Ask a fat girl – Können sich Dicke in ihrem Körper wohl fühlen?

Wenn ich Dicke sehe, die behaupten, sich in ihrem Körper wohl zu fühlen, regt mich das immer total auf. Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen – ich habe mich schon während meiner Schwangerschaft total unwohl gefühlt. Ich steh mit meiner Meinung nicht alleine da: eine Freundin ist dick und mag ihren Körper nicht, und die findet auch, dass diese angeblich glücklichen Dicken sich was vorlügen.

Du hast das Schlüsselwort zur Antwort selbst geliefert: DU kannst DIR das nicht vorstellen. Und das ist das Kernproblem der ganzen Diskussion. Dicke, die sich in ihrem Körper wohl fühlen, gibt es natürlich. Dass Dünne (und sich selbst hassende Dicke) sich das nicht vorstellen können, liegt oft deren mangelnder Phantasie oder/ und Empathie. Statt in sich zu gehen und ihren Erfahrungs- und Empathiehorizont zu hinterfragen, werfen sie den Dicken vor, sich selbst zu belügen, Probleme zu beschönigen und so weiter.

Ich kann natürlich verstehen, wie Du zu deinem Schluss kommst. Wir leben in einer Gesellschaft, die es Frauen im Allgemeinen und Dicken im Besonderen gar nicht leicht macht, sich in und mit ihrem Körper wohl zu fühlen. Ständig werden wir mit „nimm ab und dein Leben wird traumhaft!“-Botschaften überschwemmt, glückliche Dicke kommen in den Medien gar nicht vor, und es sogar Kinder geben in Umfragen zu, dass sie mehr Angst vor dem Zunehmen haben als davor, ihre Eltern zu verlieren.

Außerdem ist zutiefst menschlich, dass man sich bestimmte Sachen nicht vorstellen kann, zum Beispiel, weil man gewisse Erfahrungen nicht gemacht hat. Wenn man z.B. bei einer Schwangerschaft plötzlich 15 Kilo zulegt, kann sich das elend anfühlen. Trotzdem ist das nicht das gleiche Körpergefühl wie bei einer sportlichen Plus-Size-Frau, die mit den Jahren genug Muskeln aufgebaut hat, um ihre Kilos nicht unbedingt als extra Belastung zu empfinden.

Manchmal gibt es auch Sachen, zu denen einem jeglicher Draht fehlt. Ich habe noch nie nachvollziehen können, warum man sich freiwillig im Affentempo die vereiste Streif runterhauen oder volkstümliche Schlager hören kann.

Die Frage ist für mich aber, wie ich mit meinem Vorstellungsdefizit umgehe. Erkläre ich alle Maiers und Raichs und wie sie alle heißen, für geistesgestört, und behaupte ich, dass alle Gabalier-Fans sich etwas vormachen? Oder erkenne ich, dass es Sachen außerhalb meiner Vorstellungskraft gibt, und wünsche jedem Tierchen sein Plaisierchen, auch wenn Steilhänge mit Eisplatten respektive Ziehharmonikas involviert sind?

Genau das sollten die skeptischen Dünnen (und die Dicken, die sich in ihrem Körper nicht wohl fühlen) auch tun, nämlich anerkennen, dass es so viele Wahrheiten und Erfahrungen gibt wie Menschen auf dieser Erde. Wenn sie etwas für die Erweiterung ihres Horizonts tun wollten, könnten sie auch beginnen, sich zu fragen, wieso manche Plus-Size-Menschen in ihrem Körper zu Hause sind, und andere nicht.

Meiner Erfahrung nach gibt es zwei Typen von Dicken, die mit sich selbst wohlfühlen: die, die es immer schon getan haben, eine gerade in unseren Breiten ziemlich rare Spezies Mensch. Und die, die es erst mühsam haben lernen müssen.

Ich habe Jahre lang zu denen gehört, die mit ihrem Körper Krieg geführt haben. Die Wende nach Jahren an Diäten, Depressionen und Essstörungen kam, als ich begonnen habe, mich zu fragen, wie ich raus als der Elendsspirale komme, und wie ich da eigentlich reingeraten bin.Nach und nach habe aufgehört, auf die Wunder nach der nächsten Diät zu hoffen, und erkannt, dass mich die Diäten nur noch tiefer in eine Essstörung treiben und mich weder dünn noch gesund machen. Ich habe begonnen, den Status Quo zu hinterfragen und die herrschenden Legenden mit meiner eigenen Wirklichkeit zu vergleichen. Habe begonnen, mich zu fragen, warum ich mit meinem Körper so unglücklich bin, und wessen Stimmen da in meinem Kopf „zu fett!“ kreischen. Überraschung: meine eigene ist es nicht.

Mir hat auch geholfen, festzustellen, dass man die Begriffe „dick“ und „glücklich“ wunderbar von einander trennen, wenn man sich mit seinem eigenen Glück (und allen anderen positiven Gefühlen wie Freude, Vergnügen, Spaß, Wohlbefinden usw.) beschäftigt. Glückliche Menschen wissen, was ihnen gut tut, weil sie das Thema erforschen und auf sich und ihre Wünsche hören, egal ob sie Größe 40 oder 50 haben. Ich habe nach und nach gelernt, mein Gewicht zu ignorieren, und meine Träume zu verwirklichen. Ich bin (unter anderem) auf Anhieb auf die Angewandte gekommen, arbeite im Moment dank eines Literatustipendiums Vollzeit an meinem zweiten Roman, ich blogge, ich reise, flirte, experimentiere mit transmedialer Kunst, und habe einen wunderbaren Freundeskreis und einen wirklich vollen Kleiderschrank. Und das alles, obwohl ich nicht dünn bin.

Mein Weg zum Wohlfühlen in meinem Körper war trotzdem lang und voller Versuche und Irrtümer, über Bauchtanz und Schauspielunterricht und Posieren als Aktmodell und dem Entdecken von Health at any Size, Burlesque und der Body Love-Bewegung. Ich beschäftigte mich seit Jahren mit dem Thema, lese, recherchiere, überprüfe, denke nach, teste und forsche. Sich selbst zu mögen und sich in seinem Körper wohl zu fühlen, bedeutet in unserer Gesellschaft leider eine Menge Arbeit, darum empfinde ich die „das redest du dir nur ein“-Kommentare, die meinen langen Erkenntnisweg ignorieren, als besonders ärgerlich …

Jetzt kann man natürlich behaupten, dass ich eine Ausnahme bin, und dass man Dicke kennt, die behaupten, sich zu mögen, die aber Momente des Zweifelns haben, also lügen. Das stimmt so aber nicht.

Der Weg zum Wohlfühlen im eigenen Körper kann, wie gesagt, ein ziemlich langer sein. Manche Menschen sind noch unterwegs zum besseren Körpergefühl, und fahren die von Coaches und Therapeuten hochgelobte „fake it t´til you make it“-Strategie. Und selbst bei denen von uns, die es gelernt haben, ist es nicht so, dass wirirgendwann in einem magischen Wunderland lebt, wo uns nichts und niemand etwas anhaben kann. Wir leben, wie gesagt, in einer Welt, die massiv vom weiblichen (und auch immer mehr vom männlichen) Selbstzweifel in Sachen Körper profitiert. Da ist es völlig natürlich, dass auch die Vorkämpferinnen in Sachen Slebstliebe ab und an einen schlechten Tag haben.

Die amerikanische Autorin Hanne Blank hat es bei einem Interview für mein Blog mal sehr schön ausgedrückt: „Mich frustriert es manchmal, dass beim Thema Selbstakzeptanz oft von einer „Reise“ gesprochen wird, als wäre es eine lineare, eine gerade Bewegung, die bestimmt ist, an einem bestimmten Punkt zu enden. Das ist es nicht. Es gibt keinen magischen Ort, an dem du ankommst und wo alles wunderschön ist und wo dir nichts mehr weh tut, weil du gelernt hast, dich einfach selbst zu lieben oder zu akzeptieren. Was es gibt, ist die Möglichkeit, zu lernen, besser mit allem umzugehen, seine Grenzen besser zu setzen, sich trotz allem selbst zu respektieren und zu schätzen, und sein Leben weiterzuleben.“

PS: Was mir definitiv auch hilft, mich mit meinem Körper verbinden, ist das Studium meiner eigenen Sinnlichkeit. Die Amerikanerin Chrystal Bougon, 140 Kilo schwer und höchst erfolgreiche Besitzerin einer Boutique für Plus-Size-Dessous bei San Francisco, hat es bei ihrem Vortrag bei der Body Love Conference sinngemäß so formuliert: „Wie kann ich einen Körper hassen, der mir so viel sinnliches Vergnügen und so großartige Orgasmen verschafft?“ Eben.

Fotos (c) Kurvenrausch Hamburg, Rhea Krcmarova

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