Es gab einmal Zeiten, da gehörte es zum guten Ton den Spiegel zu lesen. Der Spiegel hatte einige Skandale in der Bundesrepublik aufgedeckt und schien sich auf einer gesunden Distanz zu den Mächtigen zu befinden. Außerdem war es eben schick, wenn man sich durch die manchmal buchartigen ellenlangen Artikel gequält hatte und damit Intellektualität und Sachverstand nach außen hin bekunden konnte. Der Spiegel war eben nicht die Bild-Zeitung.

Dann kam eine Zeitenwende. Ich meine mich sehr genau erinnern zu können, dass dies am 11.09.2001 war. Die Printmedien, die Fernsehsender und die Radiostationen durchliefen eine Wandlung. Wie mit einem Schlag schienen alle an einem unsichtbaren Strang zu ziehen. Man las immer öfter merkwürdige Artikel, die eine Art Kriegseuphorie verbreiteten. Die unverbrüchliche Solidarität mit Amerika, die Kanzler Schröder verkündet hatte, schien von nun an auch für die Medien zu gelten. Präsident Bush ließ keinen Zweifel daran, dass die Presse in den kommenden Feldzügen eine neue Form der Kriegsberichterstattung zu leisten hätte. Zwar durften die Pressevertreter sehr nah am Geschehen sein, waren aber nicht für eine objektive und unvoreingenommene Mission bestellt. Amerika wollte unbedingt eine zweite Berichterstattung, wie die unter Präsident Nixon, verhindern. Nixon war nicht nur an Watergate gescheitert. Der Krieg in Vietnam hatte die Gesellschaft nachhaltig gespalten und die Unbeliebtheit der Kriegshandlungen war auch aufgrund der kritischen Berichterstattung über die realen Vorkommnisse gewachsen. Der Krieg war nicht populär. Hunderttausende verliefen sich nach Woodstock und feierten ein Fanal gegen den barbarischen Krieg. Die Medien lieferten jede Menge hässliche und erschütternde Bilder und der Krieg ging so mehr an der Propagandafront als an der Kriegsfront verloren.

In den Rachefeldzügen der Bush-Administration wurde die Losung ausgegeben, dass man die Presse nie wieder einen Krieg madig machen lassen wollte. So wurden die zugelassenen Kriegsberichterstatter im Irak und in Afghanistan zu Statisten, die ihr Material einer freiwilligen Zensur unterwarfen. Das Ergebnis waren die grün gefärbten Bilder von vermeintlichen „chirurgischen“ Operationen. Der Krieg sah für den Betrachter von außen wie ein Computerspiel aus. Aber schon im Vorfeld hatte der amerikanische Präsident mehrere Dekrete unterzeichnet, wie den Patriot Act, der Einschnitte in die bürgerlichen Freiheitsrechte und in die Unabhängigkeit der Presseorgane beinhaltete. Unter dem Aufruf zur Wahrung der nationalen Sicherheit, wurde administrationsgetreue Berichterstattung zu einer Art Bürgerpflicht. Diese negative Euphorie in der Zeit der Gegenschläge und dem offiziellen Kampf gegen den Terrorismus war weltweit zu spüren. Die Medien in der Bundesrepublik sahen sich anscheinend von diesem Punkt an dazu verpflichtet, den Amerikanern auch moralisch zur Seite zu stehen. Dies war der Beginn einer parteinehmenden Berichterstattung, die nicht mehr als vierte Kontrollinstanz den Mächtigen auf die Finger schaute und sie damit kontrollierte, sondern einer Hofberichterstattung.

Man konnte von nun an sehr viel über Verschwörungstheorien lesen. Das Wort scheint irgendwann in dieser Zeit geboren oder zumindest zu voller Blüte gelangt zu sein. Man las und sah immer öfter den Vorwurf, dass jede Kritik an den notwendigen Maßnahmen im Krieg gegen den Terrorismus eine Verschwörungstheorie sei. Wenn man Fragen stellte, was viele Menschen taten, konnte man davon ausgehen, dass man sich bald auch dem Vorwurf ausgesetzt sah, dass man ein Verschwörungstheoretiker war. Dieses Instrument der sprachlichen Diffamierung und Veralberung, war derart erfolgreich, dass man dieses Konzept bis in die heutigen Tage übernommen hat. Einige genervte investigative Journalisten drehten diese Strategie dann auch um, und sagten von nun an nur noch, dass die eigentliche Verschwörung die offizielle Propaganda ist und es nicht die Fragen sind, die man stellte.

Im Zuge des Kampfes gegen den Terrorismus, dem sich viele Länder anschlossen, entstand eine Stimmung des Für-oder-gegen etwas sein. Willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein, war das Motto eines neuen Opportunismus. Die deutschen Medien durchlebten in dieser Zeit einen radikalen Wandel. Es begannen sich neue Koalitionen zu bilden und ehemalige Pazifisten wurden plötzlich zu waschechten Kriegstreibern. Die Grünen mussten sich etwas verrenken, hatten sich aber bald vom Paulus zum Saulus gewandelt. Joschka Fischer schwor die Parteibasis auf die Feldzüge ein und die Grünen nickten von nun an jeden auch noch so abwegigen Kriegsplan der Amerikaner wie eine Herde Schafe ab. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder nahm zwar nicht aktiv am Kriegsgeschehen teil, stellte aber alle logistischen und finanziellen und auch ideologischen Hilfen bereit, die den Kriegserfolg der Amerikaner sichern sollten.

Im Hintergrund lief sich bereits Frau Merkel warm, die bald für eine sehr lange Zeit die Bundesrepublik als gottgleiche Monarchin ohne konstatierten Tadel regieren sollte. Der Aufstieg der Frau Merkel war nur durch den Krieg gegen den Terrorismus und den Wandel der Presselandschaft denkbar. Die Wandlung der Presselandschaft zu einem politisch wertenden Elitensprachohr war die Eingangspforte für den Aufstieg der Frau Merkel zur Bundeskanzlerin. Die politische Berichterstattung zementierte Theorien, die ihnen von den Administrationen vorgelegt wurden. Immer seltener wagten es einzelne Stationen, Sender und Zeitungen, Berichte gegen diese offiziellen Verlautbarungen herauszugeben und zu senden.

Die Wahl von Merkel zur Bundeskanzlerin fiel in die Zeit, als viele Presseorgane die Wandlung schon vollzogen hatten. Frau Merkel ist von der Presse in Deutschland quasi ins Amt getragen worden. Noch schlimmer als das aber wog, dass sie nicht nur durch die Presse ins Amt gehievt wurde, sondern dass sie ab jetzt auch keine Kritik mehr erfuhr. Es gibt und gab wohl keinen Kanzler im Amt in Deutschland, der sich derart wenig gegen die Presse zu erwehren hatte wie Frau Merkel. Ich kann mich an kein Interview, an keine Sendung, an keinen Zeitungsartikel und an keine kleine Meldung erinnern, die in der ersten Legislaturperiode der Kanzlerschaft Merkel auch nur einmal wirklich kritisch die Dame an sich und ihre Politik im Speziellen beleuchtet hätte. Man schien Frau Merkel für derart zart und unwichtig zu halten, dass man ihr kritische Nachfragen ersparte. Oder man überhöhte das angebliche Genie der Kanzlerin ins Unermessliche und signalisierte damit, dass Nachfragen bei der omnipotenten Dame absolut sinnlos sind.

Schon in den Tagen des elften September sind viele Zeitgenossen, die das Weltgeschehen kritisch beleuchten, in Fragen der Kultur der Presse erstmals sehr skeptisch geworden. Ich gehörte auch zu diesen Menschen. Man hörte und las Informationen, die sich mit der Darstellung der Medien schnitten und die man nirgendwo wiederfinden konnte. Es begannen erste ernste Zweifel an der Unabhängigkeit und der Ausgewogenheit der Presseorgane in Deutschland. Mit den Kriegen, der ruchbar werdenden Folter, den unhaltbaren völkerrechtlichen und inhaltlichen Grundlagen, mit den Lügen der Amerikaner vor der UNO und mit dem Führen eines Angriffskrieges entgegen des Votums des Weltsicherheitsrates, wuchsen diese Zweifel immer mehr an. Man war nicht erstaunt, als man nach fast einem Jahrzehnt dann erfuhr, dass Saddam Hussein wahrscheinlich nie Massenvernichtungswaffen besessen hat und Colin Powell die Weltöffentlichkeit im Namen seines Präsidenten schlichtweg belogen hat. Man war auch nicht erstaunt, dass das Versprechen der Amerikaner auf Demokratie und Selbstbestimmtheit in mehreren noch heute anhaltenden Bürgerkriegen endete. Heute weiß man, dass das Vorgehen der Amerikaner in Afghanistan und im Irak das Entstehen des IS erst ermöglicht hat. Durch eine vollkommen fehlgeleitete Politik sind diese Länder nicht befreit, sondern nachhaltig destabilisiert worden.

Man war aber schon erstaunt, dass die Berichterstattung der Presse den ungeheuerlichen Rechtsbrüchen, der ungeheuren Grausamkeit der Kriege und dem Leid und Elend, den diese Umverteilungskriege auslösten, kaum Platz einräumte. Im Gegenteil schien von nun an alles alternativlos. Die Kanzlerin erschuf das Unwort des Jahres und prägte damit den Zustand ihrer zweiten und dritten Legislaturperiode. Die alternativlose Politik der Kanzlerin konnte aber nur deshalb alternativlos sein, weil es keinen Pressevertreter in Deutschland gab, der Frau Merkel einmal die richtigen Fragen stellte.

Die Journalisten, die diesen Biss noch gehabt haben, verließen entweder ihre Brötchengeber oder mussten sie verlassen. Die nachwachsende Generation der Journalisten, die heute das Bild der Qualitätsmedien prägt, macht oftmals den Eindruck, als ob sie direkt von der Universität kommen oder über ein zweiwöchiges Volontariat an ihre Stellung kamen. Man wundert sich in den heutigen Tagen nicht mehr, wenn man Meldungen mit Rechtschreibfehlern und inhaltlichen Fehlern sieht, die direkt auf die fehlende Bildung der Journalisten zurückgehen. Es gibt und gab immer noch guten und fein recherchierten Journalismus in Deutschland. Es hat sich aber lang der Trend etabliert, dass man diese raren und guten journalistischen Arbeiten nur noch zu den tiefsten Nachtzeiten sendet, wenn sichergestellt ist, dass man diese Sendungen als arbeitender Mensch nur schwerlich sehen kann.

(aus dem E-Book: Die Hassprediger, Roger Reyab 2016)

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Die Tempeltänzerin

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