Ich habe ein mulmiges Gefühl im Bauch, wenn von Wirtschaftsflüchtlingen gesprochen wird. Man sagt, das seien solche, deren Leben durch Krieg oder politische Verfolgung im Herkunftsland nicht bedroht ist. Als wäre man durch Hunger oder völlige Aussichtslosigkeit nicht bedroht. Man sagt, wir hätten schon zu viele Arbeitslose, da kämen die Wirtschaftsflüchtlinge noch dazu.
Was aber, wenn gerade diese die Bereitschaft haben, auch die gröbsten Dinge anzupacken, das Potential haben, zu lernen, zu schuften, die Wirtschaft anzukurbeln? Sie alle kommen mit großer Hoffnung zu uns. Die Aussicht auf ein besseres Leben kann Berge versetzen. Sollen wir diese Hoffnung und Einsatzbereitschaft zerstören?
Ein phantastisches Geplapper? Realitätsfremd? Sentimentales, "esotherisches Geschwurbel"?
Der Wohlstand Deutschlands, Frankreichs, Österreichs und vieler anderer europäischer Länder ist zu einem Gutteil den dort beschäftigten Ausländern (Italienern, Griechen, Türken, Nordafrikanern...) und ihren Nachkommen geschuldet. Teile der Nahversorgung Wiens würden ohne türkischstämmige Arbeitende zusammenbrechen. Krankenhäuser ohne Menschen aus den Philippinen, aus Ex-Yugoslawien u.a. müssten aus hygienischen Gründen gesperrt werden, man denke an die Altenversorgung in Ostösterreich durch Slowakinnen, an Tausende Ausländer, die im Tourismus die Milliardeneinnahmen für Österreich sichern, an die Heerscharen arabischer Arbeiter im spanischen Gemüseanbau, dessen Waren in allen großen Supermärkten massiv angeboten werden, ad infinitum. Wirtschaftsflüchtlinge, wohin man schaut.
Manche meinen, die Arbeit würde ohne Ausländer eben dann durch Inländer geleistet werden. Außerdem würde durch Zuzug automatisch die Anzahl der Arbeitslosen steigen. Diese Ansichten halten einer Untersuchung nicht stand. Inländer werden vom AMS per Gesetz bevorzugt beschäftigt. Die Wirtschaft beschäftigt Ausländer sicher nicht einfach aus Menschenfreundlichkeit. (Die Wirtschaftskammer verhält sich bemerkenswert ruhig beim Thema Wirtschaftsflüchtlinge.) Mehr Menschen können mehr erwirtschaften, die Produktivität steigt, die Anzahl der Arbeitsplätze steigt. Die Bereitschaft, neue Betriebe zu gründen, ist bei Zuzüglern prozentuell höher als bei Inländern. Es ist ökonomisch gesehen nicht belastbar, die Gründe für eine stagnierende Wirtschaft so genannten Wirtschaftsflüchtlingen zuzuschreiben.
Übrigens: Die größte Gruppe von Ausländern, die in Österreich arbeiten, sind Deutsche. Klassische Wirtschaftsflüchtlinge, die in ihrem Heimatland keine entsprechende Beschäftigung gefunden haben (und deren Leben im Herkunftsland nicht bedroht ist). 15.000 bis 20.000 Deutsche wandern jährlich nach Österreich aus. Vice versa: Die Anzahl österreichischer Wirtschaftsflüchtlinge in Deutschland ist noch größer.
Vielleicht ist derzeit die Zahl der W.-Flüchtlinge aus administrativen, finanziellen oder psychologischen Gründen zu hoch. Man kann die Aufwendungen für sie aber auch als Investition sehen. Und man kann sie auch als Prävention gegen die Entstehung radikaler und terroristischer Menschen sehen. Was wird aus einem jungen Menschen, der nach lebensgefährlicher Flucht am Ziel seiner Hoffungen ankommt, dort aber abgewiesen wird, und ohne Geldmittel in (s)ein trostloses Herkunftsland zurückgeschickt wird? Wird er sich dann friedlich seinem Schicksal ergeben? Legt er sich dann einfach zum Sterben hin? Wie gesagt, ich habe ein mulmiges Gefühl im Bauch, wenn von Wirtschaftsflüchtlingen gesprochen wird.