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Es ist die Rede von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Vor dem Hintergrund des Syrienkonflikts ist es diesem Mann innerhalb eines Jahres gelungen, eine weitgehend säkular geführte, demokratische Republik in eine mit zunehmender Gewaltausübung despotisch regierte Autokratie umzuwandeln. Lange Zeit hat er es geschafft, Europa und die USA an der Nase herumzuführen und sich dabei sogar noch reich beschenken zu lassen. Die USA hat ihn in seinen Rüstungsplänen unterstützt, die EU mit mehreren Milliarden Euro, u.a. der Flüchtlingskrise wegen.
Aus türkischer Sicht mögen seine Handlungen durchaus positive Aspekte haben, tut er doch scheinbar alles nur zum Wohle einer neuen, und an die Größe des ehemaligen Osmanischen Reiches erinnernde, starke Türkei. Eine Nation, die in der Welt ihresgleichen sucht. Islamisch konservative Bürger, Nationalisten und die vorwiegend intellektuelle Unterschicht fühlen sich von ihm perfekt vertreten. Kein Wunder, besitzt er doch mittlerweile die absolute Kontrolle über die Medien und den Staatsapparat samt Militär, und kann damit seine hausgemachte Propaganda hemmungslos verbreiten. Wer auch nur den Anflug von Widerrede zeigt, wird wie in jeder guten Diktatur, verhaftet. Beweise braucht es keine, denn Anschuldigungen werden nach Bedarf konstruiert.
Eine ARTE Dokumentation, zu finden unter dem Titel „Türkei – Drehkreuz des Terrors“ auf YouTube, zeigt etliche unschöne Tatsachen, die das glamouröse Bild des Präsidenten in ein ganz anderes Licht rücken. Seine Politik gegenüber dem Islamischen Staat (IS), seine Willkür in der Rechtsprechung und die brutale Verfolgung Andersdenkender. Wie von diesem Beitrag noch gar nicht erfasst, kommen die Entmachtung, Verfolgung und Inhaftierung von Richtern, Generälen, Staatsbediensteten, Universitätsdekanen und Lehrern seit dem gescheiterten Putschversuch hinzu. Insgesamt offiziell und erst bisher, um die 20.000 Menschen. Ein Putschversuch, der es nicht an Dubiosität fehlen lässt, kommt er doch ausgerechnet im richtigen Moment.
Wie sehr hat sich Europa doch darüber echauffiert, als Erdoğan sein Präsidialsystem durchsetzte. Wie nahe brachte er den Westen an einen Konflikt mit Russland (Stichwort: NATO-Bündnisfall), als er Ende November 2015 einen russischen Kampfflieger über syrischem Gebiet abschießen ließ. Wie sehr brüskiert er die Welt mit seinem andauernden Kurden-Genozid.
Doch dies ist erst der Beginn einer Metamorphose, die die Türkei letztendlich ins Chaos von Gewalt, Angst und Armut stürzen wird. Kein neues Großreich wird entstehen, keine starke Nation wird aus diesem Umbau hervorgehen. Es sind lediglich die an Größenwahn gemahnenden Phantasien eines Mannes, der sich scheinbar auf dem Höhepunkt seiner Midlife-Crisis befindet. Ehemalige Machthaber wie Lenin, Stalin, G.W.Bush und vielleicht sogar Hitler, würden ihn stolz in ihre Reihen aufnehmen. Haben sie doch viele Gemeinsamkeiten – Verfolgung Andersdenkender und ganzer Völkergruppen, Massenmord, Manipulation und Unterdrückung des eigenen Volkes… Doch alles was sie gegen Ende ihrer jeweiligen Ära zurückließen war verbrannte Erde, unzählige Tote und massenhaft Leid.
Deshalb wird sich auch hier die Geschichte wiederholen. Nachdem das Land vom Widerstand „grob gesäubert“ ist, die Gülen-Bewegung als vielleicht einzige Kraft, die Erdoğan auf friedlichem Weg hätte Einhalt gebieten können, weitgehend ausgeschaltet ist, werden als nächstes wohl die Reste der Oppositionsparteien, allen voran die HDP, dem Reformationsprozess weichen müssen. Die Auflösung des Parlaments wäre nach formaler Einverleibung des Militärs und des Geheimdienstes und vielleicht noch nach der einen oder anderen kleinen Verfassungsänderung, nur der nächste logische Schritt. Spinnt man diesen Faden gedanklich weiter, wäre die Ausdehnung der Landesgrenzen ein weiteres Ziel. Die von der Türkei bereits militärisch infiltrierten Kurdengebiete im Norden Syriens und des Iraks, könnten im Rahmen einer Wiederbelebung des Südostanatolien-Projekts die erste Delikatesse auf der Speisekarte Erdoğans sein. Ein militärisch stark geschwächtes Syrien könnte hier keinen ernsthaften Widerstand leisten. Anzunehmen ist, dass Russland als Partner Syriens dieser gewaltsamen Annektierung kaum tatenlos zusehen würde. Und vielleicht versucht sich gerade deshalb Erdoğan jetzt bei Putin einzuschleimen, um hier vorzubauen. Problematisch an der Sache ist nur, wie sich der Westen verhalten würde, zumal die Türkei noch immer aktives NATO-Mitglied ist. Wem das alles zu weit hergeholt scheint, möge diesen Artikel von DIE WELT aus dem Jahr 2012 lesen.
Für die Zivilgesellschaft bedeuten diese Veränderungen üblicherweise zuerst den Abschied von sozialen Errungenschaften und der Rechtsstaatlichkeit, Manipulation durch zu 100% kontrollierte Medien und Bildungseinrichtungen, zunehmender Unfrieden durch die Meinungsunterdrückung, die wiederrum zu einer offenen Spaltung der Gesellschaft führen wird, Denunziantentum, das spurlose Verschwinden von Menschen, zahllose Hinrichtungen durch die Wiedereinführung der Todesstrafe, Zunahme von Terroranschlägen, im Falle von kriegerischen Auseinandersetzungen zusätzliches Leid, Isolation zumindest gegenüber dem westlichen Ausland, immense wirtschaftliche Schäden usw.. Wie der Terror und die Politik Erdoğans bereits zeigen, sind beispielsweise die touristischen Einnahmen, die einen wesentlichen Anteil am BIP hat (2015, 12,9%) 2016 bereits um rund 40% gesunken. Die ungewisse politische Entwicklung bringt die in den letzten Jahren ohnedies von den Märkten geprügelten Investoren dazu, ihre türkischen Investitionen im Wert unzähliger Milliarden zurückzufahren, vor Ort engagierte ausländische Unternehmen ihre Standorte zumindest vorübergehend zu schließen und Einnahmen aus den Transitgeschäften zum Erliegen. Es gleicht einem ökonomischen Flächenbrand, zumal die Auswirkungen wie Arbeitslosigkeit und Konkurse erst nach und nach folgen werden. Da ist es natürlich gut die Medien unter Kontrolle zu haben, um dem Volk die „wahren“ Schuldigen zu präsentieren.
Gewissermaßen ein Bonmot am Rande – Erdoğan kommen bei seinen Machtbestrebungen und sehr wahrscheinlich auch Expansionsplänen, die bereits vor Jahrzehnten begonnene Auswanderung vieler seiner Landsleute sehr entgegen, wie sich kürzlich am regen Zulauf bei den „Pro- Erdoğan-Demonstrationen“ hierzulande zeigte. Seine Unverfrorenheit, diese türkischstämmigen Emigranten für seine Ziele einzuspannen und dabei destabilisierend auf die jeweilige Landespolitik einzuwirken, schafft nicht mehr nur Unmut in der heimischen Gesellschaft. Es ist zwar vollkommen verständlich, dass man als emigrierter Türke den Bezug zu seiner Heimat immer behalten wird. Was allerdings doch zur Beunruhigung Anlass gibt, ist die Teilnahme immigrierter „österreichischer“ Türken und die Lobpreisung „ihres“ Präsidenten. Wie werden sich diese Menschen erst verhalten, wenn sich die Situation in der Türkei weiter verschärft? Wenn EU-Länder beginnen sich offen gegen Erdoğans Politik zu stellen? Bereits jetzt gibt es unter den Demonstranten etliche Ultranationalisten, wie z.B. die „Grauen Wölfe“ und deren Mitläufer.
Erdoğan hat auf drastische Art gezeigt, dass er es mit der Ehre nicht so genau nimmt. Ob es nun seinen ehemaligen Mitstreiter Fethullah Gülen betrifft oder wie in neuerer Zeit Ahmet Davutoğlu, alle waren sie nur Steigbügelhalter auf seinem politischen Weg nach oben. Seine ihm zujubelnden Landsleute werden über kurz oder lang auch erkennen, dass er ein bloß ein weiterer korrupter Wolf im Schafspelz ist. Dann ist es jedoch zu spät.
Für Europa ist ebenfalls an der Zeit, sich dieser Tatsache zu stellen und offen Stellung zu beziehen. Es geht dabei nicht um Sanktionen, aber um Abgrenzung und Isolation. Der Flüchtlingsdeal, wie seinerzeit noch mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Davutoğlu vereinbart, wird es sowieso nicht geben. Die Türkei erfüllt praktisch keinerlei Voraussetzungen mehr, die der EU Handlungsspielraum geben würden. Handelsrouten lassen sich finden, ebenso wie attraktive Wirtschaftsräume. Es braucht dazu nur das nötige politische Rückgrat und ein klares Ziel vor Augen.
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