Leben heißt die Kontrolle eines winzigen Augenblicks der Raumzeit. Etwas finden, aufnehmen festhalten. Es ist ein Ureigenes in uns fest verankertes Verlangen, ja fast eine neurotische Zwangshandlung. Es arbeitet in unserer Mitte. Wir schwanken dorthin wie Betrunkene wo es uns haben will – früher oder später. Widerstand ist Dummheit. Widerstand ist verlorene Zeit. Anfangs versteht man nicht, dann glaubt man zu verstehen, der König des Universums quasi, nur um dann wieder zurückzusinken. Nur um erkennen zu müssen, dass man im Grunde nichts, rein gar nichts versteht. Einstmals klare Konturen verschwimmen. Richtig wird fast falsch – wie bei Schrödingers Katze kann man eben doch auch sehr leicht einen Zustand dazwischen annehmen. Ein bissen sitzen geht eben doch.

Ich kann mich an einen kurzen Zeitpunkt in meinem Leben erinnern indem ich wirklich Glücklich war. Ich meine damit nicht einfach nur: juhuu das neue iPhone. Ich meine damit konsumfrei, bedingungslos Glücklich. Ohne Scham, ohne Schuld, ohne Sorgen ohne Zwänge. Ich muss um die 12 herum gewesen sein. Frauen waren mir egal. Freunde waren mir egal. Geld war mir egal. Handys waren mir fremd, Computer auch. Ich hatte nur ein kleines Radio und ich hatte eine Kassette und 4 Batterien im Radio. Ich schwang mich auf das Rad, fuhr raus und legte mich in die Sonne an den kleinen Bach nahe meines Wohnhauses in meine Raumzeit. Lauschte der leisen Musik. Dem Wind, Dem Bach. Dem Summen der Insekten. Schaute in das stumme Blau des Himmels. Die Zeit verschwamm. Etwas uraltes, etwas unendliches kroch in mir hoch. Nichts neues. Nichts fremdes. Immer schon ein Teil von mir. Nichts spielte eine Rolle. Das Leben, die Sorgen, die Schule, meine Eltern, die Welt, das Universum. Losgelassen. Meine Grenzen verschwammen. Ein Zustand des Wohlseins umhüllte mich. Alles ist Gut wie es ist. Glücklichsein, denke ich, war das.

Elektronen auf ihren Bahnen um die Atomkerne folgen einem Verteilungsmuster – eine Art Gaußverteilung ihrer Aufenthaltswahrscheinlichkeit. Nun heißt das für mich, dass sich meine kleinsten Bausteine, wenn auch nur für kurze Zeit und mit geringer Wahrscheinlichkeit – nicht fix bei mir als Individuum befinden. Es ist nicht so, dass das Quäntchen Materie für mich abgestellt wurde. Das Elektron das Teil meines schlagenden Herzens ist, ist oft bei mir, aber ebenfalls auch am Rand des Universums anzutreffen. Ich bin somit keine klar abgegrenzte Begebenheit, als vielmehr verschmolzen mit der Gesamtheit. Einen Augenblick hier. Den nächsten am Geburtsort allen Seins. Losgelöst. Losgelassen, oder nicht.

Damals wusste ich nicht, dass dieser Moment - vielleicht war es einen Flügelschlag eines Kolibris lang, vielleicht acht Stunden. Dass dieser Moment der einzige sein sollte, den ich so in der Form je erleben konnte. Nichts anderes mehr hat mir solch eine Zufriedenheit und Ruhe – eben glücklichsein, beschert. Lange dachte ich, dass ich eben Pech gehabt habe – depressiver Mensch halt. Weniger Party als der Rest halt. Kein glücklicher Mensch sozusagen, Partybremse. Erst viel später wurde mir klar, dass es eben nicht darauf ankommt immer glücklich zu sein, sondern, dass ein Moment, ein kurzes Aufblitzen – ein flüchtiger Blick - ausreicht. Wie von Sinnen könnte man nun meinen man müsse ganze Sonnensysteme zerstören, um wieder in den Nexus zu gelangen. Praktisch unglücklich und ungeheuerlich Leben – immer auf der Jagd. Das Ziel als Weg. An sich reißen zu wollen. Aufnehmen zu wollen. Wie Thor den Hammer herabfahren lassen. Kontrollieren zu wollen. Anstatt einfach loszulassen und den kleinen Diamanten, verborgen inmitten des Dunkels, von Zeit zu Zeit aus der Vergangenheit hochgespült, durch wirre Zufälle, durch den Flügelschlag des Schmetterlings, zu betrachten. Zu bewundern. Das schwache Licht zu sehen und zu fühlen. Nur um ihn danach in Ruhe wieder in die Unendlichkeit zu entlassen. Loszulassen, oder eben ein bisschen zu sitzen.

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Zauberloewin

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Frank und frei

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