Makro- und mikroperspektivisch gehen wir immer von uns aus. Wir beurteilen oder verurteilen den Fremden nach unseren Maßstäben. Gott und Tier und Pflanze müssen wir erst in der Vorstellung zu Menschen machen, damit wir sie verstehen. Auch Prozesse stellen wir uns anthropomorph vor: das berühmte Bild von der kaputten Uhr, die ein blinder Uhrmacher wieder zusammensetzen muss, ohne dass er sie vorher gekannt hat. Die Uhr ist ein von Menschen geformter und mit Zwecken ausgerüsteter Gegenstand, also, folgern wir, muss die Nachtigall, die vor unserem Fenster singt, ebenfalls ein Gegenstand sein, den jemand hergestellt und verzweckt hat. Der Baum, so haben wir es in unserer mittelalterlichen Schule gelernt, ist dazu da, uns Sauerstoff zu liefern. Es ist verzwickt, dass wir uns die Welt immer nur andersherum vorstellen können, eben von uns aus gesehen.
Adam Smith, der Vater der Nationalökonomie, erklärte das wahre Wesen des Bäckers, der, wie wir, nichts will, als sich erhalten. Ein Rechtsanwalt oder ein Zeitungsschreiber hat, außer dass er sich erhalten will, auch noch seinen gesellschaftlichen Status als Ziel. Der alte Bach schrieb am Samstagabend für den Sonntag, nicht für den Weltruhm. Der Weltruhm war die Zugabe. Und Beethoven, 1809 auf dem Gipfel seines Ruhm, las in der Zeitung, dass das letzte lebende Kind des alten Bach in Not lebt, überwies prompt 307 Gulden, eine stattliche Summe, die alle ihre Probleme löste und Erwartungen übererfüllte, wie sie ebenso prompt mit Freudentränen in den Augen Beethoven antwortete. Es geht um Versorgung. Die Arbeitsteilung bringt immer kompliziertere Verwicklungen hervor, umso wichtiger festzustellen, dass Lord Zuckerberg nicht die Weltherrschaft wollte, sondern eine leichtes Leben. Das alles heißt ja nicht, dass wir nicht dem Bäcker und Bach und Beethoven und Lord Zuckerberg dankbar sein können und sogar sollen. Wir können auch dem Baum dankbar sein und seine Würde achten. Aber er ist nicht in einem blinden Uhrwerk für uns erschaffen worden, damit wir ihn verheizen. Andererseits müssen wir uns auch nicht wegen all unserer Schuld verkriechen, nur weil wir die einzigen sind, die Schuld erkennen. Wir bleiben eine Art unter Arten und richten Schaden und Nutzen an, wie wir ihn verstehen. Allerdings ist selbst unser wissenschaftlicher Verstand nicht in der Lage, alle Ursachen oder alle Folgen eines einzigen Gegenstandes oder einer einzigen Erscheinung zu erfassen.
Es wäre natürlich schön und wünschenswert, wenn unsere Vernunft uns hinderte, noch mehr Schaden anzurichten als die sprichwörtlichen alttestamentarischen und aktuellen Heuschreckenschwärme, die ganze Dörfer und Landschaften auffressen können. Wir würden schon wieder gern die falsche Frage stellen: vielleicht hat selbst die Inflation der Heuschrecken einen Zweck? Baruch d'Espinoza ist aus der Amsterdamer jüdischen Gemeinde ausgeschlossen worden, weil er schrieb, dass ein Gott, der einen Zweck hat, keinen Sinn hat. Der Sprachgebrauch war allerdings noch hundert Jahre nach Spinoza, wie wir ihn meist nennen, ungenau: Ende, Zweck und Sinn fielen mehr oder weniger zusammen. Der Streit allerdings, ob den Dingen ein Zweck schon innewohnt, tobt von der Antike bis heute munter fort. Insofern ist es nicht peinlich, zu einer Partei zu gehören. Viel spricht für intelligent design, aber wahrscheinlich noch mehr dagegen. Wir haben hier schon oft geschrieben, dass die intelligenteste Lösung dieses Streits von Darwin selbst stammt, der ihn auf den Gipfel trieb, nämlich, dass Gott nicht nur die Welt der Dinge, sondern auch die Welt der Prozesse, das methodische Material lieferte, die Evolution in der Schöpfung schon anlegte. Selbst Einstein, der nicht in die Synagoge ging und Gott mit physikalisch-philosophischen Scherzen* eher ausschloss, stellte sich einen menschengestaltlichen Gott vor, der würfelt oder nicht würfelt. Das alles heißt ja nicht, dass wir nicht jeder Religion und vor allem jedem religiösen Menschen mit großer Achtung und Ehrfurcht begegnen sollen. Allerdings bleibt zu bezweifeln, ob all diese religiösen Vorstellungen nicht in den nächsten tausend Jahren mit der Kunst und der Philosophie zusammenfallen werden. In der Kirche Santa Maria Novella in Florenz, gleich neben dem Bahnhof, ist das berühmteste Bild von Masaccio zu sehen, das die Trinität mit nur zwei Teilnehmern zeigt: Gottvater und Gottes Sohn. Aber wo ist der Heilige Geist, fragt man nicht nur zu Pfingsten. Und Masaccio hat die Antwort auf seinem Bild gegeben, das genauso Kunst wie Philosophie wie Religion ist. Der Geist ist die Perspektive.
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Aus dieser Allgegenwart der Teleologie ergeben sich zwei Erscheinungen der modernen Welt: die Vermenschlichung der Maschinen und die Verschwörungstheorien. Beides gibt es in zunehmender Form seit dem Mittelalter. Wir erinnern an den Schachautomaten von Johann Nepomuk Mälzel, der aber Schachtürke hieß und ein Fake war, allerdings so grandios, dass die geistreichsten Schriftsteller der Zeit all ihren Geist bemühen mussten, um das Rätsel nach vielen Jahren zu lösen. Sein Nachfolger ist das Smartphone, das so vielen Menschen Menschenersatz ist. Für Beethoven baute Mälzel übrigens den Metronom. Seitdem wechselte die Priorität in der Musik von der Melodie und der Harmonie zum Rhythmus.
Verschwörung ist heute nicht mehr nur Brunnenvergiftung, die es aber auch noch gibt. Der Vorwurf der Verschwörung richtet sich wieder einmal gegen die Eliten, die mit der Demokratie ein neues Gesellschaftsmodell entwarfen. Früher litt das Volk unter den Führern, heute leidet es unter dem Führermangel. Jeder, der sich nicht selbst führt, muss leiden. Das gilt auch für Schmerz und Krankheit. Rousseau hat das als erster erkannt, hatte aber gleichzeitig furchtbare Angst vor Verfolgung und Erkältung. So ist der Mensch. So sind wir.
* Einstein soll einem Kardinal, der ihn für die Kirche gewinnen wollte, gesagt haben, dass er einträte, wenn der Kardinal zwei Fragen beantworten könne, erstens, ob Gott allmächtig, und zweitens, ob er demzufolge fähig sei, einen Stein (EIN STEIN) zu machen, den er selbst nicht heben kann.