Wein, Kaffee und ein Kangaroo - Australien

Gute zwei Autostunden nördlich von Sydney liegt das Hunter Valley. Wir brechen früh auf und überqueren dieses Mal mit dem Auto die Harbour Bridge. Ein regnerischer Morgen begleitet uns - bis hinauf nach Broke. 1820 wurde hier der erste Wein gekeltert. Und damit ist dieses Tal die älteste Weinbauregion Australiens. Knapp 200 Jahre australische Weinkultur stehen hier 4000 Jahren Weinbau in Europa gegenüber. Gegenüber? Wir klopfen an ein paar cellar doors und merken rasch: Hier steht einander nichts gegenüber, hier ist alles drin - verwoben, eingebunden und in eigener Art entwickelt. Die Einwanderer aus den Mittelmeerländern hatten damals nicht nur ihre liebsten Reben im Gepäck, sie brachten auch ihre Leidenschaft mit. Beides viel auf fruchtbaren Boden.

In Europa kennen wir von Australien meist nur die Massenware: hübsche Flaschen, klangvolle Namen, flacher Geschmack. Die Weine des Hunter Valley verlassen Australien fast nie, oft nicht einmal das Tal. Die meisten Winemaker verkaufen ihre Weine nur ab Hof, in den Restaurants der Umgebung oder in den beliebten Weinklubs, die fast jedes Weingut betreibt. Es handelt sich dabei um eine Art Wein-Abo, das mich kurz an "Donauland" erinnert: Als Mitglied verpflichtet man sich, mindestens 24 Flaschen pro Jahr abzunehmen, die man jeweils im April und Oktober frei Haus zugeschickt bekommt - allerdings nur innerhalb Australiens. Nach Übersee geht fast nichts. Man muss schon hierher kommen, wenn man einen richtigen Hunter erleben möchte.

Der Shiraz ist bemerkenswert, auch der Tempranillo und der weiße Verdelho. Besonders stolz ist man aber auf den Chardonnay und den Semillon, eine Traube, die in Europa kaum noch angebaut wird. Hier macht man daraus einen sehr lebhaften Wein - leicht und frisch. Und wir lernen, dass man das hierzulande "crispy" nennt. Ich spüre dem nach: ein gutes Wort. Es prickelt auf der Zunge und zergeht auf ihr. Während wir dann in der Dämmerung vor unserem Bungalow den Tag zergehen lassen, zeigt sich ein kleines Kangaroo, nur ein paar Schritte entfernt. Es ist neugierig, kommt noch näher, spring dann aber doch zur Seite und verschwindet im Wald.

Anderntags berichtet das Frühstücksfernsehen über Kaffee. Kein überraschendes Thema am Morgen. Doch die Rede ist nicht von Kaffee im allgemeinen. Die Rede ist von der hochentwickelten australischen Kaffee- und Espressokultur, die immer mehr zu einem internationalen Exportschlager wird. Wie bitte? Nimmt das nicht Österreich für sich in Anspruch, und vor allem Italien? Tatsächlich sehen wir überall echte und eindrucksvolle Espressomaschinen. Und wir sehen Menschen, die geduldig auf ihren Kaffee warten - im Cafe, am Take-away-Stand, im Restaurant. Denn ein Espresso braucht Zeit, es gibt ihn nicht auf Knopfdruck. Ein Espresso muss sorgfältig von Hand vorbereitet werden, ehe der Siebträger eingespannt und das Wasser langsam durch den dichtgepressten Kaffee in die Tasse rinnen kann. In Australien nimmt man sich diese Zeit, während man bei uns zu Hause - getrieben von Kapselmaschinen und Vollautomaten - Schluck für Schluck zu vergessen beginnt, wie echter Espresso schmeckt. Australien scheint zum Gedächtnis der europäischen Kaffeekultur geworden zu sein - nicht zuletzt dank der vielen italienischen Einwanderer. Gut, dass es ein solches Gedächtnis außerhalb Europas gibt, aus dem wir die eigene kulinarische Kultur - nachdem sie unserem angegrauten Sinn für Qualität und unserer Bequemlichkeit zum Opfer gefallen ist - zurückimportieren können.

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