„Disney hat mir unrealistische Vorstellungen von Liebe vermittelt“ hört und liest man ab und an. Hat der Konzern wohl in der Tat. Die extreme Gegenposition wäre der auch in Sachen Gefühlsleben durchkalkulierte und -kalkulierende Mensch. Ein paar nicht-politische Zeilen zum Oszillieren zwischen zwei Zugängen zur Liebe und allem was man damit eben assoziiert.
„Die Liebe ist ein seltsames Spiel, sie nimmt uns alles doch sie gibt auch viel zu viel“ sang Connie Francis (instant Ohrwurm). Wenn es ein zeitloses Thema gibt, dann all das, was man seit je her unter dem großen Deckmantel des nebulösen Begriffs von der Liebe durchlebt und bespricht.
Liebe, das ist irgendwie alles und nichts. Das ist himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt, Phrasendrescherei und schlechte Filme, bei denen man Handlung die Hauptcharaktere, bei näherer Betrachtung im „echten Leben“ eher fragwürdig finden würde (Love Actually fällt einem da spontan ein).
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Liebe ist auch Gegenstand der Forschung. Und da wird die Sache irgendwie ernüchternd. Fast schon zu ernüchternd. Da liest man etwa vom „Scarcity Principle", also davon, dass knappe Güter nun einmal als wertvoller wahrgenommen werden. Und davon, dass diese simple wirtschaftswissenschaftliche Binsenweisheit auch für den zwischenmenschlichen Bereich gilt. Also der uralte Ratschlag „willst du was gelten, mach dich selten“ durchaus einen empirischen Hintergrund haben könnte, der über reine Vulgärpsychologie hinausgeht. Man kennt das Spielchen ja.
In diesem Zusammenhang spricht der ehemalige Betreiber von „Parship“ und „Elitepartner“ vom „choice overload“, auch bekannt als das „Paradox of Choice“ (you guessed it: Ted Talk-Material): Es besagt, dass uns die Entscheidungsfindung ungleich schwerer fällt, wenn wir zu viel Auswahl haben (weshalb so manches Restaurant bewusst nur wenige Speisen anbietet). Und heute, in Zeiten von Tinder und gefühlten 20 Events pro Tag, besteht nun einmal der Eindruck, dass die/der richtige (whoever/whatever that is) überall lauert, ob virtuell oder auf der ganz realen nächsten Vernissage, momentaner Beziehungsstatus hin oder her. Er muss es wissen, der Mann hat immerhin eine gute halbe Million Menschen zusammengebracht und einen dabei einen sicher nicht ganz uninteressanten Datensatz angehäuft. Dementsprechend nüchtern beschreibt er auch die Tendenzen beim Userverhalten auf den Singlebörsen:
Schon Mitte 20 stellen viele fest, dass der Baukasten doch nicht das große Glück verspricht. Besonders Frauen sind enttäuscht vom Dating. Sie vergrößern damit zwar die Zahl ihrer potenziellen Partner, aber es geht eben nur um Sex. Dann gibt es die, die sich lange genug amüsiert haben und an Familie denken. Sie stellen fest, dass Dating funktioniert, aber dafür zu leichtfüßig ist. Dann sieht man sich nach etwas Ernsthaftem um. Das wird als richtiges Projekt betrieben, oft zu Neujahr. Wir sehen am Jahresbeginn einen dramatischen Anstieg der Zahlen in den Plattformen. Und dann gibt es noch die Frauen ab 35, 40. Sie sehen an ihrem Umfeld, dass Familie jetzt wichtig und der Job nicht alles ist. Dann natürlich die ersten Trennungen. Mit Mitte 40 sind sehr viele schon wieder geschieden. Die gehen auch online.
Da bleibt nicht viel Platz für Romantik. Noch weniger, wenn man besonders markante Feststellungen wie „Die Ressource ‚gebildeter Mann‘ wird knapp“ liest:
Seit etwa zehn Jahren haben wir nun auch noch mehr Uni-Absolventinnen als -Absolventen. Eine größere Menge gebildeter Frauen sucht also mindestens genauso gebildete Männer, die immer seltener werden. Und nicht alle gebildeten Männer suchen gebildete Frauen, sondern oft auch attraktive Frauen mit weniger Bildung.
Damit steht er übrigens nicht alleine da; derartige Feststellungen findet man etwa auch bei der israelischen Soziologin Eva Illouz, die Parallelen zur herkömmlichen Marktwirtschaft zieht und hier eine Erklärung für eine vor allem bei Männern konstatierbare „Bindungsphobie“ (oh was für ein Wort!) verortet. Dabei geht sie sogar so weit, von allgemeiner männlicher Dominanz im sexuellen Feld zu sprechen. Männliche Beziehungsphobie lässt sich laut Illouz so gesehen als Reaktion auf das ihnen zur Verfügung stehende Überangebot verstehen.
Man könnte wohl zahlreiche weitere Beispiele aus dem weiten Feld der Verwissenschaftlichung der Liebe nennen. Und ebenso viele Zeilen dazu niederschreiben. Zumal es beruhigt, wenn Alltagserfahrungen ein empirisches Fundament bekommen.
Dennoch verstört der Gedanke daran, dass Beziehungen und das Ding, das alle Liebe heißen, stets basalen ökonomischen und psychologischen Gesetzmäßigkeiten gehorchen sollen. Wir „die/den richtige/n“ wegen der Illusion eines Überangebots und ständiger möglicher Verfügbarkeit vermeintlich besserer Alternativen nicht finden wollen. Nach ständiger Optimierung in Sachen Beziehung strebend gar mathematische Modelle wie das „Secretary Problem“ auf die Partnerwahl anwenden sollen. Dass Menschen sich selbst als quasi-Humankapital am kalten Liebesmarkt strategisch künstlich verknappen als wären sie Rohstoff-Kartelle. Das sensible Angebot-Nachfrage-Gefüge ein wenig aus der Balance geraten sein soll und unweigerlich entsprechende Folgen nach sich zieht.
Ab und an, auch oder gerade in hochinformierten Gesellschaften könnte, ja sollte also man wohl ein paar Schritte in die Gegenrichtung machen und sich der Analyse entziehen, der Ratio ihren gebührenden, aber eben keinen darüber hinausgehenden Platz einräumen. Also zwar weiterhin Abstand halten zu von Hollywood kreierten, oftmals absurden Mythen und falschen Vorstellungen aller Art, aber im Umkehrschluss die wissenschaftliche Lupe manchmal auf dem Schreibtisch liegen lassen. Manchmal verlangt die Vernunft ja auch Pausen vom Denken, Grübeln und Analysieren; kurz gesagt den bewussten Einsatz von Unvernunft – wenn man sich am Ende aller Tage an irgendwas Schönes bis gar Kitschiges erinnern können will zumindest.