Irgendwas stimmt nicht in Wien. Hinfort die heilige Ruhe vergangener Zeiten, mag sie auch nur eine scheinbare gewesen sein. Der Praterstern ist schon längst Chicago geworden, die U6 mitsamt den dazugehörigen Stationen sind ähnlich berüchtigt wie die New Yorker U-Bahn in den 1980ern und in der gestrigen Nacht wurde am Brunnenmarkt eine Frau mit einer Eisenstange erschlagen (also just in jener Gegend, die seit der frappanten Zunahme öffentlichen Rauschgifthandels in Sachen Sicherheitsgefühl eine Art Cousin vom Praterstern ist).

Von schon zur Routine gewordenen Meldungen über die höchste Lebensqualität der Welt verwöhnt, fühlten die Wiener sich lange wohl. Natürlich haben sie gejammert, aber das gehört bekanntlich zu ihrem Naturell. Am Ende des Tages war man dennoch stolz darauf, dass es in Wien keine Ghettos gibt, man sich also in der ganzen Stadt grundsätzlich angstfrei bewegen kann. Klar gab es früher auch Berichte über Gewalttaten und „Gangs“ – man denke nur an die Kultdoku „running wild“ (wer 90er-Nostalgie mag: sie ist auf Youtube in voller Länge verfügbar). Aber irgendwie scheint es sich bei den Schreckensmeldungen der letzten Monate um eine neue, andere Dimension zu handeln. „Wien ist drauf und dran, leicht grindig zu werden“ schrieb Christian Ortner vor kurzem in der Presse – und ich wage zu behaupten, dass viele das ähnlich sehen.

Die Gründe für die Hochkonjunktur der Ängste und Sorgen sind vielfältig. Der Schatten allgemeiner Bedrohung, den die Flüchtlingskrise wirft. Die Behörden wirken im Umgang mit Intensivtätern – man lese nur die Liste von Straftaten des „amtsbekannten“ Tatverdächtigen vom Brunnenmarkt – heillos überfordert. Der Eindruck allgemeiner Machtlosigkeit von Polizei und Justiz, denen immer weniger Menschen zutrauen, die Sicherheit zu gewährleisten. Offizielle Zahlen, mögen sie auch noch so positiv und konträr zur medialen Wahrnehmung sein, werden entweder nicht geglaubt oder stehen unter dem Verdacht der Fehldarstellung – „trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“ hört man dieser Tage besonders oft. Und natürlich die altbekannte Rolle der Medien, verstärkt durch Web 2.0. Dann bekommen Täter auf einmal ein Gesicht, vielleicht gibt es sogar ein Video von einer Massenschlägerei, erschreckende Geschichten werden weiterverbreitet und bekommen noch mehr Leben eingehaucht als durch die bloße Schilderung. Ich war selbst gestern Abend am Brunnenmarkt und habe den hinlänglich bekannten Tatverdächtigen noch gesehen, mittlerweile weiß ich aus Facebook-Kommentaren seinen Namen und habe auch über WhatsApp von Anrainern so manches erfahren (Foto inklusive) – ein Paradebeispiel für die Verbreitung von Informationen in unserer Zeit (so wie natürlich auch dieser Blogbeitrag).

Die Wiener sind mitunter besonders sensibel, zumal sie einen hohen Standard gewöhnt sind, den niemand aufgeben möchte. Umso mehr schmerzen Nachrichten, die nicht in das schöne Bild passen. Über allem schwebt die Hilflosigkeit und die Möglichkeit eines kontinuierliche Abstiegs vom hohen Sicherheitsross. So wird Wiener Angst zu Wiener Wut. Weswegen viel gefordert wird, schließlich muss man dem Ganzen doch Einhalt gebieten. Gerade heute lässt sich schnell politisches Kleingeld verdienen. Genuine Lösungsansätze in Sachen Sicherheit scheinen allerdings nicht in Sicht. Mitunter wird Wien seinen Ausnahmestatus verlieren und, wenn auch verspätet – so wie allgemein alles erst etwas später nach Wien kommt – zu einer typischen Großstadt: Inklusive zu meidenden Gegenden und dem diffusen Gefühl, in so manchem Unbekannten eine potentielle Gefahr zu sehen – übrigens unabhängig davon, was Zahlen und Verbrechensstatistiken sagen.

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