ASK A FAT GIRL: Weil es an der Zeit ist, MIT UNS zu reden, statt immer nur über uns …
In meinem Fitnesscenter trainiert seit kurzem eine richtig übergewichtige Frau. Ich finde es super, dass sie sich endlich aufgerafft hat, etwas gegen ihr Problem zu tun, und will sie loben. Was sage ich am besten?
Ehrliche Antwort: gar nichts. Lass sie einfach in Ruhe trainieren, und behandle sie auch sonst wie alle anderen Kraftkammer-Gänger auch.
Du kennst die Frau nicht, und auch nicht ihre Fitness-Geschichte. Ich weiß schon, der Konsens unserer Gesellschaft lautet: iss wenig, treib Sport, und dann nimmst du schon ab. Nur, dass das in vielen Fällen eben nicht stimmt (warum das so ist, werde ich demnächst einmal behandeln).
Es gibt sportliche Dicke, und zwar mehr, als man glaubt – auch, wenn die Medien uns immer noch den Status von mystischen Einhörnern zuweisen. Vielleicht ist diese Frau superfit und trainiert schon seit Jahren, und hat jetzt einfach nur das Gym gewechselt. Weißt du, wie nervig es für fitte, sportliche Dicke ist, wenn sie ständig als Anfänger behandelt werden? Wenn einem immer irgendwelche Fremden ungefragt auf die Schulter klopfen und gönnersich dazu gratulieren, seinen inneren Schweinehund endlich in Ketten gelegt zu haben, wenn man dreimal so viel Gewicht stemmen kann wie sie? Selbst wenn diese Frau noch nie im Fitnesscenter war, ist sie vielleicht eine begeisterte Schwimmerin oder Bauchtänzerin oder Radfahrerin oder Mountainbikerin. Vielleicht ist sie im Moment einfach unfit, weil sie nach einer Verletzungspause oder Babypause wieder zu trainieren beginnt. Wenn du sie nur wegen ihrer Figur als Anfängerin abstempelst, tust du ihr möglicherweise wirklich unrecht.
Die Kanadierin Louise Green, Plus-Size-Athletin und Besitzerin von Body Exchange, einer Fitnesscenterkette für dicke Menschen, hat letztens darüber gebloggt, wie ärgerlich es ist, bei der Anmeldung zum Halbmarathon automatisch in die 5000 Meter-Lauf-Kategorie gesteckt zu werden. Bloggerin Heather von fatgirlposing, die seit Jahren in die Kraftkammer geht, schreibt, wie sehr es sie verletzt hat, als man ihre Workout-Fotos geklaut und unter dem Motto „jeder muss irgendwo anfangen“ auf Facebook veröffentlicht hat.
Es kann natürlich auch sein, dass die dicke Frau sich erst jetzt traut, trainieren zu gehen. Das hat aber in der Regel nichts mit dem Schweinehund-Mythos zu tun. Schlanken Menschen ist es meist nicht bewusst, aber wir leben in einer Gesellschaft, wo Dicke systematische diskriminiert und lächerlich gemacht werden, und zwar egal, was sie machen. Im Internet findest du unzählige Fotos von Dicken im Schwimmbad und im Fitnesscenter, heimlich aufgenommen und mit fiesen Kommentaren versehen. Da kann es für manche Menschen eine ziemliche Herausforderung werden, trainieren zu gehen – eben, weil diese Dicken die berechtigte Angst haben, dass man sich über sie lustig macht und sie ausgrenzt.
Vielleicht ist sie auch scheu, weil sie im Moment noch nicht die Kraft hat, sich richtig gut zu bewegen. Schnall dir doch mal einen 50 Kilo-Rucksack um, und geht trainieren, und dann verstehst du, wie sich ein untrainierter Dicker fühlt.
Dazu kommt, dass man vielen Dicken die Liebe zum Sport systematisch abtrainiert hat, durch Diätcamps, unsensible Sportlehrer, Mobbing, Zwangsworkouts während Diäten und vieles mehr. Und nein, es ist nicht so, dass man einmal einen dummen Kommentar hört und sich dann für Jahre zurückzieht, meist ist es eine ganze Latte an unguten Erlebnissen – ich habe letztens für ein Plus-Size-Fitnessblog darüber geschrieben, wie mir die Freude am Sport verloren gegangen ist und wie ich sie mir mühsam zurückholen musste.
Egal was zutreffen mag, das letzte, was diese Frau in dieser Situation braucht, sind gut gemeinte Kommentare von Fremden, und das Gefühl, dass sie irgendwie auffällt. Diese Art von "Lob" ist keine Motivation, sondern führt eher dazu, dass sie sich angegriffen und ausgegrenzt fühlt. Und es stellt dich als unsensibel, arrogant und uninformiert da, und ich gehe mal davon aus, dass du es nicht willst.
Noch etwas: halte Dich mit den Diättipps zurück. Wirklich. Im Gegensatz zu dem, was der Volksmund zu wissen glaubt, haben viele (ich würde fast behaupten: die meisten Dicken) schon mehr als eine Diät gemacht. In meinem ärgsten Diät- und Essstörungszeiten hab ich die Kalorienanzahl von jeder Schreibe Knäckebrot gewusst, und es hat mich nicht dünner gemacht, sondern nur neurotisch und depressiv. Du weißt nicht, wie diese Dicke sich ernährt. Du weißt nicht, ob sie nicht mit einer Essstörung oder / und Depressionen kämpft. Du weißt nicht, was ihr und ihrem Körper gut tut.
Vielleicht will sie abnehmen. Vielleicht hat sie auch die Health At Any Size-Philosophie für sich entdeckt, und geht jetzt trainieren, um gesünder zu werden oder um gesund zu bleiben, um Stress anzubauen oder sich einfach gut in ihrem Körper zu fühlen.
Fazit: Wenn du mit der Dicken in deinem Gym reden willst, frag sie nach der Playlist in ihrem iPod oder sonst was unverfängliches. Und ansonsten: behandle sie wie alle anderen auch. Sie ist nämlich tatsächlich genauso wie du. Nur ein bisschen runder…
Foto (c) BodyExchange.ca