Jim bringt noch schnell den Rollator an Bord, ehe er den Dieselmotor startet. Eine ältere Frau draußen in den Sounds wartet schon dringend darauf. Jim ist Schotte, und er ist Skipper des Postbootes. Dreimal die Woche fährt er von Havelock aus verschiedene Routen durch die Marlborough Sounds. Er bringt die Post und versorgt die Leute mit dem Nötigsten: Lebensmittel, Schulbücher für den Heimunterricht, Spielsachen, Kleidungsstücke, Ersatzteile. Früher hatten sie auch Schafe und Hühner dabei, erzählt Jim. Aber das kommt kaum noch vor, denn heute gibt es fast keine Farmer mehr in den Sounds.
Menschen haben immer schon in diesen unzugänglichen Buchten gelebt. Bis 1918 fuhr ein staatliches Dampfschiff durch die Sounds. Kleine Ruderboote wurden da und dort zu Wasser gelassen und brachten die Post an Land. Danach wurde das Postboot verkleinert und privatisiert. Seither dürfen auch Touristen mitfahren - zwischen Postsäcken und Paketen, manchmal zwischen Schafen und Hühnern. Heute leben 44 Familien dort - ungefähr 100 Menschen. Sie leben ohne Straßen und ohne Strom, ohne Fernsehen, Internet und Handyempfang. Manche betreiben Muschelzuchten, andere vermieten ein, zwei Zimmer an Urlauber, einige sind in Pension und ein paar sind Künstler. Zu kaufen gibt es hier nichts. Alles, was zum Leben gebraucht wird, muss selbst hergestellt, angebaut oder vom Postboot mitgebracht werden.
An den meisten Anlegestellen machen wir gar nicht fest. Jim geht längsseits und läßt das Boot knapp vor dem Steg treiben: Postsäcke werden ausgetauscht, Pakete überreicht und jedes Mal kommt auch Jim aufs Vorschiff, um kurz zu plaudern. Dann setzt er zurück und fährt weiter. In einer Woche sehen sie sich wieder. Kurz nach Mittag halten wir bei Ed Abdool. Er ist nach dem Erdbeben aus Christchurch geflohen, hatte schon lange die Nase voll von Städten und zog mit Bill, seinem Hund, hierher. Bill ist jeden Dienstag als erster am Steg und wartet auf das Postboot - lange bevor es anlegt. Er vermisst Menschen offenbar mehr als Ed.
Der Himmel trübt sich ein, als wir am Abend zurückfahren und die kleine Marina von Havelock ansteuern. Havelock wurde von einem Schotten gegründet, erzählt Jim. Das war um 1860, und es gab nur drei Häuser hier. Im Goldrausch wuchs die Siedlung beträchtlich. Vor allem Hotels und Pubs schossen aus dem Boden. Heute leben knapp 500 Menschen in Havelock. Goldrausch gibt es keinen mehr, nur noch Muscheln. Und für die ist Havelock berühmt. Die schimmernden Grünschalmuscheln werden weltweit exportiert. Jim empfiehlt uns "The Mussel Pot" für den Abend, ein Restaurant in der Nähe des Hafens. Wir haben Jim den ganzen Tag vertraut, und wir vertrauen ihm auch jetzt. Zu Recht.