Wenngleich viele Menschen harmoniesüchtig sind, so betonen sie doch die Verschiedenheit in der Person, in der Sache, in der Herkunft. Ich frage mich deshalb, ob wir nicht bedeutend stärker sein könnten, wenn wir den Konsens betonten. Statt dessen vergeuden wir unsere Kraft im Dissens. Der Dissens geht wahrscheinlich oft aus der Differenz hervor, die niemand leugnen wird. Die Frage ist nur jeweils, wie stark die Differenzen sind und welche Kraft sie entwickeln können. Unüberbrückbar scheinende Differenzen entspringen oft dem Vorurteil. Segregation und Hierarchie werden als Naturgesetze hingestellt, so dass ihnen nicht zu entkommen sei. Man könnte also sagen, dass die ahistorische Sicht den Dissens gebiert. Die menschliche Welt ist nicht synchron, aber immer historisch, asynchron ist nicht identisch mit ahistorisch.
Geschichte verläuft also nicht linear, sondern, wie wir schon oft betont haben, sinusförmig. Die Menschheit begann vielleicht im heutigen Kenia sich bipedisch fortzubewegen, aber das heißt nicht, dass sie in Kenia heute am weitesten ist. Das heißt eigentlich nichts. Nur merkwürdig ist eben, dass ein Vorurteil geschaffen wurde, das Entwicklung und Geschichte nicht nur umkehrte, sondern daraus auch die Bedeutung des europäischen Menschen ableitete. Selbst die Darstellung von Yesus als blondem, blauäugigem, hellhäutigem Menschen ist dieser reziproken Sicht geschuldet. Am schlimmsten ist es wohl, dass nicht nur die selbst ernannte Oberschicht diese Umkehrung glaubt, weil sie sie glauben will, sondern auch die verdammte Unterschicht, weil sie sie glauben muss. Allenfalls gibt es einen zeitweiligen Adel des Geistes oder einen Adel des Herzens.
Wer jetzt allerdings moralische Aufrufe, die Welt vom Kopf auf die Füße zu stellen, erwartet, wird sich getäuscht finden. Die Welt dreht sich von allein. Alle Vorstellungen von einem Demiurgen sind anthropomorph. Sie stellen sich also einen Menschen als Lenker der Menschen vor, einen entrückten Menschen, einen gestorbenen und wieder auferstandenen Menschen, einen Menschenmenschen, aber eben einen Menschen. So wie es aber keine Triebkraft der Evolution gibt, denn Evolution ist ja nicht der Prozess, sondern seine Beschreibung, so gibt es auch keinen Antreiber der Menschen. Der Prozess der Evolution oder des menschlichen Lebens ist die Akkumulation und das Miteinander tausender und abertausender Teilprozesse. Das wahre Wunder ist der Konsens, nicht seine Beschreibung.
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Wir wissen nicht, welche Musik Emil Berliner bevorzugte, ob er überhaupt Musik liebte. Vielleicht liebte er, dem Vorurteil entsprechend, nur das Geld. Vielleicht hat er über seine Erfindung gar nicht nachgedacht, sondern sie nur ausgeführt, weil seine Frau ihm die Ausführung nicht zugetraut hat? Es ist über Emil Berliner und seine Brüder sträflich wenig bekannt, was auch mit der Atemlosigkeit der darauffolgenden Entwicklungen zu tun haben kann, aber es steht fest, dass sie die Welt in einen nie dagewesenen Schwung versetzte. Die Schallplatte hat gleichzeitig die zeitliche und räumliche Reproduzierbarkeit von Sprache und Musik ermöglicht. Das gleiche Musikstück in der nämlichen Interpretation konnte jetzt an jedem Ort und in jeder Zeit außer der Vergangenheit aufgeführt werden. Daraus sind vielleicht die falschen Gedanken der Identität und der Gleichzeitigkeit entstanden. Wenn ein Streichquartett spielt und gespielt wird und im Nebenraum die Aufnahme des gleichen Streichquartetts erklingt, so ist das weder wirklich gleichzeitig noch identisch. Wer das nicht glaubt, höre sich György Ligetis legendäre Komposition – Poéme Symphonique - mit den 100 Metronomen an.
Ungeachtet der Absichten der Erfinder stellt sich die Erfindung in eine komplexe Welt und macht sie noch komplexer, so komplex, dass wir ihr nicht mehr folgen können, obwohl wir mitten in ihr leben. Wir essen auch die Brötchen eines Bäckers, der bäckt, nicht damit wir, sondern auf dass er satt werde. Geschichte ist immer paradox, reziprok oder dilemmatisch, sinusartig, jedoch selten linear.
Aus der ständigen Anwesenheit von Geschichten ergab sich jedenfalls, dass wir die Ursachen gegenwärtigen Geschehens in gegenwärtigen Geschichten statt in Tatsachen suchen. Vielmehr haben wir erkannt oder glauben wir erkannt zu haben, dass es so gesehen gar keine Tatsachen, sondern nur ihre Interpretationen gibt. History und story waren früher zeitlich und räumlich getrennt. Die alten Israeliten glaubten die Gründungsgeschichte ihres Volkes und Staatswesens in des Hirtenjungen Davids Sieg über den Giganten Goliath. Aber das war lange her. Heute dagegen glauben wir nicht, dass ein böser Bube unsere Fensterscheiben eingeworfen hat, sondern wir nehmen lieber an, dass der Hausbesitzer einen noch böseren Buben angeheuert hat, der uns die Fensterscheiben einwirft, damit er die Miete erhöhen und/oder uns hinausekeln kann. Wir glauben sogar lieber Mythen als der Geschichte, weil die Geschichte weniger greifbar ist, als es die Mythen sind. Wir sehen in jeder Grippe eine biologische Waffe, so wenig logisch das auch sein mag, in jeder Gruppe, zu der wir nicht gehören, aggressive loser oder verlierende Angreifer. Periodisch tauchen Fremde oder Wölfe auf, um an unserem Reichtum zu nagen, den wir immer für verdient und für schwer erarbeitet halten.
Der Verlierer lebt eher im Konsens mit sich selbst als der Gewinner, der mit Mythen seinen Gewinn verteidigen zu müssen glaubt. Der geschäftlich erfolgreiche Mensch wird allerdings zum Mythos vom self made man gewöhnlich den Geiz als support hinzufügen. Hartherzigkeit ist in so zahllose Geschichten eingegangen, dass wir sie glauben müssen. Umgekehrt glaubt niemand an den Egoismus der Armen. Ihnen bleibt nur die Gutherzigkeit, da die Hartherzigkeit schon vergeben ist. Zur Geschichte und zum Mythos treten Dichotomie und Evidenz. Der Mythos lebt von der Gutgläubigkeit. Der Zweifel dagegen erschafft die Schallplatte und das Smartphone, das die Welt mehr verändern wird als heute irgendjemand auch nur ahnt.
Die Verlierer werden wissender, die Gewinner werden zweifelnder, die Regierenden werden transparenter, die Regierten mutiger – all das wird möglicherweise durch das smartphone befördert werden. Oder aber es wird, wie bei der Schallplatte oder beim Automobil schon in einer Generation Folgen geben, die heute niemand ahnt, weil er sie nicht ahnen kann. Zwar kann man einerseits nichts vermissen, was man nicht hat, aber andererseits kann niemand wissen, was er schon bald haben wird. Vielleicht führt bald, bald ein gegenseitiger Maximalkonsens vermittels technisch gestützter Empathie zu gegenseitiger maximaler Zuwendung.
Denn das smartphone und andere, noch nicht erahnbare Techniken verhelfen uns zur Verwirklichung unserer geträumten Imagines, statt starrer dummer Identitäten. Warum soll der Mensch weniger sein als eine Raupe, wenn er schon nicht mehr ist?