Auf den Tag genau vor 75 Jahren, am 27. Mai 1942 war das einzige erfolgreiche Mordkomplott gegen einen führenden NS-Funktionär - Reinhard Heydrich. Ein Anlass erneut über ein Thema nachzudenken, das schon zahllose Köpfe zum rauchen brachte.
"Das Attentat traf Heydrich auf dem Höhepunkt seiner Macht: Wenige Monate zuvor hatte er die Wannseekonferenz geleitet, bei der Ministerialbeamte und SS-Funktionäre in Berlin die "Endlösung der Judenfrage in Europa" erörterten. Mitte 1941 war Heydrich in einem von Hermann Göring unterzeichneten Schreiben dazu ermächtigt worden, alle dafür erforderlichen Schritte zu koordinieren - so begann die weitere Detailplanung der Massenmorde in den Vernichtungslagern.", schreibt der Spiegel.
Der Begriff Tyrannenmord bezeichnet die Tötung eines als ungerecht empfundenen Herrschers, dem Tyrannen, der das Volk bzw. die Bürger gewaltsam unterdrückt. Es ist politischer Mord. Bereits in der antiken Philosophie wurde diskutiert, ob der Tyrannenmord ein legitimes Mittel zur Befreiung der Bürger sei. Es stellt sich die ethische Frage, was für die Angehörigen eines Gemeinwesens schwerer zu verantworten sei: dass die Mitbürger Unterdrückung, Gewalt oder gar den Tod durch den Tyrannen erleiden oder dass man die Schuld eines Mordes auf sich lädt, wenn man den Gewaltherrscher durch ein Attentat beseitigt.
Friedrich Schiller gab literarisch eine Antwort auf die Frage nach dem Tyrannenmord: „,Was wolltest du mit dem Dolche? Sprich!“ Entgegnet ihm finster der Wüterich: „Die Stadt von dem Tyrannen befreien!“ „Das sollst du am Kreuze bereuen.“’ In der Bürgschaft ist der Tyrannen-Mörder der Gute.
Doch es bleibt die Frage: Ist der Tyrannenmord ethisch unbedenklich? Die Philosophie entdeckte ihn schon in der frühen Antike als moralisches Problem. Für Platon war zwar in seiner Politeia die Tyrannis als schlechteste aller Staatsformen. Dennoch ruft Platon nicht zum Tyrannenmord auf. Erst Xenophon, sein Zeitgenosse sagt uns: Keine Treuepflicht gäbe es gegenüber dem Tyrannen, wer ihn beseitige, begehe eine Heldentat.
In De officiis, Ciceros Moralschrift, verteidigte er Tyrannenmord aus Gründen der politischen Nützlichkeit. Der Schaden, den die Tyrannis anrichte, sei einfach zu groß, als dass nicht jedes Mittel, sie zu beenden, gerechtfertigt wäre - eine Überlegung auf die wir noch heute unser Widerstandsrecht gründen.
Für Saint-Just, Politiker und Freund Robespierres hingegen ist die Sache klar: Der Tyrann hat die Souveränität des Volks unterminiert und die Macht usurpiert. Für dieses Verbrechen muss er sterben. Am 28. Juli 1794 wird er mit Robespierre guillotiniert. Ein Treppenwitz der Geschichte?
Eine Ausnahme in der Einschätzung des Tyrannenmordes bildete das frühe Christentum. Das Neue Testament ist eine klare Zurückweisung jener alten Idee der poetischen Gerechtigkeit, die Platons und Ciceros staatsphilosophische Thesen zu Grunde liegt. Tyrannenmord ist mit dem Konzept der christlichen Feindesliebe unvereinbar. Für Paulus war ohnehin jede Obrigkeit direkt von Gott eingesetzt und damit auch unangreifbar. Statt des heldenhaften Tyrannenmörders kennt das frühe Christentum den Märtyrer. Diese Einschätzung ändert sich als das Christentum an Macht und Einfluss gewinnt.
Thomas von Aquin, der Kirchenlehrer aus dem 13. Jahrhundert, dachte ebenfalls über den Tyrannenmord nach. Er stellte Kriterien dafür auf, wann die Kirche diesen als legitimes Mittel betrachtet. Erstens: Wenn der Herrscher die bestehende Ordnung außer Kraft setzt, und die Bürger nicht mehr vor Gewalt schützt. Zweitens: Wenn er die Macht als Usurpator, heute würde man sagen Putschist, gewaltsam an sich reißt. Wenn alle friedlichen Mittel ausgeschöpft sind, dann war für Thomas von Aquin den Tyrannenmord legitim.
Aus dieser Tradition kommen auch die Hitler Attentäter vom 20. Juli 1944. Dietrich Bonhoeffer hat, wie es heißt, lange gerungen, ob er sich als Christ an dessen Tötung beteiligen könne, heißt es. Offenbar berief er sich letztlich auf Martin Luther. Wenn ein Staat die Ordnung auflöst, rechtfertigt Luther Widerstand. Angesichts der Gräueltaten der Nazis nahm Bonhoeffer Luthers Gedanken auf und wollte dem Rad in die Speichen fallen. Er legitimierte den Tyrannenmord nicht nur, sondern sah ihn in diesem Fall sogar als Pflicht.
Ich glaube für mich eine Antwort zu haben. Der Mord an Heydrich war berechtigt und er war notwendig. Auch das Attentat auf Hitler war das. Ähnliches gilt auch für Bin Laden, auch wenn dieser kein Tyrann im klassischen Sinn war. Stalin und andere sind dem Tyrannenmord entkommen. Ich neige dazu das zu bedauern.