ist freiheit unordnung?
Freiheit ist wie ein Vakuum und so gesehen wenig wünschenswert. Ordnung dagegen ist wie eine heillos mit Regeln überfüllte Rumpelkammer. Trotzdem gibt es nur zwei Lebensalter, in denen wir Freiheit der Ordnung vorziehen: die Pubertät und das Greisenalter. Im Greisenalter müssen wir keine Rücksichten mehr nehmen, aber es entsteht der gleiche Widerspruch wie in der Pubertät: wir wollen unabhängig sein und sind noch oder schon wieder abhängiger als dem freiheitssüchtigen Menschen recht sein kann. Die durch Ordnung gebändigte Abhängigkeit wird am deutlichsten in der abhängigen Erwerbsarbeit. Sie zeigt auch das Dilemma, in dem wir stecken, dass die Vorbedingung identisch mit dem Endergebnis ist. Es ist schwer, aus diesem Zirkel wenigstens soweit herauszukommen, dass mehr als ein Grabstein von uns bleibt. Das Leben darf nicht die Reise sein, die man nur macht, um von ihr erzählen zu können. Denn wir wissen alle, auch wenn wir es lange verdrängen, die Reise endet genauso wie die Erzählung.
Die Kritik an der Freiheit meint also eher die Kritik an dem weltfremden Wunsch nach dem Vakuum der absoluten Unabhängigkeit. Denn sobald ich mich auf einen anderen Menschen zubewegen, und sei es, um ihm zu helfen, begünstige ich eine doppelbindige Abhängigkeit, die des Schutzsuchenden an mich und meine an die Hilfsbedürftigkeit. Ein beliebter Vorwurf der Ignoranten ist also das Helfersyndrom. Man könnte statt dessen sagen, hätten alle Menschen das Helfersyndrom, wäre die Welt zwar nicht problemlos, aber wenigstens ohne Not. Etwas nicht zu tun aus Angst, dass das Ergebnis nicht das gewünschte sein könnte ist absolut unsinnig. Das Ergebnis ist so wenig das gewünschte, wie es überhaupt Dinge mit nur einer Ursache gibt. Es gibt keine. Am leichtesten kann man sich Multikausalität vorstellen, wenn man ein weißes Blatt Papier vor sich auf den Tisch legt und versucht, einen Gedanken, den man gerade hatte, darauf schriftlich auszuführen. Man schreibt immer etwas anderes, als man denkt. Und man denkt immer etwas anderes, als man gerade schreibt. Da helfen, glauben die Ignoranten, nur Regeln. Ja, sagen die Neinsager, da helfen Regeln nur insoweit, wie sie zeitweilig und provisorisch gemeint sind, weil Regeln, Gesetze, Ordnungen und selbst Traditionen immer nur zeitweilig und provisorisch sein können.
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Wenn wir uns ein Kind vorstellen, das laufen lernt, so ist es auf unsere Hilfe angewiesen, es schwankt von Elter zu Elter, deren Plural ihm zum ersten Mal bewusst wird, ist an das Gefühl gebunden, welches ihm fragile, manchmal durch Jähzorn oder Unfähigkeit gebremste Sicherheit gibt, aber es ignoriert seinerseits die Regeln der Ignoranten. Unter Ignoranten wollen wir in diesem Text Menschen verstehen, die tatsächlich glauben, dass ein Leben nur die eine Dimension der Ordnung hätte, sie glauben es sogar zu wissen. Allerdings wird der Spielball der Fakten immer schneller. Die Notwendigkeit eines Regelwerks wird durch seine Umstürzbarkeit aufgehoben und neu bestätigt. Das Leben hat keine Leitplanken, und sie sind für Motorradfahrer wenig hilfreich. Das Leben ist überhaupt, und wem sage ich das, keine Spazierfahrt in einer selbstbeweglichen und selbstnavigierenden Kutsche, sondern eher die unsichere Fahrt mit einem Mountainbike, das Kraft und Navigation und Geschicklichkeit, Erfahrung und Innovation von uns verlangt.
Auch wenn man das schon tausende Lebensalter währende Dilemma von Freiheit und Ordnung betrachtet. kommt man auf nur eine mögliche, aber selbst wieder dilemmatische Lösung, die so fragil ist, wie der Mensch oder Gott selbst: die Liebe. Sie bindet uns nicht nur an einen Menschen und die Menschheit, sondern auch an uns selbst.
Alle Energie wird Bindung und alle Bindung wird Energie, wenn sie nicht durch zu viel Ordnung und Tradition unnötig gebunden sind. Und Energie ist die Vorbedingung und das Ergebnis der Freiheit. Freiheit ist, hinter den verworfenen Regeln den übergreifenden Sinn zu ahnen. Wenn die Vorbedingungen der Freiheit Bildung und Bindung sind, dann ist ihr Ergebnis Liebe.