Wer etwas sagt, will den Hörer erreichen, wenn nicht gar verändern. Aber er verändert sich auch selbst. Das Gehörte wirkt zurück. Das alte Aktion-Reaktion-Schema war nicht falsch, sondern nur zu einfach. Ganz ähnlich war das geozentrische Weltbild eine vereinfachte, empirische Sicht. Das Auge sieht nicht nur, sondern es projiziert auch unsere Sicht. Wir sehen etwas, und das Gesehene verändert sich. Viele Menschen projizieren das Gute, das sie tun wollen, auf den, der es tut. Das gilt – leider – und selbstverständlich auch umgekehrt: Viele Menschen projizieren das Schlechte, das sie tun wollen, auf den, der es tut. Sie stehen am Straßenrand und freuen sich über die Rache, zu der sie nicht fähig sind, vielleicht weil sie schwach sind, vielleicht aber auch, weil das starke und gute Prinzip des Verzichts auf Rache in ihnen wirkmächtig ist.
Das Automobil bleibt die passende Metapher. Es war der Traum der Menschheit von Freiheit. Allerdings ist er nicht allein durch ein einziges Vehikel zu verwirklichen. Dazu tritt noch der Mangel an Freizeit und Freizügigkeit, der überwunden werden muss. Ein allgemeiner Wohlstand musste eintreten, bis der Traum vom Ford für jeden, vom Volkswagen, verwirklicht werden konnte. Inzwischen zeigt sich, dass die Abhängigkeit vom Erdöl, von einer großen Geldmenge, die man jederzeit zur Verfügung haben muss, von Autobahnen Reparaturwerkstätten, Raststätten, Verkehrsregeln vielleicht schwerer wiegt als die Maximierung der Freiheit. Bei dieser Rechnung sind aber die Pferde, nach denen immer noch die Stärke der Automobile gemessen wird, unbeachtet geblieben. Zwar, so mögen einige argumentieren, gibt es heute viel weniger dieser schönen Tiere, aber, so halten wir dagegen, sie werden auch viel weniger gequält. Man kann sich die Allgegenwart der Pferde vor etwas mehr als hundert Jahren nicht mehr vorstellen. Jeder Mensch, jede Ware, jeder Gedanke wurde durch Pferde bewegt. Am schändlichsten war der tausendjährige Missbrauch der Pferde für Kriege. Im ersten Weltkrieg sind mindestens zwanzig Millionen Pferde eingesetzt worden, zehn Millionen starben. Ein Artilleriepferd hatte eine durchschnittliche Lebensdauer von zehn Tagen.
Das Leid aller dieser Tiere wurde durch das Automobil verhindert. Der Diesel- oder Benzinmotor wird durch den lange vorher erfundenen Elektromotor ersetzt werden, der Individualverkehr durch einen öffentlichen Verkehr.
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Aber wer ersetzt die Echokammern in den sozialen Medien durch die Wahrheit? Es ist uns immer noch nicht bewusst, dass es die ‚Wahrheit‘ nicht gibt. Wir haben all die tausenden von Jahren vor den sozialen Medien auch mit Filterblasen gelebt. Aber so, wie sich der Verkehr durch das Automobil individualisierte, individualisierte sich auch das, was wir für einen Fakt, für eine Wahrheit halten. Große Interessengruppen haben früher mit Argumenten und Gewalt daran gearbeitet, dass wir, die einfachen Menschen, genau das glauben, was als Wahrheit ausgegeben wird. Wahrheit wäre ja die vollständige Übereinstimmung des Fakts mit dem Gedanken. Aber dazwischen war doch auch früher schon das Auge, das Gehirn mit seinen Erfahrungen, der Wortschatz mit seinen Ungenauigkeiten, die Übertragung des Wortes. Das informationelle Weltall hat schon immer gerauscht, daran haben weder die elektromagnetischen Ultrakurzwellen noch die Bündelung von Informationen in riesigen Algorithmenkäfigen etwas geändert. Geändert hat sich die Reichweite des Reiseverkehrs und des Verkehrs der Gedanken. Geändert haben sich die Geschwindigkeiten. Geblieben ist die Angst.
Wir wollen nicht, dass sich fake news ausbreiten, aber wir wollen auch nicht, dass sie einer daran hindert. Gesinnungsterror ist das Merkmal jeder Diktatur. Wir wissen heute, dass die Hexen nur aufgrund von Denunziationen verbrannt werden konnten. Juden wurden von ihren Nachbarn angezeigt und ausgeraubt. Man kann jede menschliche Gruppe diskriminieren und denunzieren. Die Gestapo oder Stasi ist in jedem selbst.
Mit dem Mangel an Medien gab es auch einen Mangel an Wahrheiten und Lügen. Daher hat sich in uns allen die Vorstellung der einen Wahrheit und der einen Lüge festgesetzt. Wir alle erkennen Notlügen, Lügen aus taktischen Gründen. Wir erkennen sie nicht nur, wir erkennen sie auch an. Die Demokratie, die ja den gesamten technischem Fortschritt seit vielleicht hundertfünfzig Jahren begleitet, hat aber auch den Weg freigemacht für Minderheiten, für Wahrheiten, die der Allgemeinheit nicht schmecken. Das religiöse Bild vom schmalen Pfad der Wahrheit und main stream der Unglaubwürdigkeit hat sich neben der auf Mehrheiten basierenden Demokratie breitgemacht. Käme durch die Zeitmaschine ein toter Nazi auf dem Marktplatz von Saarbrücken oder Senftenberg an, würde er fragen, ja, was denn nun? Erkenntnistheoretisch sind wir alle Nazis, indem wir glauben wollen, dass einer die Wahrheit weiß. Wer Schwarze oder Schwule als gleichberechtigte Mitbürger haben will, muss auch mit Nazis leben. Man kann nicht auf der einen Seite aussortieren, was man auf der anderen Seite haben will. Die Welt ist nicht in links und rechts oder schwarz und weiß gespalten. Spaltungen sind immer zeitlich begrenzt, Vereinigungen aber auch. Wer sich Algorithmen als Mentoren wünscht, hat nicht verstanden, dass Facebook keine Quelle, sondern ein Echo ist.
Die Umwandlungen von Gedanken in Worte und von Worten in Botschaften einerseits und elektrische Signale und elektromagnetische Wellen andererseits ist von Unschärfen begleitet. Diese Unschärfen hat es schon immer gegeben. Stellen wir uns einfach vor, einer unserer Vorfahren rief seinen Kollegen zu, dass im Hohlweg ein Bär steht, so war das nicht nur eine Warnung, sondern auch eine Quelle von Missverständnissen. Wir kennen alle den berühmten Satz von Antoine de Saint-Exupery. Vielleicht fand er ihn über dem Mittelmeer, als sein Funkgerät rauschte. Ein Funkgerät, das SOS sendet, hofft, dass es für eine Quelle gehalten wird. Wie oft liest man aber in Todesanzeigen, dass der Tod für den oder jenen eine Erlösung gewesen sei.
So ist es heute: Jemand ruft, dass der Papst Trump unterstützt oder Erdoğan ein Kurde ist oder die Merkel in direkter Linie von Rothschild abstammt und gesteuert wird. Manche glauben es und andere glauben es nicht. Alle drei willkürlichen Aussagen, davon abgesehen, dass es keine Wahrheiten sind, beruhen auch auf einer falschen Grundvoraussetzung, dass nämlich Herkunft wichtiger sei als Gegenwart oder Zukunft.
Damals sagten die Menschen take care und heute sollten sie es auch sagen und meinen und glauben.