Die Argumente, wenn man sie überhaupt als solche zählen will, der neurechten Bewegungen tänzeln nicht nur auf sehr dünnem Eis, sondern werden auch kampagnenmäßig verbreitet, oft auch nicht ganz leise, so als fürchte man, überhört zu werden. Aber es ist ja gerade umgekehrt: große Teile der Medien und mit ihnen der entsprechend größere Teil der Bevölkerung wartet auf die nächste Runde. Zum Beispiel könnte die AfD einen Vorschlag zu einem neuen Rentensystem machen.
Der Bismarcksche Generationenvertrag, der die familiäre Obhut ersetzte, geriet durch den demografischen Wandel, den es in allen wohlhabenden Ländern seit etwa hundert Jahren gibt, ins Wanken. Das ist also nicht die Schuld einer aktuellen Bundesregierung. Überhaupt ist die ahistorische Sicht, das Starren auf den Augenblick, ein merkwürdiges Kennzeichen des neurechten Diskurses.
In den allerdings umstrittenen Gesprächen Adolf Hitlers mit dem später abtrünnigen Danziger Senatspräsidenten Rauschnigg heißt es denn auch, dass Hitler sehr wohl bewusst war, dass der Begriff der Rasse aus der Tierzucht stammte und er, Hitler, versuchen würde, dem deutschen Volk eine ahistorische Sicht aufzudrängen. Am meisten verwundert dabei die Verwendung des Begriffes ‚ahistorisch‘, denn bekanntlich hatte sich Hitler in seiner Schulzeit lieber mit Kriegsspielen und Opernpfeifen beschäftigt und seine Bildung später aus antisemitischen Broschüren im Obdachlosenasyl (‚Männerheim‘) nachgeholt.
Schenk uns bitte ein Like auf Facebook! #meinungsfreiheit #pressefreiheit
Danke!
Statt uns also mit – beispielsweise, denn es gibt noch weit mehr Probleme – einem neuen Rentenmodell zu erfreuen, statt also konstruktive Politik zu betreiben, verdrießt uns die AfD, von NPD und anderen Splittergruppen ganz zu schweigen, mit immer weiteren möglichen Dekonstruktionen. Selbst in der Kommunalpolitik glänzen diese neurechten Gruppen nur durch dekonstruktive Ausfälle. So gibt es Anfragen zu Inzest, Kriminalität und Einwanderung, obwohl das keine der drängenden Probleme unserer Zeit sind.
Die Einwanderer könnten, so wird immer wieder unterstellt, sei es durch ihre fremde Kultur, durch ihre Religion oder durch ihre traditionelle Fortpflanzungshaltung, die deutsche Bevölkerung sozusagen unterwandern, aushebeln und schließlich austauschen. Diese archaische Angst vor dem Verlust der sexuellen Oberhoheit, davon abgesehen, dass sie zutiefst frauenfeindlich ist, entspricht einem alten antisemitischen Stereotyp. Wahrscheinlich ist dieser Stereotyp noch älter und überhaupt xenophob. Es beruht auf einem ganz einfach zu durchschauenden Denkfehler, der bis in den Jugoslawienkrieg hinein als mörderisches Politikelement verwendet wurde. Der Denkfehler besteht in der Umkehrung der weiblichen und männlichen Rolle bei der Fortpflanzung.
Eine Frau kann praktisch pro Jahr ein Kind bekommen, theoretisch weicht die Zahl etwas ab. Ein Mann kann in einer Nacht tausend Kinder zeugen. Wenn man also einem Volk durch Nichtfortpflanzung schaden will, muss man die Frauen von der Fortpflanzung fernhalten, nicht die Männer. Da aber dieses biologische Phänomen durch das kulturelle Rollenverständnis des dominanten Mannes überlagert wurde und ohnehin fast nur im männerdominierten Krieg wirksam war, konnte man von den biblischen Zeiten her, dem nordamerikanischen Rassismus, über Himmlers sexuelle Germanisierungsfantasien bis hin zum versuchten Genozid in Bosnien und Ruanda diese schrecklichen ‚Umvolkungs‘pläne und -taten beobachten.
Da von neurechter Seit immer wieder auf den Genozid an den Ureinwohnern Amerikas hingewiesen wird, muss man deutlich sagen, dass die Rassisten die Mörder waren, während heute Rassisten versuchen, die Einwanderung zu stoppen. Der Goldschatz der Azteken wurde aus Goldgier und rassistischer Verachtung eingeschmolzen.
Jedoch kann man eine Kultur nicht auslöschen, so wie das Weihnachtslicht der Abglanz aller Lichtkulturen, also aller Kulturen ist. Eine einmal aufgestoßene Tür kann man nicht wieder schließen. Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit sieht – alle Jahre wieder, seit 2000 Jahren – das sinusförmige Hin- und Herwanken der Kulturen, das eben kein Kampf im Sinne von clash* ist. Die verschiedenen Kulturen streben zueinander, weil sie den gleichen Kern haben. Alle Versuche der Segregation, der Hierarchie und der Hegemonie im kulturellen Sinn sind daher gescheitert und werden auch weiter scheitern. Globalisierung, wie böse sie auch angefangen haben mag – wir schreiben hier immer: 1444 mit dem ersten Sklavenschiff – ist weder rein wirtschaftlich zu begreifen noch ist sie die Fortführung der alten Politik mit neuen Mitteln.
Vielmehr wird Globalisierung die neue Qualität des menschlichen Zusammenlebens sein, wenn es gelingt die Probleme der Menschheit weiter zügig zu lösen. Während die drei Kernprobleme: Krieg, Hunger, Pest fast überwunden sind, tun sich neue Probleme auf, indem viele technische Problemlösungen unabsehbare Kollateralschäden hatten, allen voran das Energieproblem, besonders mit fossilen Brennstoffen.
Der von Spengler** vorausgesagte Untergang des Abendlandes tritt genauso wenig ein wie der immer wieder von den Zeugen Jehovas prognostizierte, zuweilen auch mit Datum versehene Weltuntergang. Beide beruhen auf dem Denkfehler der Definition. Eine Definition hält einen Wissensfluss an und ist demzufolge nur didaktisch wahr, nicht aber wirklich. Sie ist eitel und vergänglich. Aber die Welt ist sozusagen nicht die Definition eines noch so Hegelschen Demiurgs, man kann sie nicht anhalten. Vielmehr wissen wir seit 1862, als Clausius mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ein lineares Welt- und Naturbild decodierte und stattdessen erkannte, dass die energetische Hauptgröße der Natur die Entropie ist: ‚Denn alles, was entsteht. ist wert, dass es zugrunde geht.‘***
Einige Jahre zuvor, 1822, decodierte Champollion die Hieroglyphen und erkannte damit die Banalität des Göttlichen, das man zuvor in jeder Schrift gesehen hatte. Der umgekehrte Vorgang, die Codierung komplexer und immer komplexerer Zusammenhänge und Prozesse in einem banal-dualen Zeichensystem ist die Grundlage dafür, dass sich die Kulturen, die ohnehin aus einem Punkt in Afrika stammen, weiter und schneller einander annähern werden. Ohnehin waren sie nie gegensätzlich, und der ideologisch nicht deformierte Mensch, der früher seltener war als heute, hat das auch immer schon so gesehen.
Von solchen Gedanken ist das ahistorische und detailverliebte Geschwafel der neurechten Argumonteure weit entfernt. Aber selbst ihr selbsternannter Oberschreiber, Spengler, intellektuell weit über Kubitschek und seinesgleichen stehend, singulär auf weiter Flur, ungeheuer belesen und bewundernswert eloquent, konnte nicht aus dem Schatten seiner eigenen ideologischen Beschränktheit treten. Ein fast formelhaft geschnitzter Satz, der daraus seinen Wahrheitsgehalt ziehen zu können glaubte, erweist sich als Bumerang: ‚Die Judengasse‘, schreibt er auf Seite 950, ‚ist der gotischen Stadt um tausend Jahre voraus.‘
Das klingt einleuchtend und objektiv und ist doch nicht nur der Gipfel pseudowissenschaftlicher Verlogenheit, sondern auch eine tragische Verkehrung der Tatsachen. Wenn es tatsächlich ein Voraus und ein Hinterdrein einer linear vorgestellten Geschichte in gut Hegelscher Tradition geben sollte, dann hätte die Schlussfolgerung aus der Spenglerschen Formel heißen müssen: dann lasst uns die vorauseilenden Kenntnisse der Judengasse schnellstmöglich in die gotische Stadt integrieren.
In tausend Jahren werden wir gesehen haben, was aus dem afrikanischen Dorf zu lernen war.
*Samuel P. Huntington, The Clash of Civilizations, 1996
**Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1923
***Goethe, Faust I, Vers 1339f.