Der türkische Präsident wird immer aggressiver: militärisch in Syrien und Libyen, im Grenzkonflikt mit Griechenland. Erdogan streitet mit Zypern um Bodenschätze, missbraucht Flüchtlinge als politische Waffe und mit der muslimischen Annexion der Hagia Sophia brüskiert er den Westen.

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Es ist eine kulturelle Kriegserklärung. Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee hat ein politisch erklärtes Ziel: Es geht Erdogan um die demonstrative Erniedrigung des Westens. Die Kirche ist ein kulturelles Monument der Christenheit, für 1123 Jahre wichtigstes Gotteshaus der Orthodoxen, 89 Kaiser wurden hier gekrönt und 125 Patriarchen prägten die Geschichte des christlichen Byzanz. Von Athen bis Moskau ist daher das Entsetzen gewaltig. Doch Erdogan feixt von einer islamischen "Auferstehung". Seine Propagandazeitungen lobpreisen die Provokation als "Vorboten zur Befreiung der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem, die Muslime verlassen die Phase des Interregnums". Man befreie sich aus der "Tyrannei der Kreuzfahrer".

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Für naive Gemüter handelt es sich um lächerliche Symbolpolitik. Für optimistische Beobachter will Erdogan in der Krise nur innenpolitische Emotionspunkte sammeln. Tatsächlich aber folgt der Hagia-Sophia-Handstreich einer systematisch-aggressiven Machtpolitik, die Europa offen bedroht.

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Während des Gedenkens an die Eroberung Konstantinopels am 29. Mai wurde in der Hagia Sophia die 48. Sure des Korans (-'Die Eroberung'--) gelesen. Am gleichen Tag kündigte Erdogan Bohrungen im griechischen Meeresgebiet an. Eins der Schiffe der Operation heißt Fatih (-'der Eroberer'--). Erdogan greift militärisch massiv in Syrien und Libyen ein, unterläuft das europäische Waffenembargo und provoziert in Nordafrika militärisch gezielt Frankreich. Obendrein erpresst er Europa mit der "Migrationswaffe", wie Brüsseler Diplomaten warnen. Ist die EU nicht gefügig, öffnet er die Grenzen und schickt abermals Hunderttausende Flüchtlinge nach Europa. Die zynische Rolle des Türstehers der EU lässt er sich mit Milliarden bezahlen. Frankreichs Präsident Macron warnt nun: "Die Nato hat ein Türkei-Problem!"

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Eine Reihe europäischer Staaten - von Österreich bis Griechenland - droht der Türkei nach der Umwandlung der Hagia Sophia mit Konsequenzen. Der türkische Präsident habe einen "historischen Fehler begangen", erklärt der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas. Auf diese Beleidigung der christlichen Welt müsse es eine entsprechende Antwort geben. Die EU, Russland und die USA nannten die Entscheidung bedauerlich. Die russisch-orthodoxe Kirche zeigte sich entsetzt. Papst Franziskus brachte sein Bedauern zum Ausdruck: "Ich denke an die Heilige Sophia und es schmerzt mich sehr."

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Eine Kette von Provokationen

Selbst die besonnenen EU-Politiker wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnen vor einer ernsten Lage. Es sei "sehr schlimm", dass Ankara Menschenrechtsaktivisten "als Terroristen bekämpft" und im Mittelmeer versuche, hegemoniale Interessen entgegen internationalem Recht durchzusetzen. Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee sei zudem "ein Schlag gegen die Allianz der Zivilisationen" und entferne die Türkei weiter von Europa.

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Österreichs Außenminister Schallenberg fordert einen Kurswechsel der EU gegenüber der Türkei. Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee sei nur das "jüngste Glied in einer Kette von Provokationen". Das Verhalten der Türkei in Konflikten wie Libyen oder die von der EU als illegal eingestuften Gasbohrungen vor Zypern zeigten, dass das Land "einfach kein verlässlicher Partner Europas" sei. Schallenberg verlangt von der EU "eine Politik mit starker Kante gegenüber der Türkei". Er bekräftigte Österreichs Position, die Verhandlungen mit dem Land über einen EU-Beitritt zu beenden. "Ich glaube, auch hier sollte die Europäische Union einen klaren Schnitt ziehen." Angesichts der Massenverhaftungen von Regierungskritikern nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei 2016 liegen die Verhandlungen mit der EU bereits auf Eis.

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Für Erdogan geht das Kalkül damit auf. Seine symbolpolitische Aggression macht weltpolitische Schlagzeilen und er kann sich als Erbe des Eroberers von Konstantinopel, Sultan Mehmet II., als Triumphator über das Christentum und als Schutzherr der Muslime inszenieren.

Erdogan will mit der Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee Spannungen zwischen den Religionen bewusst schüren. Metropolit Ilarion vom Moskauer Patriarchat sprach im russischen Staatsfernsehen von einem Schlag gegen die Orthodoxie. "Für alle orthodoxen Christen auf der Welt ist die Hagia Sophia ein wichtiges Symbol, wie der Petersdom in Rom für die Katholiken." Die Umwidmung werde die Beziehung der Türkei zur christlichen Welt belasten.

"Wir haben unsere Grenzen nicht freiwillig akzeptiert"

Gezielt vergiftet werden auch die Beziehungen zu Griechenland. Mit dem Nachbarn streitet sich Erdogan ohnehin schon um Erdgasvorkommen im Mittelmeer und über Migrationsthemen. In Griechenland werden bereits Rufe laut, als Revanche Atatürks Geburtshaus in Thessaloniki zu einem Museum für den Völkermord an den Pontus-Griechen zur Zeit der türkischen Republikgründung zu machen. Die Griechen erinnern daran, dass am Vorabend des Ersten Weltkriegs nur 44 Prozent der 1,1 Millionen Einwohner Konstantinopels Muslime gewesen seien. 23 Prozent waren griechisch-orthodoxe, weitere 18 Prozent armenische Christen. Die meisten von ihnen wurden vertrieben oder umgebracht. Historiker beziffern die Todesopfer im Völkermord an den Pontosgriechen mit Zahlen zwischen 300.000 und 360.000. Heute leben in Istanbul gut 17 Millionen Menschen, unter denen die rund 2500 Griechen eine verschwindend kleine Minderheit sind.

Für Erdogan sind die Völkermorde an Armeniern und Griechen sowie die systematische Tötung von Christen "Lügen des Westens". Er strebt erklärtermaßen die revisionistische Wiederherstellung eines islamistischen Osmanischen Reiches an. "Wir haben unsere Grenzen nicht freiwillig akzeptiert", droht der türkische Präsident seit Jahren und schwadroniert ebenso lange über eine baldige Expansion der Türkei: "Wir müssen überall sein, wo unsere Ahnen waren." Europa hat die osmanischen Großmachtträume bislang als bizarre Kraftmeierei überhört und abgetan. Ab sofort ist das anders.

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Denn die Religionsbehörde Diyanet, die die Islamisierung der Hagia Sophia vorantreibt, hilft Erdogans Expansionsdrang auch im Ausland mit Missionseifer. Europa soll vom Balkan bis Deutschland planvoll islamisiert werden; die Flüchtlinge spielen dabei eine Schlüsselrolle, etwa mit von Ankara finanzierten Moscheebauten, um den geflüchteten Gläubigen in der Fremde "eine Heimat zu schenken". Erdoğans Lieblingszitat dazu stammt aus einem Gedicht von Ziya Gökalp: "Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette." Erdoğan versteht sich innen- wie außenpolitisch als religiöser Kulturkämpfer, als Schutzpatron der islamistischen Expansion.

Die Europa-Strategie zielt zuvorderst auf den Balkan. Neo-Osmanismus mit offen proklamierten Eroberungsgelüsten ist festes Element seiner Parteipropaganda. Eroberungen heiße auch, "die Tore bis Wien zu öffnen für unsere Leute". In muslimisch dominierten Balkanstaaten wie Albanien, Bosnien und dem Kosovo betreibt Erdogan daher osmanische Imperialpolitik mit weichen Mitteln: Investitionen, Finanzhilfen, Kulturarbeit und Religionsförderung. So finanziert die Türkei auf dem Balkan den Bau von muslimischen Schulen, Universitäten, Studentenheimen und Moscheen. Bei einem Besuch in Prizren im Kosovo sagte Erdogan, Kosovo sei die Türkei und die Türkei sei Kosovo. Erdogans Losung dazu lautet: "Die Geschichte ist nicht nur Vergangenheit einer Nation, sondern auch deren Wegweiser für die Zukunft." Die Umwandlung der Hagia Sophia ist darum ein gezieltes historisches Fanal.

Quelle: ntv.de

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