Sind alle Demokraten demokratisch?

Viele plakative Gesichter füllen wieder die Stadt. Die festgeklebten Damen und Herren – ausstaffiert mit freundlichem, entschlossenem oder gar grimmigem Blick – würden gerne gewählt werden. Es ist Vorwahlzeit und einmal mehr stellt sich die Frage: Ist es ausreichend für eine Demokratie, wenn ihre Einwohner die Wahl haben? Und fast noch dringlicher: Ist jede gewählte Partei eine demokratische Partei?

Üblicherweise lässt sich die politische Diskussion an dieser Stelle auf ein Missverständnis ein. Jede Partei, so heißt es, die demokratisch gewählt ist, ist auch demokratisch legitimiert und damit eine demokratische Partei. Ist das so? Hier wird unter „demokratisch“ aber bloß ein mathematisches Ermittlungsverfahren verstanden, das festlegt, wer wie viel Sitze im Nationalrat, in einem Landtag oder sonst wo bekommt, und wie viel Anteil an der zu verteilenden Macht ihm zusteht. Demokratie als Technik der Machtverteilung. Eine Rechenübung.

Dieses Minimalverständnis von Demokratie ist allerdings keine verlässliche Basis für Demokratie. Im Gegenteil. Es beinhaltet die Gefahr, ein demokratisches System auf demokratischem Wege abzuschaffen, sobald einer der Akteure die notwendigen Machtpositionen erreicht hat. Man denke nur an den zig-fachen Auszug der FPK-Truppe aus dem Kärntner Landtag vor einigen Jahren.

Zählvorgang. Die demokratische Gesinnung einer Partei zeigt sich erst in der Machtausübung. In reinster Form dann, wenn sie die absolute Mehrheit erreicht hat. Erst dann beginnt der demokratische Prozess. Trotz allen Gestaltungsrechtes, das eine Partei durch eine Wahl erwirbt, muss sie den politisch Andersdenkenden nicht nur Mitsprache, sondern auch Gestaltungsmöglichkeiten zugestehen. Demokratische Gesinnung  bedeutet, Vielfalt zuzulassen und zu fördern, politisch Andersdenkende zu Wort kommen zu lassen, sowie Minderheiten ihre Selbstbestimmung als Recht und nicht als Almosen zu geben. Wer glaubt, mit absoluter Mehrheit absolut regieren zu können, zerstört den Geist der Demokratie und wird damit beginnen, demokratische Strukturen zu schwächen.

Wer dem vermeintlichen Volksinstinkt hinterherhetzt und den geschürten Volkszorn zu einer Keule bündelt, um mit ihr blindwütig in den Meinungsmarkt hineinzuschlagen, ist ebenso wenig demokratisch wie Selbstjustiz rechtsstaatlich ist. Wer das Fremde dem Prinzip nach nur außerhalb der eigenen Grenzen toleriert, ist im Kern kein Demokrat. Denn das, was als fremd gilt, beruht auf willkürlichen Definitionen und das sogenannte Fremde wird alsbald auch innerhalb der eigenen Grenzen erkannt und bekämpft.

Der Demokrat will den Andersdenkenden nicht bekämpfen. Freilich, er will ihn überzeugen, aber in erster Linie will er ihn verstehen. Er will mit ihm neue, bessere Lösungen entwickeln, und ihn nicht bloß im Wettrennen einer Wahl überholen. Demokratie ist eine gesellschaftliche Kultur des Verstehen-Wollens und nicht des Triumphierens.

Wenn die vormals plakatierten Damen und Herren nach der Wahl und vor laufenden Kameras verkünden werden, dass alle Parteien als Partner in Frage kämen, weil alle gewählt und dadurch demokratisch legitimiert seien, dann muss man deutlich hörbar entgegnen: Es ist richtig, dass alle Parteien Stimmen bekommen haben, möglichweise sogar viele. Und es mag sein, dass drängende parteiliche Gründe vorliegen, jede Partei als möglichen Partner zu betrachten. Aber eines kann man keinesfalls behaupten, dass nämlich jede Partei automatisch eine demokratische ist, nur weil sie demokratisch gewählt wurde. Demokratie bedeutet auch, den Mut zu haben, sich darüber ein Urteil zu bilden, es zu begründen und zu verkünden.

Demokratie ist keine einfache Sache. Demokratie ist schwierig. Aber wir konnten nie davon ausgehen, dass es einfach werden würde. In der griechischen Antike nicht und auch nicht heute.

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fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:13

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