Ärztekammer für OÖ warnt vor Corona-Panik
OÖ. Die Ärztekammer für OÖ fordert einen faktenbasierten, sachlichen und konstruktiven Diskurs über die Corona-Maßnahmen ein. Auf gar keinen Fall bestehe angesichts steigender Zahlen Grund zur Panik – im Gegenteil: Es gäbe keine zweite Welle, sondern einen „technischen Labor-Tsunami“. Gefordert wird unter anderem, das Covid-19-Testungen von Hausärzten angeordnet werden sollen und besonders dringlich: Es dürfe angesichts des generellen Viren-Herbstes nicht auf andere Krankheiten vergessen werden.
„Viren gibt es schon immer und wir leben damit. Das soll keine Bagatellisierung sein, wir wollen aber die Angst herausnehmen und aus der Schockstarre holen“, so Ärztekammer für OÖ-Präsident Peter Niedermoser. Er fordert Verhältnismäßigkeit ein: „Ja, Covid-19 ist eine Krankheit, an der man sterben kann, aber es geht uns um den pragmatischen Zugang. Es braucht eine breitere Diskussion und mehr Meinungen in der Öffentlichkeit, wir wissen jetzt wesentlich mehr als noch vor Beginn der Corona-Pandemie. Wir haben den Eindruck, dass in anderen Ländern wesentlich offener diskutiert wird mit Medizinern.“ Vor allem angesichts der bevorstehenden Grippe-Saison sei Panik der völlig falsche Weg.
„Covid wird bleiben“
„Wir wissen, dass Covid-19 schwerer verläuft als die Grippe. Für saisonale Influenza schätzt man eine Sterberate von 1 bis 2 Verstorbenen auf 1.000 Infizierte, das sind 0,1 bis 0,2 Prozent“, so Franz Allerberger, Facharzt für Klinische Mikrobiologie und Hygiene sowie Leiter des Geschäftsfeldes Öffentliche Gesundheit der AGES.
Aktuelle Studien zu Covid-19 zeigen eine Sterberate um die 0,25 Prozent bis 0,36 Prozent. „Somit ist die Sterblichkeit von Covid-19 zwar höher (circa doppelt so hoch) als die der saisonalen Influenza-Infektionen, aber weit entfernt von der Gefährlichkeit, wie wir sie für die spanische Grippe, SARS oder MERS kennen“, erläutert Allerberger. „Covid wird bleiben und sich zu den bekannten Krankheiten dazugesellen.“
Sinnvolle Hygienemaßnahmen
Einfache Maßnahmen schützen vor Ansteckung – oberster Baustein ist die Händehygiene, dazu die richtige Nies- und Husten-Ettikete und ein Mindestabstand von einem Meter seien ein effektives Bündel, unterstreicht Rainer Gattringer, Leiter des Instituts für Hygiene und Mikrobiologie am Klinikum Wels-Grieskirchen.
Auch sei das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in geschlossenen Räumen ohne Mindestabstände eine gute Maßnahme. Im Freien sei das Tragen eines Mundschutzes nur äußerst selten notwendig. „Die Maßnahmen sollen jedoch immer der Infektionsgefahr angemessen sein.“
„Wir haben keine zweite Welle, sondern einen technischen Labor-Tsunami“
Klare Worte findet Petra Apfalter, Leiterin des Instituts für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin am Ordensklinikum Linz. Es werde zu viel getestet. „Der Test alleine macht noch keine Diagnose, wir brauchen dafür die Einschätzung eines Arztes. Ich appelliere, die Diagnostik wieder der Medizin zu übergeben. Ich appelliere, aufzuhören mit dem kreuz und quer durch die Branchen zu testen!“ Tests würden helfen, Gesunde von Kranken zu unterscheiden, eine Diagnose aber brauche immer eine Zusammenschau von Testergebnis und dem klinischen Kontext.
„So wichtig wie die Technik bei der Suche nach den ursächlichen Erregern ist in der Medizin aber auch die Einschätzung des Patienten, auf den ein Erreger trifft: nicht jeder nachgewiesene Erreger macht alle Menschen krank oder gleich krank“, führt die Medizinerin weiter aus. Wichtig für Sie auch: Das Testergebnis ist eine Momentaufnahme. Es bedeutet per se nicht, dass ein Patient ansteckend ist oder dass jemand krank ist.
In Richtung Politik richtet Apfalter aus: Nur die Fallzahl als Kennzahl herzunehmen greife zu kurz, und die Fallzahl sei auch die ungeeignetste Kennzahl – „die zweite Welle ist der Teststrategie geschuldet, aber nicht den Erkrankungszahlen.“ „Wir behandeln nicht Laborwerte, sondern Patienten“, so auch Niedermoser.
Hausärzte sollen Tests übernehmen
In die gleiche Kerbe schlägt Wolfgang Ziegler, Arzt für Allgemeinmedizin und Kurienobmann-Stellvertreter der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer für OÖ: Es sei nicht sinnvoll, jeden einzelnen Corona-Fall zu detektieren: „Circa 95 Prozent der Infektionen verlaufen asymptomatisch – also ohne Symptome – oder maximal mit Schnupfen, Husten und nur gelegentlich mit Fieber“, erklärt Ziegler.
„Hausärzte können am ehesten beurteilen, welche Infektion vorliegt. Wir müssen zurückkehren zur Behandlung von Patienten. Wünschenswert wäre, zuerst zum Hausarzt zu gehen. Die Patienten müssen wieder in die Ordinationen kommen. Bei Symptomen, die auf andere Viren als das Coronavirus hindeuten, ist es nur sinnvoll, nicht zu testen. Bereits jetzt, weit vor Beginn der Grippesaison, sind in Österreich von 1.000 durchgeführten Tests etwa 977 negativ. Ist der Hausarzt oder Kinderarzt in Zusammenschau aller Fakten und in Kenntnis seines Patienten der Meinung, dass ein Test notwendig ist, wird dieser auch veranlasst.“
Andere Krankheiten nicht vernachlässigen
Zu Beginn seien auch die Hausärzte überrascht gewesen, zudem habe es kaum Schutzausrüstung gegeben. Viele seien nicht mehr gekommen, vor allem mit chronischen Krankheiten. Aber die Hausärzte seien vorbereitet. „Ich warne davor, dass Patienten mit anderen Erkrankungen diese vernachlässigen, aber auch die Vorsorge vernachlässigen - wir müssen hier wieder zur Normalität zurückkehren. Mit dem Sicherheitsmanagement in Ordinationen ist eine Ansteckungsgefahr auch weitgehend minimiert“, so Ziegler.
Auch die Spitäler seien besser denn je gerüstet. „Trauen sie sich in die Krankenhäuser, wir sind gut aufgestellt, niemand muss sich fürchten“, so Rainer Gattringer. Und: Auch bei der Behandlung schwererer Fälle im Krankenhaus auch ohne Medikament habe man gelernt, so Günter Weiss von der Medizinischen Universität Innsbruck. So habe etwa eine nicht-intensivmedizinische Versorgung mit Sauerstoff gute Erfolge erziehlt.
Verhältnismäßigkeit wird eingemahnt
Bei den Maßnahmen müsse immer die Verhältnismäßigkeit im Mittelpunkt stehen, wo sei der Nutzen größer als der Schaden? „Das muss gewährleistet sein“, so auch der Grazer Martin Sprenger, Arzt für Allgemeinmedizin und Public Health Experte.
Das oberste Ziel für die kommende Virensaison sei, den entstehenden gesundheitlichen, psychischen, sozialen und wirtschaftlichen Schaden möglichst kleinzuhalten: „Es kann nicht sein, dass durch die Minimierung eines Risikos alle anderen Krankheiten unter- und fehlversorgt werden.“ Zudem habe es im Frühjahr massive ethische Verletzungen gegebene – spricht er etwa die Isolierung von Bewohnern in Alten- und Pflegeheimen an.
Sprenger: „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel – wir müssen das Virus und Covid als Erkrankung ernst nehmen, aber den Scheinwerfer wegnehmen und alle Krankheiten wieder gleich beleuchten.“
Keine Stigmatisierung
Niedermoser warnt auch einmal mehr vor Covid-Stigmatisierung: Auch wenn ich alle Maßnahmen befolge, kann ich mich anstecken. Das ist keine Sünde und kann jeden treffen!
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