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Was ist bloß aus der Türkei geworden? Wie konnte es ein einzelner Mann in unserer Zeit schaffen, dieses Land derart an die Wand zu fahren? Ein Land, dessen Bürger uns hierzulande mittlerweile genauso vertraut sind, wie all die Pospischils und Navratils.
Jeder von uns kennt mittlerweile mindestens einen türkischstämmigen Menschen. Sei es vom Imbiss, vom Markt, aus den Medien oder auch sonst einem Beruf. Viele Europäer fuhren jährlich in beliebte Reiseziele in der Türkei, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. Die gegenseitigen kulturellen Vorurteile sind in den beiden letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen. Die Türkei wurde zu einem starken Partner im Welthandel und der Weltpolitik.
Doch wenn wir heute in den Medien lesen, wie sehr sich das Land in einem kulturellen Verfall befindet, wie ein nicht enden wollender Bürgerkrieg den Südosten des Landes zerrüttet und Menschenrechte sich zunehmend in Nichts auflösen, finden wir einen Mann im Zentrum des Geschehens – Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
Sein rücksichtsloses Machtstreben führt die Türkei in den eigenen, als auch den weltpolitischen Abgrund. Seine Worte, die Türkei sei ein starkes und unabhängiges Land, das auf keine andere Nation dieser Welt angewiesen sei, sind Lügen zum Selbstzweck. Tatsächlich befindet sich die Türkei, trotz einem staatlich proklamierten Wirtschaftswachstum von 4%, wirtschaftlich auf Talfahrt. Dabei sind die ungebrochen hohe Inflationsrate von aktuell 7,46%, aber auch die Arbeitslosenquote von 10,6%, angesichts der stark rückläufigen Einnahmen aus der Haupteinnahmequelle des Tourismus, derzeit noch als positiv anzusehen.
Aber spätestens nach der kommenden Saison, wenn die Tourismusunternehmer Kassa machen, wird es ein bitteres Erwachen geben. Russische Gäste boykottieren die Türkei, europäische Touristen haben entweder Angst vor Krieg und Terror oder einfach genügend eigene Sorgen, um das Land zu meiden. Neben dem Tourismus leidet natürlich auch der Handel und angebundene Sektoren der wirtschaftlichen Infrastruktur.
Dem gegenüber stehen steigende Ausgaben für militärische Zwecke, den Ausbau des staatlichen Sicherheitsapparates und ganz besonders für die feudalherrschaftlichen Freuden der Familie Erdoğan. Nachdem sich aber die Landesmedien bereits unter Erdoğans Kontrolle befinden, beziehungsweise jede Kritik gnadenlos im Keim erstickt wird, dürften diese Umstände nur noch den im unabhängigen Ausland lebenden Menschen zur Kenntnis gelangen.
Fazit – allen Folgen der Flüchtlingskrise zum Trotz, darf Europa vor diesem sich anbahnenden Desaster nicht weiter die Augen verschließen. Europa wird in den kommenden Jahren ohnedies zum Flüchtlingslager des Nahen und Mittleren Ostens. Der ‚Türkei-Deal‘ war nur ein strategisches Manöver um etwas Zeit zu gewinnen. Sehen wir jedoch weiter tatenlos zu, werden wir auch für die Türkei zum Flüchtlingslager. Schlussendlich bleibt uns nur die Wahl, ob wir die Rolle des Samariters freiwillig annehmen oder uns aufzwingen lassen. Bestimmen wir wie es ablaufen soll oder lassen wir uns wie bisher von den Geschehnissen überrollen?
SAR