Seit Menschengedenken verehren wir das Göttliche in der Natur, in uns und in der Schöpfung allgemein. Sogar in der Zerstörung können wir das Göttliche erkennen. Wir Menschen haben dem Göttlichen im Laufe der Jahrtausende viele Namen und Gestalten gegeben. Eigenschaften wie Güte und Allwissenheit stehen Grausamkeit und der Macht über den Tod gegenüber. Mit Opfergaben haben wir versucht, uns das Göttliche gewogen zu machen und Schlechtes abzuwenden. Wenn wir Gutes tun, wird uns das Himmlische zuteil, wenn wir Böses tun, werden wir zu Höllenqualen verdammt. Wir kennen Gott als Erschaffer der Welt und gnadenlosen Henker (s.z.B. Sodom und Gomorra). Propheten verkünden uns Heilsbotschaften bis hin zur Apokalypse. Gott wird zum Anstifter von Vergewaltigung und Massenmord (s.z.B.Koran). Daraus sind die Religionen entstanden, wie wir sie heute kennen. Wir Menschen verstehen uns dabei als von Gott sanktionierte Werkzeuge seiner Allmacht. Als Interpreten seiner Worte.
Doch was sind Religionen tatsächlich? Sind sie nicht das von Menschen in Worte gefasste Spiegelbild von uns Menschen? Mit all den dunklen Tiefen unseres Selbst? Sehr gut möglich. Wie sonst wäre es möglich, dass sich Menschen im Namen Gottes dazu berufen fühlen, sich auf der einen Seite für ihre Mitmenschen hingebungsvoll und selbstlos aufzuopfern, während andere unsagbares Leid über sich und andere bringen. Alleine dieser Widerspruch ist schon ein Sinnbild der Grausamkeit.
Vor dem Hintergrund einer fast schon Alles erklären könnenden Naturwissenschaft, gerät in westlichen Breiten der christliche Glaube immer mehr ins Abseits. Kirchenskandale und der gar nicht selbstlose Reichtum des Klerus, untergraben zunehmend die Glaubwürdigkeit christlicher Leitbilder. Ökonomische Wertebilder treten an die Stelle von Nächstenliebe und Ethik. Die Gesellschaft erleidet scheinbar einen Sittenverfall, der an die Zeiten des alten Roms erinnert. Verzweifelte verkünden auf die eine oder andere Art den Untergang der Welt - immer wieder. Man möchte meinen, unsere Zivilisation hat den Zenit ihres Wachstums überschritten.
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In dieser Zeit prallt nun eine in ihren Ursprüngen nahezu unveränderte Religion auf uns. Alttestamentarische Dogmen, strenge Sittenbilder, eine chauvinistisch patriarchalische Gesellschaftsordnung, unbändige Glaubenskraft. Eine zwischen Fundamentalismen und zunehmend liberalem Denken polarisierte Gesellschaft. Eine Zivilisation, nahezu unberührt von der Zeit der europäischen Aufklärung. Im Gegensatz zum Christentum, einer zentralisierten Ideologie (Bibel, Papst als Kirchenoberhaupt), beruht der Islam auf den Offenbarungen Gottes an den Propheten, während Glaubenslehrer dessen Worte verkünden und dabei nach eigenen Vorstellungen interpretieren. So machte auch der Koran eine inhaltliche Entwicklung durch, deren Auswirkung heute durch meist extrem verfeindeten Anhänger unterschiedlicher Auslegungen, in absolut unmenschlicher Gewalt gipfelt.
An was sollen wir aber nun glauben? Sind wir Christen, Muslime, Juden, Buddhisten, Hindus oder sollen wir uns einer der zahllosen Glaubensgruppen anschließen? Oder gibt es vielleicht gar keinen Gott? Letzteres muss sich jeder selbst beantworten. Doch welchen Glauben wir für uns als "den richtigen" annehmen, sollte von unserer Vorstellung von Menschlichkeit und was wir im Leben als sinnvoll erstrebenswert ansehen, abhängen. Besonders wir Europäer können auf ein Jahrtausende altes Wertesystem zurückblicken, dass nicht nur von religiösen Anschauungen getragen wird, sondern gleichzeitig auf die Erkenntnisse einer Vielzahl von Philosophen und Literaten aufbaut.
Ich denke daher, wenn es tatsächlich etwas Göttliches geben sollte, es nicht an uns Menschen liegt, es zu deuten, zu interpretieren, es in Schubladen zu stecken und mit Etiketten zu versehen. Wenn, dann ist das Göttliche etwas allumfassendes, etwas das sich dem Verstand von uns Menschen entzieht und weder Richter noch Henker über uns Menschen ist. Eine gestaltlose Kraft die ist, im Sinne von Sein, deren Motive, so sie denn welche hat, wir nicht einmal erahnen können. Wir Menschen haben uns im Zuge unserer geistigen Entwicklung so viele Regeln, Gesetze, Wertmaßstäbe und Moralismen erschaffen, die uns für sich schon eine gute Anleitung fürs Leben geben können. Es fehlt uns nur noch an ausreichendem Verständnis, diese ohne Wenn und Aber für eine bessere gemeinsame Zukunft umzusetzen. Vielleicht ohne Religion, aber mit Glauben.