Es geschehen manchmal Zeichen und Wunder. Obwohl die Presseagenturen rein gar nichts unterließen, um die Objektivität zu unterlassen, obwohl rund um die Uhr Panik geschürt wurde und Horrorszenarien an schwarzgefärbte Wände gemalt wurden; die Briten haben dennoch Nein gesagt. Noch in der Nacht vor Auszählung der letzten Wahlstimmen waren alle Artikel schon gedruckt. Man ging eigentlich überall im Machtbereich der EU-Eliten davon aus, dass das scheue Volk sich von den Argumenten beeindrucken lassen würde, die mit verbissener Häme und gleichgeschalteter Penetranz die Sender und Printmedien überfluteten.
Dann gab es am Freitagmorgen aber eine nicht erwartete Überraschung.
Niemand weiß, was mit den Machteliten an diesem Tag los war und niemand kann sagen, was die Wahlhelfer denn falsch gemacht haben. Es muss irgendetwas im englischen Tee gewesen sein, denn das Wahlergebnis der Briten zum EU-Verbleib oder Austritt ging völlig entgegen aller Erwartung diesmal zu Gunsten der Freiheit aus.
Mit einem zwar knappen Ergebnis von annähernd 2 % im Plus siegte der Wille der Briten, die nicht mehr Teil des Supergebildes sein wollen, das alle Völker in Europa in einem bürokratischen Würgegriff hält.
Als das Ergebnis der Wahl bekannt wurde, hatten alle Beteiligten einen gehörigen Kater. Es mussten nun alle vorbereiteten Siegeserklärungen der EU umgeschrieben werden und tatsächlich dauerte es eine gewisse Zeit, bis die politischen Vertreter und Qualitätsjournalisten sich einen Reim auf die aus dem Ruder gelaufene Abstimmung machen konnten. So sah man nur sehr dünne Kommentare, die sich mit einem Wort begnügten. „Outsch“ und „Damn“ und „Fuck“ und ähnlich qualifizierte Kommentare konnte man da vernehmen, die allesamt eindrucksvoll belegten, dass es um die Kreativität und Schnelligkeit der politischen Kaste schlecht bestellt ist. Da man sich jetzt mit einer gänzlich neuen Ausgangslage konfrontiert sah, musste der gesamte Masterplan umgeschrieben werden.
Man kann sich ausmalen, was an diesem Morgen in den Schaltzentralen passiert ist. Wahrscheinlich wurde Frau Merkel geweckt und ihr gesagt: „Äh … Frau Merkel, da ist irgendetwas schief gelaufen. Wir wissen noch nicht was, aber irgendwer hatte wohl leicht einen im Tee. Die Briten sind raus …“
Wahrscheinlich klingelte danach das Telefon bei Herrn Juncker und der rief dann Herrn Hollande an und der dann wutentbrannt den Cameron. Tatsächlich erfuhr man, dass der französische Staatspräsident den Herrn Cameron schon lange gewarnt hatte, dass er mit dem Referendum mit dem Feuer spielt. So soll Herr Hollande zu Cameron sinngemäß gesagt haben: „Cameron, Du kannst alles machen aber ganz bestimmt nicht das Volk entscheiden lassen. Mache bitte keinen Fehler. Niemand wäre so wahnsinnig und ließe das Volk über die EU abstimmen. Dann kannst Du doch gleich die Schotten und die Iren über ihre Unabhängigkeit abstimmen lassen.“
Wie auch immer das tatsächlich abgelaufen sein mag – sicher ist, dass der Brexit ein Beben auslöste. Es fragt sich dabei nur bei wem. Die vorher an die Wand gemalten Horrorszenarien blieben allesamt aus. Zwar dümpelte der DAX etwas und einige ostasiatische Superreiche hatte etwas weniger Geld zum Zocken, alles in allem aber, war der Brexit eigentlich nicht annähernd so angsteinflößend, wie das die Medien vorher prophezeit hatten. Das war aber auch zu erwarten gewesen. Man konnte auch erst jetzt ermessen, wie dümmlich es immer war, den Deutschen den Austritt der Griechen aus der Eurozone mit den schlimmsten Verwerfungen ausreden zu wollen, denn man konnte nun sehen, dass ein Austritt der Griechen aus dem Euro überhaupt keine Folgen für die Börsen gehabt hätte. Wenn nämlich die zweitwichtigste Wirtschaft in der EU aussteigt und die Börsen nur leicht an Wert verlieren, dann kann man sich vorstellen, was bei der unwichtigsten Nation passiert wäre. Rein gar nichts. Damit weiß man jetzt auch, dass die fast 200 Milliarden Euro an Steuergeld, die mittlerweile vom deutschen Michel an die Superreichen in Griechenland zu deren Rettung gespendet wurden, allesamt absolut überflüssig waren. Ein Grexit wäre nur für die Menschen schlimm, die im Nadelstreifenanzug ganze Kontinente verspekulieren. Für den Normalbürger wäre das überhaupt kein Problem.
So kam man jetzt auch in Erklärungsnot. Man versuchte einen „schwarzen Freitag“ künstlich herbeizureden. Tatsächlich stieg der Goldpreis auch marginal um 4,3 % an. Er erklomm die Marke von 1,34. Nur zur Erinnerung: In der Finanzkrise 2008 stand das Gold bei 1,8, was eindrücklich belegt, dass der Brexit so gut wie gar nichts bedeutet. Wirtschaftlich gesehen, konnte man jetzt aber beobachten, dass die Einzigen, die jetzt einen Schaden hatten, die Reichen und Superreichen, die Banken und einige Großkonzerne waren. Wenn der geneigte Beobachter jetzt die Argumente der Qualitätspresse gegen den Brexit mit der nun entstandenen Realität verglich, fiel auf, dass die Argumente niemanden aus dem Volk etwas angehen. Alle Folgen, die dem Normalbürger gebetsmühlenartig schwarz gemalt wurden um seine Meinung zu beeinflussen, stellten sich im Nachhinein als Nebelkerzen heraus.
Man konnte jetzt aber begreifen, dass die EU eben deshalb ein so massives Problem mit den eigenen Völkern hat, da der Schutz der Superreichen sich mit den Interessen der Völker schneidet.
Als man nämlich die negativen Folgen des Brexit in der Berichterstattung suchte, fand man nur Folgen für Banker, Großkonzerne und Superreiche. Zwar zeigte man in allerhöchster Bedrängnis einen englischen Lebensmittelladen in Deutschland, der seine Befürchtung äußerte, dass das englische Bier jetzt vielleicht 2 Cent teurer würde, aber man musste auch zugeben, dass ein Urlaub in England nicht teurer, sondern viel billiger werden wird.
(aus dem E-Book und Print-Book: Das Ende von Europa, Roger Reyab, 2016)