Wenn über Jahre Gewitterwolken am politischen Horizont aufziehen, die aber gerade noch weit genug weg sind, um nicht in eine Höhle flüchten zu müssen - bei einem solchen Wetter also werden die Worte mitunter scharf, die Gedanken aber trübe und das Herz schwer. Wenn schon nicht die Politiker zurücktreten, denke ich mir, dann sollten doch wenigstens wir, das Volk, zurücktreten. Unsinn? Natürlich. Grober Unfug. Der Rücktritt des Bürgers ist nur möglich durch vollkommene Ignoranz oder Tod. Und nur letzteres gelingt allen. Aber bis dahin ist noch Zeit. Und diese will verbracht sein: freudvoll, sinnvoll, aufrecht. Und vielleicht hinter einem Blog, inmitten herumtanzender Tweets. Oder mit grimmigem Blick auf ein zu befüllendes Kommentarfeld. Oder auch nur mit zittrigem Finger, der einen Like-Button erreichen will.Ich habe noch nie so viele Rücktrittsaufforderungen in meiner Timeline gelesen, wie in den letzten Wochen. Auch ich selbst habe eine geschrieben. Zurückgetreten ist freilich niemand. Und es wird auch niemand tun. Nicht einmal wir, das Volk, werden zurücktreten. Was wird passieren? Was sollte passieren? Wir, das Volk, können nicht zurücktreten. Aber wir können und müssen antreten - als Politiker.Komfortabel und lustvoll ist es ja schon: Bei Kaffee oder einem Glas Wein lasse ich meine Finger über die Tastatur gleiten und verteile im Netz mehr oder weniger gleichmäßig spitze, giftige und unglaublich gescheite Kommentare zur Politik in diesem Land – Rücktrittsaufforderungen inklusive. Sollte ich oder sollte man damit aufhören? Keinesfalls. Politik braucht Aufmerksamkeit, Anteilnahme und Kritik. Und Politiker müssen das aushalten und auch wollen.Nur eines – und das wird mir gerade in den Tagen der Flüchtlingsdiskussion schmerzlich bewusst –, eines darf nicht sein: Dass ich es dabei bewenden lasse, dass ich im Wohlgefühl, doch eh das Richtige irgendwo gesagt zu haben, am Sofa einschlafe. Ich muss mehr tun. Und damit meine ich gar nicht ein Engagement in der Sache selbst: Toilettenartikel oder Geld zu spenden, mich als Deutschlehrer zur Verfügung zu stellen oder einen Flüchtling zu Hause aufzunehmen. All das ist wichtig, richtig und bis zu einem gewissen Grad auch menschliche Pflicht.Aber ich meine etwas Anderes. Ich rede von einem Engagement im politischen System, in den Institutionen, in den Organisationen, in den Gremien und Ausschüssen. Soll das etwa heißen, dass ich jetzt mit einer Vorfeldorganisation Kontakt aufnehmen soll, um mich dann durch die Bezirks- und Landesinstanzen durchzubeißen, bevor ich Bundeskanzler oder gar Präsident werden und alles besser machen kann? Ja, das soll es heißen. Aber das geht sich doch nie aus! Und außerdem ist die Politik ein dermaßen schmutziges, opportunistisches und den Charakter korrumpierendes Geschäft, dass ich dafür doch nicht mein Leben aufs Spiel setze. Das überlasse ich lieber den Selbstdarstellern dieser Republik. Ach ja?Freilich, die wenigsten erreichen ein Nationalratsmandat. Fast niemand wird Minister, Bundeskanzler oder Präsident. Aber irgendwo in den Kaskaden, Nischen und Hinterzimmern des republikanischen Apparates muss ich meinen Mund aufmachen und Verantwortung übernehmen, wenn ich mich und meine politische Haltung ernst nehmen möchte. Was wird geschehen? Was werde ich tun? Jedenfalls bleibt es, bis das entscheiden ist, ein wunder und immer wieder schmerzender Punkt in meiner bloß politisch-rhetorischen Tatkraft, die mir – bei aller berechtigen Kritik – Respekt für jene Menschen abringt, die politisch tatsächlich etwas tun.