Im Mittelalter ging die Angst vor den Antipoden um, die auch von den herrschenden Eliten gestützt, dagegen von den meisten Wissenschaftlern nicht mitgetragen wurde. Sobald man anfängt zu denken, kann man Relativität einbeziehen. Solange man von Dogmen abhängt, bleibt man im Gefängnis der Absolutheit. Das gilt auch umgekehrt: nur das Gefängnis ist ein absoluter Ort, der kaum Relativität zulässt.
Denn zunächst brauchen wir die Bestätigung und den Zusammenhalt der Gruppe. Diese Grundsolidarität, aus der sich auch ein Grundvertrauen speist, das uns ein Leben lang begleitet, ist es auch, das die meisten von uns an die eigene Gruppe und deren Vorstellungen kettet. Deshalb haben alle uns bekannten Gesellschaftssysteme eine Ausschließlichkeit der Gedanken und Taten von uns verlangt. Und da ist der Haken: 'alle uns bekannten'. Wir halten das herrschende Narrativ für richtig, für mehrheitsgetragen und unwiderlegbar. Und das ist alles falsch. Erstens gibt es kein 'richtig'. Das Gegenargument, dass es dann auch kein 'falsch' geben kann, führt uns nicht weiter, denn wir operieren sozusagen im trial-and-error-Modus, der die nicht praktikablen Lösungen nicht bestätigt, die praktikablen dagegen relativiert. leichter gesagt: was heute richtig war, kann morgen falsch sein. es gibt kein richtig, das länger als die Zeit währt. Aber natürlich versuchen wir, Lösungen über den Tag zu retten. Man könnte auch sagen, jeder Konservatismus ist verständlich, aber unrealistisch.
Zweitens sind Lösungen der Gesellschaft eben nicht mehrheitsgetragen. An einem Krieg nehmen, das ist inzwischen sprichwörtlich, nur die jungen Männer teil. Ob sie nun von den älteren, konkurrierenden Männern absichtsvoll in den Tod geschickt werden oder ob die herrschende Elite tatsächlich glaubt, durch einen Krieg Land oder Ansehen zu gewinnen, das ist genauso unentscheidbar wie die Frage nach der Liebe, die möglicherweise echt und gegenseitig, aber genauso möglich auch taktisch und egoistisch sein kann. Tatsache ist nicht der Krieg, sondern das Narrativ des Krieges. Die Wahrnehmung von uns Menschen bezieht sich auf die Wirklichkeit und die Erzählung über die Wirklichkeit. Jahrtausendelang wurde der Krieg als legitimes Mittel eingesetzt, obwohl alle Religionen und Philosophien das Tötungsverbot haben. Alle Pazifisten wurden zu unmündigen Minderheiten erklärt: alle Frauen, alle Kinder, alle Greise, alle Kranken oder Behinderten, alle Denker. Krieg ist immer Kriegsgeschrei. So wie es keine Sklaverei von Natur aus gibt, sondern nur mit Gewalt, genauso gibt es auch keinen Krieg und keine Recht auf Tötung oder Eroberung. Das heißt nicht, dass es keinen Krieg, keine Tötungen und keine Eroberungen gibt. Wir rechtfertigen gern alle unsere Taten mit dem Verweis auf andere, nur ist Rechtfertigung eben keine Begründung von Recht. Recht kann nur durch Einverständnis entstehen. Das ist der Grund, warum wir plötzlich von Minderheiten umstellt sind, die nach Anerkennung rufen.
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Drittens ist keine Gedanke unwiderlegbar. Da sich die Wirklichkeit verändert, sei es nun zyklisch, periodisch oder grundstürzend, muss sich auch die Wahrnehmung, das Denken und letztlich die Erzählung ändern. Als Beispiel mag die Geschwindigkeit dienen: dem romantischen Dichter Eichendorff erschien die Eisenbahn mit ihren damals fünfzig Kilometern in der Stunde als Wahnsinn gegenüber dem Wandern, der große Industrielle und Politiker Rathenau schrieb von der Kilometerjagd des Automobils, und heute akzeptieren wir Eisenbahnen und Elektromobile nur, wenn sie spielend zweihundertfünfzig Kilometer in der Stunde schaffen.
Wir sehen die Welt mit den falschen Augen. Nicht die Welt ist pervers, sondern unser Beobachtungsstandpunkt. Böse sind immer nur die anderen. Oder haben wir schon von einem Staat gehört, der sich selbst zum Reich des Bösen erklärt? Herodes, Nero, Napoleon, Hitler, Stalin, Mao taten das Böse in Übereinstimmung mit der Mehrheit. diese Mehrheit gaben sie immer als demokratische Legitimation und Wahrheitsbeweis aus. Dabei ist es umgekehrt: das Böse ist die usurpierende Minderheit, die der Mehrheit einzureden versteht, dass dieses Tun rechtens, alternativlos und die Lösung aller Probleme ist.
Auch alle guten Ideen haben sich bisher immer nach diesem Muster pervertiert und pervertieren lassen. Das Böse kann leicht zum Zeitgeist werden. Wäre aber das Böse die bestimmende Kraft der Welt, dann würde es keine menschliche Welt mehr geben. Auch die Natur ist kein Gegenparadies der Grausamkeit, indem sinnlos mordende Raubtiere wüten. Der Wolf, der das überdrauf getötete Lamm vergräbt, sorgt vor. Die Verurteilung oder gar Verfolgung des Wolfs ist nach einem Blick in unsere Schlacht- und Kühlhäuser eigentlich unmöglich. Die Natur ist ein Wechselspiel, gelebte Dialektik, und kein Schauspiel der Grausamkeit.
Nie in der Weltgeschichte hat das Böse überlebt. Immer ist es beseitigt worden. Allerdings war oft eine Gruppe obsiegend, die sich dann selbst der Mittel bediente, die sie einst bekämpft hatte. Leider gilt unsere schöne Formel auch umgekehrt: noch nie ist es gelungen, das Böse ganz zu vermeiden. Ob nun gestützt oder nicht, finden sich immer wieder Gewalttaten und Gewaltherrscher, gegen die man lange machtlos scheint. Man darf sich nur nicht freiwillig unter ihre Herrschaft begeben, also zum Beispiel glauben, dass eine salafistische oder maoistische oder nazistische Gruppe Europa oder gar die Welt beherrschen könnte. Das mag im Irak oder in Syrien schwer gewesen sein, in Bochum und Berlin dagegen ist es leicht.
Schon Rousseau beschrieb mit seinen edlen Wilden Menschen, die nicht unter unserer Zivilisation lebten. Was innerhalb unserer Gesellschaft gilt, dass die Mehrheit Frauen, Kinder, Greise, Kranke, Behinderte und Denker sind, und nicht aggressive junge Männer geführt von vernichtungswilligen Greisen, weil sie selbst bald vernichtet sind, gilt nämlich auch weltweit: die Mehrheit der Menschen lebt immer noch in Dörfern und Waldsiedlungen, weitab von Krieg und Kriegsgeschrei. Die weltweit weitaus meisten Greise sind keine Generäle oder Kardinäle, obwohl diese Wörter gerade das suggerieren. Jede Behauptung über die Geschichte oder in die Geschichte hinein, ist immer eine Extrapolation unserer Vorstellungen in die andere Welt.
Deshalb ist unsere Angst vor den Antipoden die Angst vor uns selbst, die Angst, die anderen könnten so sein wie wir. Die Lösung ist, die Welt immer mit den Augen der anderen zu sehen versuchen. Die Mittel dazu sind der Dank und das Denken.