Wie Religionen entstehen.

Ein Mann stieg vom Berge und schleppte Tontafeln mit sich. Ein anderer hockte in der Wüste und hatte eine Erleuchtung, ein Dritter eine Erscheinung. Der Nächste bekommt vielleicht gleich eine Voice-Mail von GoogleGott persönlich aufs I-Phone, weiß der Henker. Die Entstehungsgeschichten aller Weltreligionen gleichen sich fatal und noch niemand hat hinterfragt, wieso eigentlich. Vielleicht, weil die Antwort ebenso fatal und noch dazu simpel ist. Sie sind alle erlogen.

Religionen sind Herrschaftsinstrumente. Sie bestehen aus Regeln und Vorschriften um einen Glauben herum und werden genutzt von jenen, die keinen echten Glauben haben, außer den an sich selbst. Was nicht per se schlecht sein muss. Auch Religionen haben ihre guten Seiten, so wie ein Messer eine gute und eine schlechte Seite hat, je nachdem, wer das Heft in der Hand hält. Denn darauf kommt es an.

Aber wie sind sie entstanden?

Darauf gibt die Forschung bisher keine präzise Antwort. Sie ist angewiesen auf Artefakte, Gegenstände, Aufzeichnungen und Überlieferungen. Und in jener fernen Zeit existierte noch keine Schrift, kein Metall, kaum Technik. Was hergestellt wurde, war nicht dauerhaft. Hunderttausende von Jahren muss das her sein. Die großartigen Bilder in der Chauvet-Höhle waren noch längst nicht entstanden.

Nun also, ein Lagerplatz von Steinzeitmenschen, weit in der Vorzeit. Vielleicht haben sie noch nicht einmal Feuer. Aber eine Sprache müssen sie gehabt haben, denn sie konnten Erfahrungen austauschen und Wissen. Wie man bestimmte Pflanzen findet, welches Wild man wie erlegt...es gibt vieles, das der Steinzeitmensch wissen muss, um den nächsten Tag zu überleben. Und noch wichtiger ist es, dieses Wissen an den Nachwuchs und den Mitmenschen weiterzugeben. Doch wozu nun eine Religion?

Der Ursprung ist der Glaube. Glaube ist nicht Wissen, sondern Nichtwissen. Eine Annahme von etwas, dessen genaue Funktion nicht eindeutig zu bestimmen ist. Glaube ist eine Variable unseres Denkens, die es ermöglicht, in einer Welt zu leben und sich ihr anzupassen, ohne dass es nötig ist, diese Welt in ihrer Gänze zu verstehen. Verstehen ist nicht immer gegeben, denn es setzt Wissen voraus, das der Mensch oft nicht haben kann. Hat er aber Wissen nicht, muss der Mensch glauben, sonst geht die Gleichung nicht auf und der Mensch hat keine Vorstellung von seinem nächsten Schritt. Den er aber tun muss, um zu überleben.

Womöglich war der letzte Hauch, den ein Sterbender oft ausstößt, wenn das Leben ihn verlässt, dafür verantwortlich, dass die Menschen an Seelen und Geister zu glauben begannen. Dies und andere, ihnen unerklärliche Erscheinungen, wie aus Sumpfgasen entstehende Irrlichter, phosphoreszierende Pflanzen und Tiere und die unerklärlichen Vorgänge am Nachthimmel, förderten den Geisterglauben. Der Geist des Bären also und der Geist der toten Urgroßmutter. Na meinetwegen. Und wo leben all diese Geister? Wer Kinder hat weiß, welche Fragen die stellen können und naive Erwachsene sind da nicht anders. Und dann braucht man Antworten.

Nun sitzt man also da und tauscht sich aus. Der schlaue Nug-Nug ist besonders beredt, hat ein hoch entwickeltes Sprachzentrum, ein Phantasie-Gen, was auch immer. Er kann die besten Geschichten erzählen, erfindet immer noch etwas hinzu und ist fähig, alles im Zusammenhang darzustellen, bis die Geschichte rundum stimmig erscheint. Zumindest dem Nicht-Wissenden.

Als nunmehriger Profi- Erzähler kann der schon fast halbheilige Nug-Nug auch am besten Erfahrungen weitergeben. Andere belehren. Das Wissen der Horde bewahren. Und damit niemand ihm seinen geachteten Platz in der Gruppe streitig macht, erfindet er immer mehr Geschichten und immer neue handelnde Personen, immer neue Geister, Ober- Unter- und Hilfsgeister. Dazu die Beziehungen zwischen denen und ihre Erkennungszeichen und Eigenschaften und wie man sie ruft und besänftigt und was man ihnen opfert. All das tut der Schlaue, um der einzige Experte zu bleiben. Um bis ins hohe Alter hinein seinen Anteil an der Jagdbeute zu erhalten. Und schon ist eine neue Religion entstanden. Und Nug-Nug ist der erste Papst.

Menschen geben ihr Wissen an ihre Kinder weiter. Der Schamane natürlich auch an seine. Und diese wiederum müssen sich etwas mehr einfallen lassen für ihre Geisterweltgeschichte. Man frage einmal den Autor einer Seifenoper, wie stressig so etwas werden kann. Und immer dieses so lästig aufmerksame Publikum, das Wiederholungen sofort bemerkt, die Logik anzweifelt, den Realitätsbezug einfordert oder gar Beweise. Wie nervig. Also müssen die Geister mächtig werden, unberechenbar und jähzornig, rachsüchtig gar und übel furchterregend. Damit sich niemand näher heranwagt als der Exper...also, der Priester. Denn sehen kann man Geister sowieso nicht. Das ist in allen Religionen gleich.

Aus Geistern wurden Götter in einer weltweit bunten Seifenoper, in Indien, China, Griechenland und Rom. Aus Göttern wurden Menschen wie Jesus, Joseph und Maria. Und wie Mohammed, der reich heiratete, Händler und Statthalter wurde und nach einem Mittel sann, die wilden Stämme der Wüste zu vereinen, um die Handelswege sicherer zu machen. Der wohl den Prediger Jesus von Nazareth studiert hatte und dabei offenbar begriff, dass es Zeitverschwendung ist, Menschen etwas zu erklären, das ihren geistigen Horizont übersteigt, dass man ihnen aber jede Regel oktroyieren kann, wenn man diese in ein Glaubenssystem einbindet. Der Prophet verkündet und damit Ende der Diskussion. Ab hier ist für die Einhaltung der Regeln ein Gott zuständig. Und mit dem legt sich niemand an.

Die Religonen lehren Gutes und Böses; für die Festigung der Gesellschaft das Eine, für die Festigung der Macht das Andere. Es wird Nächstenliebe gepredigt und Opferbereitschaft und der Tod für den Andersdenkenden. Den anders Denkenden. Den Denkenden überhaupt. Denn hinterfragt werden darf das Konstrukt Religion auf gar keinen Fall.

Dabei ist dieses Regelwerk an sich durchaus nützlich. Schweine brauchen mehr Wasser als Schafe und Ziegen, also ist das Schwein des Teufels, zumindest in der Wüste. Eine reine Hand für die Speise und eine unreine für den Dreck entscheiden mit über die nächste Darmkrankheit, eine Jungfrau im Ehebett bewahrt vor Syphilis, der Alkohol...naja. Selbst die halbmodernen Vereinigten Staaten von Amerika mussten ihre eigenen Erfahrungen mit der Prohibition machen. Der Mensch schafft sich wohl immer lieber etwas eigenes, mögen es Fehler sein oder Götter. Und es mag als Ironie der Entwicklung gelten, dass ein schwaches Wesen aus sich selbst heraus das Stärkste schuf, der Mensch den Gott, denn so rum ist´s gelaufen. Nicht umgekehrt.

Das Hauptproblem seit den Urzeiten ist aber nun, dass man Menschen mit einem straff organisierten Glauben verblenden kann, ihr selbstständiges Denken quasi ausschaltet. Dazu nutzt man das natürliche Zusammengehörigkeitsgefühl, dem wir als Hordentier unterliegen. Man schafft eine Gemeinde aus Untergebenen und Führern, behält das Wissen für sich und lässt den Glauben für den Pöbel übrig. Den gut gesteuerten Glauben wohlgemerkt.

Denn glauben an sich muss ein jeder Mensch. Ich muss daran glauben, dass mein Nächster mir nichts Böses will, sonst fände ich niemals Frieden. Ich muss glauben, dass ich alt werde und in Frieden sterben kann und dass meine Kinder in Sicherheit leben werden, was sollte sonst das Leben? Der Bergsteiger glaubt fest daran, den Gipfel zu erreichen, sonst würde er gar nicht erst loslaufen. Trotzdem nimmt er feste Schuhe und wetterfeste Kleidung, denn er weiß um Weg und Wetter und somit auch, dass der Glaube das Wissen nicht ersetzen kann. Beides muss einander ergänzen, damit die Gleichung aufgeht und wir in unserer Welt zurechkommen.

Der Glaube hilft uns, wenn es schwierig wird. Wenn wir uns mit dem Tod auseinandersetzen müssen, wenn wir die Zukunft fürchten oder auf uns allein gestellt sind. Die Rituale, die sich in allen Religionen um diese Probleme des Lebens herum entwickelten, sind praktische Psychotherapie und deshalb gleichen sie sich rund um den Globus. Überall gibt es Riten zur Bestattung und zur Segnung, zu Trost und Beistand und Zusammenhalt; zu allem, was der Verstand allein nicht erfasst, ja, nicht erfassen sollte. Doch wenn die Riten den Glauben erdrücken, wenn sie zu Dogmen werden und jene, die den Glauben "verwalten", sich zu überirdischen Welterklärern, zu Belehrern und Beherrschern aufschwingen, dann wird das gutartige System zum Krebsgeschwür. Dann wird der Glaube zur Ideologie und zum Machtinstrument, zum Unterdrückungswerkzeug und zum wohlfeilen Mäntelchen, das jedweder Bestrebung umgehängt werden kann. Ein Netzwerk ist islamisch, ein Staat jüdisch oder christlich? Niemals. Ein organisatorisches Konstrukt folgt vielleicht einem Regelsatz, aber glauben können nur Menschen. Sie tun das leider auch dann, wenn sie es besser wissen sollten, aber sie sind nun einmal, was sie sind. Fehlbar, voller Ängste und Sehnsüchte. Und diese Menschen bilden dann die Staaten, die Organisationen und die Armeen. Oder eben auch nur primitive Räuberbanden wie im Falle des IS, der im Grunde den Islam besudelt und die gesamte Umma unter Druck setzt. Vielleicht unter jenen Druck, der sie letztlich zwingt, mal ein bißchen weniger zu glauben. Und mehr zu denken.

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Grummelbart

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