Ich will mich lieber zu Tode hoffen, als durch Unglauben verloren gehen.
I
In Deutschland verschwinden in jedem Jahr tausend Menschen. Durch Altern oder Wandern können wir uns nicht verloren gehen. Auch nach allen Metamorphosen bleiben wir uns innerlich immer gleich. Das soll nicht heißen, dass wir uns nicht entwickeln, aber wir entwickeln uns nicht aus uns heraus. Auch die Natter bleibt sie selbst ohne ihr Natternhemd. Das Gesicht verändert sich, der Körper mag stark oder schwach werden, aber wir sind immer noch der oder die, die wir waren, als wir die Hand unserer Mutter oder unseres Vaters suchten, um im Gedränge des Lebens nicht verloren zu gehen. Dieses Urvertrauen ist nichts anderes als der Glaube, der uns unser ganzes Leben begleitet, begleiten muss. Wir können nicht nichts glauben, genauso wie wir nicht nichtkommunizieren können. Durch die Kommunikation versichern wir uns, dass der andere noch da ist und nur so können wir unsere eigene Existenz wahrnehmen. Glauben ist das Fundament des Lebens, Wissen ist das Attribut des Glaubens. Wer weiß, dass er nichts weiß, ist deshalb noch lange nicht verloren. Erst wenn wir nicht mehr glauben, dass wir uns finden können, wird es uns nicht mehr geben. Glauben ist immer absolut, Wissen dagegen relativ, an einen Zeitpunkt gebunden. Jede Generation hält ihr Wissen für den Gipfelpunkt, schon die Eltern werden als Unwissende verurteilt. Dagegen hat der Glauben keinen Gipfel, sondern ist immer wieder zur Tiefe fähig.
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Ein Variante des Glaubens ist das Hoffen. Es macht uns nur dann zum Narren, wenn wir auf ganz Unwahrscheinliches hoffen. Im Hoffen liegt genauso viel Scheitern wie im Tun. Scheitern widerspricht weder dem Glauben, noch dem Hoffen oder der Tat. Vielleicht war mit der Verurteilung des Hoffens auch unser ständiges Glauben an Kausalzusammenhänge gemeint, das sowohl zu unsinnigen Fragen wie auch zu überflüssigen Antworten führen kann. Niemand kann beantworten, warum etwas passiert. Die meisten Tatsachen haben mit uns nichts zu tun, ja sind selbst nur Interpretationen. Aber wir können mit den Tatsachen zu tun haben: 'wer Gutes vollbringt, dem wird Besseres als das' (27:90; 28:85) oder 'suchet, so werdet ihr finden' (Matthäus 77). Bei aller dankbaren Wertschätzung der Meditation, wie sie im Beten oder Denken oder Schweigen Gewinn bringt, sind wir doch immer aufgefordert, zum besten unserer Mitmenschen und damit für uns selbst zu handeln. Wer hilft, verbessert die Gesamtsituation, das ist die Lösung des Allmendedilemmas und die Summe aller Ethik.
Wir können mit dem Tod nur leben, weil wir nicht an ihn, sondern an uns glauben. Jeder Mensch lebt fort, aber je länger er lebt, je mehr er tut, je mehr Kinder und Schüler er hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass mehr als ein Stein von ihm bleibt. Es wird ein besseres Sterben, wenn wir glauben oder hoffen oder sogar noch etwas tun können. Das Geheimnis des Todes gleicht dem der Geburt, schreibt Rumi ('Der Weg, der sich bewegt wie du';). Trotzdem bleibt der Tod etwas Schweres, von dem wir nicht glauben, dass wir es tragen können. Jeder Trost ist uns recht.
II
'Gott ist in uns allen' zu sagen, ist nichts neues und doch können wir uns wundern, wo er überall gesucht und besucht wird. Die Häuser, die wir ihm bauen, vom Felsendom in Jerusalem bis zur wunderlichen Dorfkirche von Ludorf, sind indessen unsere Häuser. Wir haben sie erbaut, um in ihnen erbaut zu werden. Sie sprechen zu uns, sie sind unser Echo und manchmal auch unsere Zuflucht oder Zuversicht. Aber sie bleiben zerbrechliche Häuser. Genauso ist es mit den Gruppen. Jede Gruppe ist Therapie. Aber die Gruppen sind fragil und vergänglich. Ihre Interpretationen verändern sich. Die Veränderung ist in die Welt hineingeschaffen. Sie ist am besten beschreibbar mit dem Gesetz der großen Zahl, so wie die Metapher für Harmonie der Goldenen Schnitt ist. Aber viele empfinden auch die Symmetrie als vollkommene Schönheit. Mathematik ist nur perfekt, weil sie nicht wahr ist. Insofern war das Bilderverbot überflüssig, denn man kann sich kein Bild machen, das übereinstimmt, auch keine mathematische Formel. Dennoch sind Bilder und Formeln und Gleichnisse hilfreich. Auch die so sichere Naturwissenschaft besteht aus Metaphern. Der Kern unseres Verhältnisses zu Gott steht in der Bergpredigt (Matthäus 5-7) und in der Sure 29, jeweils ist die Thora eingeschlossen: Wir können uns ein Haus der Interpretationen bauen, aber es wird fragil sein wie das Haus der Spinne oder die Hagia Sophia (29:42); wenn dich jemand nötigt, eine Meile mit dir zu gehen, so gehe zwei Meilen mit ihm (Matthäus 541). Daraus folgt, dass jeder Streit innerhalb der Religionen und zwischen den Religionen überflüssig ist. Religionen sind Interpretationen. Nur Gott selbst kann nicht veralten. Der Koran, die Bibel oder die Thora können nicht zwischen Gott und den Menschen stehen, wenn Gott tatsächlich im Herzen der Menschen ist. Dass er es ist, zeigt und zeugt der unerschütterliche Glaube, der die Menschheit von Anbeginn begleitet. Seine unterschiedlichen Formen und Bekenntnisse und Bücher dürfen uns nicht hindern, Gott, der in jeder Seele ist, zu bezweifeln.
Der Rest ist keinesfalls Schweigen (Shakespeare), denn wenn wir erkannt haben, dass Gott in uns ist, dass Gott Liebe ist und Vergebung, Heil und Auferstehung, Hilfe und Gabe, dann kann es keine Differenzen zwischen Menschen geben. Das ist auch immer wieder leicht erkennbar. Davon ist die Welt voll, davon sind die Bücher voll: nur, wer glaubt Recht zu haben, verweigert Menschlichkeit, niemals, wer recht glaubt, nämlich an Mitmenschlichkeit.
Natürlich kann man jetzt einwenden, wie unterscheidet sich diese Art von Sozialromantik von Freitags- oder Sonntagspredigten? Sie unterscheidet sich nicht, sie will sich auch gar nicht unterscheiden. Es geht eben nicht darum, dass eine Lehre, ein Buch, eine Gruppe Recht hat, sondern dass wir alle das Leben der Menschen verbessern. Gott und die Menschen hängen so zusammen wie der Baum und die Erde. Deshalb sollten sich alle Religionen vereinigen, alle ihre schönen Häuser allen Menschen zur Verfügung stellen, all ihre weisen Rabbiner, Priester und Imame, ihre Mönche und Nonnen, ihre Lehrer und Diakone sollten mit uns allen sprechen. Viele tun das auch jetzt schon. Aber es gibt immer wieder Rückfälle in den Streit der Gruppen, der doch nichts ist als ein Streit der Fakultäten. Keiner kennt den Weg, aber wir alle zusammen können ihn suchen.
Anmerkung
Im Tal der Düssel ist in der Mitte des 17. Jahrhunderts etwas Merkwürdiges passiert: es ging ein Mann lange nach seinem Leben in die Wissenschaftsgeschichte, sogar in den Begriffsapparat der Wissenschaft ein, der ganz und gar in die Geschichte des Glaubens gehört, nicht nur weil er einige Dutzend tiefreligiöser Lieder geschrieben hat, sondern weil er so fromm und charismatisch war, dass seine begeisterten Zeitgenossen ein Tal nach ihm benannten. Er starb schon mit nur dreißig Jahren und soll auf dem Sterbebett unseren Satz gesagt haben. Aber damit nicht genug, zweihundert Jahre nach seinem Tod wurden in dem nach ihm benannten Tal Knochen eines ausgestorbenen Menschen gefunden, der eine Nebenlinie zu dem heute lebenden homo sapiens darstellt. Neander war die griechische Übersetzung von Neumann, es war damals Mode und Zeitgeist, seinen Namen zu gräzisieren oder zu latinisieren. Der Koran ist weitaus poetischer als die Bibel, hätte Neander die Bibel geschrieben oder auch nur übersetzt, wäre sie poetischer. Joachim Neander war ein pietistischer Pfarrer, der sein Studium nicht abschloss, der nicht ordiniert wurde und der von 1650 bis 1680 in Bremen, Düsseldorf und Mettmann lebte.