In einem vertieften Rhetorik Seminar gab es die Aufgabenstellung für den nächsten Tag, über ein Thema freier Wahl zu referieren - frei - ohne Hilfsmittel.

Vorgabe: Max. 2 Minute nach dem dialektischen 5 Satz Prinzip!

Und da war es wieder: Das leere Blatt Papier - so muss sich also ein Autor fühlen, wenn er an einem neuen Buch schreibt. Bloß, dass sein Buch möglicherweise hunderte Seiten haben wird. Dagegen wirkt mein Auftrag geradezu lächerlich. Aber da war er wieder: Väterchen Ehrgeiz packte mich am Nacken und gab meinem Gehirn einen Denkanstoß nach dem anderen. Und da war es: MEIN persönliches Thema für den Vortrag: Zivilcourage!

Und ich begann wie wild zu schreiben, was mir anhand eines ganz konkreten Beispiels einfiel. Natürlich gleich von Beginn an zu achten, dass ich NICHT mehr als die vorgegebene Zeit von 2 Minuten überschreite.

Anlassfall war ein Vorfall, der sich bereits vor mehr als 17 Jahren in Wien zugetragen hat. Ein Fußgänger wurde beinahe überfahren, als dieser bei bereits rot geschalteter Ampel die Fahrbahn überquerte. Der Autolenker (welcher stark alkoholisiert war) stoppe sein Auto, stieg aus und prügelte wie wild auf den Fußgänger türkischer Herkunft ein.

Seit diesem Tag hat der Begriff der Zivilcourage eine völlig neue Bedeutung für mich bekommen, über das ich heute gerne näher erzählen werde.

Zivilcourage ist nach wie vor ein Begriff, den nahezu jeder kennt, aber leider viel zu selten auch tatsächlich gelebt wird. Zu groß ist die Angst selbst verletzt zu werden. Zu groß ist die Angst, wenn ich mich öffentlich vor eine Person stelle, diese verteidige oder auch nur verbal unterstützen möchte.

Zurück zu meinem Anlassfall: Da sich der Vorfall unmittelbar vor meinen Augen abspielte, gab es für mich nur EINES: Aussteigen und eingreifen! Alleine durch mein Aussteigen ließ der Alko-Lenker von seinem Opfer ab und brauste davon. Ich konnte dadurch schlimmeres verhindern!

Ja, ich gebe zu: Zivilcourage kann - muss aber nicht immer gefährlich sein. Jeder von uns muss selbst entscheiden:

  • Greife ich und mische mich aktiv ein (mit all den nicht abschätzbaren Konsequenzen) und helfe dadurch gezielt einen Menschen

ODER

  • Schaue ich weg und denke mir: “Das wird schon der nächste für mich erledigen”!

Mein Aufruf hier und jetzt lautet:

Springt über Euren Schatten, fasst all Euren Mut zusammen und helft denjenigen, die in einem bestimmten Moment Eure Hilfe brauchen!

ZIVILCOURAGE IST KEIN WORT - SONDERN EINE TAT!!

Ich brauchte für meinen Vortrag 1 Minute und 50 Sekunden. Nicht ganz 2 Minuten, die 5 anwesende Personen nachdenklich stimmten. Kurze Nachdenkpause - dann Applaus!

Dass ich damals Kronzeuge bei dem Gerichtsprozess war, ich im Gerichtssaal neben dem Ankläger auf der Zeugenbank saß, und dieser mich nach seiner Gefängnisstrafe mehrmals auflauerte - wurde diesmal nicht mehr erwähnt.

Ja, seit diesem Tag hat der Begriff der Zivilcourage eine völlig neue Bedeutung für mich bekommen!

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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