Plötzlich erinnern sich Menschen an den greisen Revolutionsführer Fidel Castro. Seinerzeit ist er im Westen wie im Osten eine Ikone gewesen, wenn auch nicht vom Rang seines begnadeten und trotzdem gescheiterten Genossen Ernesto Che Guevara. Weil der bei seinen kommunistischen Zeitgenossen, wenn nicht verboten, so doch auch nicht recht erlaubt war, mussten wir uns mit der Bürger- und Genossenschreckvariante Fidel Castro begnügen. Während unsere Partei- und Staatsführer stundenlange Reden schlecht von widerwilligen Blättern ablasen, sagte Fidel Castro das gleiche vier Stunden lang auswendig. Wir waren begeistert. Wenn wir spanisch verstanden und vier Stunden lang zugehört hätten, wären wir weniger begeistert gewesen. Im Grunde sprach er zwei Stunden gegen den amerikanischen Imperialismus. Dessen Zeit, so jubelte Castro rhetorisch mehr als wirkungsmächtig, sei abgelaufen. Obwohl er seit der Kubakrise hätte wissen können, als Politiker sogar wissen müssen, dass da etwas nicht stimmte. Kennedy war weltweit übrigens nicht weniger beliebt. Aber auch der zweite Teil seiner eigenen Rede hätte Castro eines besseren belehren können: die letzten zwei Stunden erklärte er, warum in Kuba weniger produziert als gebraucht wurde. Das lag zum einen wieder am amerikanischen Imperialismus, nämlich sogar doppelt: an der Zuckermonokultur, die einst die Amerikaner (?wer?) installiert hatten und am Handelsembargo, das Dwight D. Eisenhower, der immerhin schon einen Weltkrieg, den er nicht begonnen, gewonnen hatte, verhängte, nachdem Fidel Castro im Ergebnis seiner Revolution die US-Amerikaner enteignete. Zweitens aber, und das war die vierte Stunde seiner Rede, vielleicht hörten die Kubaner jetzt doch nicht mehr so aufmerksam zu oder hatten gar zuviel Kubarum getrunken, auch bei uns wurde bei Massenveranstaltungen sehr viel Alkohol konsumiert, jedenfalls waren laut ihrem Staats-, Partei-, Armee- und Revolutionsführer die Kubaner zwar qualifiziert, aber nicht so sorgsam, wie es zur Erfüllung ihrer Wünsche notwendig gewesen wäre. Zum Schluss musste selbst der Zucker importiert werden. Dieser Krug ging solange zu Wasser, bis er brach, und das war 1990.
Fidel Castro hätte drei Stunden seiner vielen Reden streichen müssen, er hätte sich selber Lügen strafen müssen, wenn er geglaubt hätte, dass die Amerikaner (‚Gringos‘), überhaupt der Westen, der von Kuba aus gesehen allerdings im Norden und im Osten lag, sich bewegen und entwickeln könnte. Castro war der felsenfesten Meinung, dass die Amerikaner mitsamt ihrem Westen zum Scheitern verurteilt waren. Von sich dagegen glaubte er, dass ihm die Geschichte recht geben würde. Dieselben Worte gebrauchte, vielleicht als Zitat, der Hilfsschuster Nicolae Ceaucescu kurz bevor er in einer kruden Mischung aus Rache und Zumschweigenbringen erschossen wurde. Seine Frau fragte sogar das Erschießungskommando, ob es nicht wüsste, dass sie, Elena Ceaucescu, eine der größten Wissenschaftlerinnen der Welt und die Mutter der Nation sei. Castro kannte auch die Verdorbenheit der katholischen Kirche gut und von innen, auch von ihrem Untergang war er überzeugt.
Vor diesem Hintergrund ist sein Satz aus dem Jahre 1973 zu verstehen, der jetzt plötzlich, aber nicht zufällig zitiert wird, dass nämlich die USA kommen werden, um mit uns, den Kubanern, zu sprechen, ‚wenn sie einen schwarzen Präsidenten und die Welt einen lateinamerikanischen Papst haben werden‘. All das ist in der vorigen und vorvorigen Woche eingetreten. Der lateinamerikanische Papst hat sich auf Kuba mit dem Patriarchen von Moskau und ganz Russland getroffen, um über den seit tausend Jahren währenden Streit zu reden. Im Ergebnis riefen sie ihre Völker auf, sich nicht zu streiten, so als ob sich die Völker und nicht die Patriarchen gestritten hätten. Ich bin sicher, dass die meisten Katholiken und Orthodoxen nicht wissen, worüber der Streit tausend Jahre lang ging. Das Merkwürdige an den Religionen und Ideologien ist, dass wenn zwei ihrer Anhänger zusammenkommen, ein jahrhundertelanger Streit beginnt. Vielleicht träumen sie deshalb vom ewigen Leben. Obama, der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, traf allerdings nicht mehr auf Fidel Castro, der aber sicher am Fernseher oder am Fenster saß, sondern auf dessen älteren Bruder, der im Laufe der Jahre immer mehr Funktionen übernahm.
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Fidel Castro hat damals ganz sicher gemeint, dass die USA niemals mit Kuba sprechen, niemals das Handelsembargo und die Blockade aufgeben werden. Er hat deshalb zwei aus seiner Sicht völlig absurde Vergleiche gewählt, die seiner Meinung nach zeigten, dass sich die USA und dien westliche Welt niemals ändern werden. Seine eigene Theorie, der Marxismus, der ja punktueller oder linearer Linkhegelianismus ist, sprach zwar immer davon, dass sich alles bewegt, verändert, gar revolutioniert (uns Bewohnern des Ostblocks hätte schon eine Evolution genügt), aber manches war eben einfach am Dauersterben.
Man kann heute nicht mehr streiten, was Castro damals gemeint hat: hat er vorausgesagt, was tatsächlich eintrat, oder wollte er im Gegenteil sagen, dass es so absurd ist, dass es nie eintreten könne. Es ist dies ein Beispiel dafür, dass selbst eindeutige Aussagen tatsächlich nur Interpretationen sind und keine Faktbeschreibungen.
Es gibt einen historischen Präzedenzfall, in dem ein viel berühmterer und philosophischerer Provinzführer einen ebensolchen absurden Vergleich brachte, um zu zeigen, dass es, trotz Gottes Allmacht und Prophetie des Sohnes Dinge gibt, die nicht eintreten werden. Obwohl die Bewegung, die sich später Christentum nannte, nur dann wirklich erfolgreich war, wenn sie sich mit der Macht zur Staatskirche vereinte und demzufolge auch horrende Reichtümer anhäufte, hat sie die Bibel nach einer gewissen Zeit nicht mehr verändert. Viele Muslime schließen übrigens daraus fälschlich, dass der Koran im Gegensatz zu Bibel nicht historisch sei. Jesus meinte mit seinem berühmten Wort, zeitweilig war es sogar sein berühmtestes, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in den Himmel kommt. Das steht dreimal in der Bibel und einmal im Koran (Markus 10,25, Lukas 18,25, Matthäus 19,24 und 7:40). Manche Forscher meinen, die Bibelstellen könnten auf einem griechischen Übersetzungsfehler beruhen und Jesus könnte gemeint haben, dass ein Tau, das auf griechisch dem Kamel ähnlich klingt, durch ein Nadelöhr einzufädeln sei, gleichviel meinte er etwas Absurdes. Andere glauben, dass Jesus eine bestimmte schmale Gasse in Jerusalem, die in ein sehr kleines Tor mündet, meinte, durch die man niemals ein beladenes Kamel treiben konnte, gleichviel meinte er etwas Absurdes. Er wollte sagen, dass Reiche nicht in dem Himmel kommen. Das ist keine Tatsache, sondern eine Interpretation, weil wir nämlich nicht wissen, was Jesus meinte. Es gibt tausend Bände Kommentar zu dem, was er alles gesagt und getan hat. Genau genommen müsste Jesus vorausgesehen haben können, dass die Armut ab-, also die Güte der Reichen zunimmt. Inzwischen gibt es Reiche, die durchaus in den Himmel gehörten, wenn wir ein Mitspracherecht hätten. Genausogut hätte Jesus aber meinen können, dass tausende Kamele pro Sekunde durch Mikronadelöhre passen: digital.
Das ironische Wort 'Provinzführer' bezieht sich einerseits auf Fidel Castro, denn Kuba ist nicht viel größer als Hohen Neuendorf, andererseits aber auf Jesus als er noch lebte. Aus Jesus ist dann Gottes Sohn, nach Meinung der Christen, ein Prophet, nach Meinung der Muslime, ein Überphilosoph, nach Meinung der Agnostiker, geworden. Das spricht für ihn.