lesart geht von einer Erhebung des unzufriedenen Volkes aus, die brutal und völlig unverhältnismäßig niedergeschlagen wurde. Wobei religiös-fanatisierte und sich aus zahlreichen ausländischen Kämpfern zusammensetzende Gruppen erst relativ spät die Bühne betreten haben sollen. Zunächst viele Angehörige der syrischen Armee ausgetreten, um al-Assad zu stürzen. Später, mit Fortschreiten der Kampfhandlungen wuchs auch der Druck auf den Westen und umliegende Staaten, die Gegner al-Assads zu unterstützen.
Anderen zufolge bestand die weitgehende Einmischung von außen bereits äußerst früh. Allen voran Saudi-Arabien soll dabei seine Finger im Spiel gehabt haben. Schließlich würde der Sturz Bashar al-Assads und die Etablierung einer sunnitischen, möglicherweise salafistischen Regierung mit enger Verbindung zu Saudi-Arabien den Iran entschieden schwächen. Was auch im Interesse der westlichen Verbündeten ist, allen voran der USA, aber auch Israels, das im Iran immer noch den Hauptfeind in der Region sieht. Eben jener Iran leistet – gemeinsam mit Russland, das bereits seit den 1970er Jahren eng mit Syrien verbunden ist – maßgebliche Unterstützung für al-Assad. Was wiederum unter anderem daran liegt, dass al-Assad und das syrische Territorium für die Versorgung der Hisbollah (und umgekehrt) unerlässlich sind. Zuletzt sei auch die Türkei genannt, die gegen die syrischen Kurden (genauer gesagt die YPG vorgeht), weil sie diese als verlängerten Arm der PKK ansieht. Daneben hat die Türkei bereits im Juni 2011 eine Konferenz der syrischen Opposition auf ihrem Gebiet zugelassen, seit dem Frühling 2012 unterstützt sie den gewaltsamen Umsturz al-Assads.
Kurzum: In Syrien herrscht kein Bürgerkrieg, sondern ein Stellvertreterkrieg. Zentraler Zankapfel dabei ist der Verbleib al-Assads beziehungsweise die Frage, welchen Staaten eine künftige syrische Regierung eher gewogen wäre.
Zur Bedeutung des "Islamischen Staats"
Der „Islamische Staat“ ist dabei eine maßgebliche Facette, aber nicht unbedingt entscheidend. Offiziell ist er der Feind, auf den sich alle einigen können, eine Art hostis humani generis. Inoffiziell ist die Sache wesentlich komplexer, was auch die vielen im Raum stehenden Vorwürfe erklärt: Hat Syrien ihn bewusst großwerden lassen, um als geringeres Übel dazustehen? Wird oder wurde er von der Türkei unterstützt? Was ist mit den USA, war das Entstehen des „Islamischen Staats“ wirklich nicht absehbar? Wie so ziemlich jeder Krieg ist auch jener in Syrien ein idealer Nährboden für Gerüchte, Mutmaßungen – manche berechtigt, manche eher weniger – und Verschwörungstheorien. Das erste Opfer des Krieges ist immer noch die Wahrheit; wer diese will, muss sich zumeist lange gedulden und selbst dann gibt es oftmals keine Gewissheit.
Selbst wenn der „Islamische Staat“ irgendwann besiegt sein sollte, ist der Frieden in Syrien weit entfernt. Wobei offen bleibt, ab wann man überhaupt von einem „Sieg“ sprechen kann – am ehesten, wenn er seine Gebiete verloren hat und nur noch klandestin agieren kann beziehungsweise allenfalls kleinere Landstriche kontrolliert.
Wer ist "die Welt"?
Womit wir zum Hauptpunkt kommen: Es gibt „die Welt“ beziehungsweise eine „internationale Gemeinschaft“ höchstens in Ausnahmefällen. Manchmal gibt es Themen, bei denen wirklich so etwas ähnlich wie universale Einigkeit herrscht. Die Situation in Libyen 2011 war beispielsweise relativ nahe dran, Gaddafi war außenpolitisch in der Tat weitgehend isoliert, konnte also auf keine maßgebliche Unterstützung von außen bauen. Dazu hat er sich in seiner 42jährigen Amtszeit zu viele Feinde gemacht.
Anders im Konflikt in Syrien, der wie kein anderer von den nach wie vor dominanten einander widerstreitenden Interessen geopolitischer, wirtschaftlicher, ethnischer und religiöser Natur zeugt. Keine der involvierten Parteien will klein beigeben, sobald eine ihre Unterstützung erhöht, ziehen andere nach. Keine guten Aussichten für den unter diesen Umständen leider utopischen Wunsch nach Frieden.