Vor einigen Minuten war ein Beitrag im Radio zu hören. Ö1, ein Qualitätssender, brachte in »Saldo, dem Wirtschaftsmagazin« einen Bericht über die wirtschaftlichen Folgen der Migration nach Österreich. Erwiesenermaßen, so die Experten, kurbeln Migranten die Wirtschaft an, sie steigern das BIP und sorgen für Wirtschaftswachstum. Das klingt plausibel, denn Menschen, die bei uns arbeiten, geben dann bei uns auch ihr Geld aus, nehmen eines Tages Kredite auf und bezahlen brav ihre Steuern und natürlich Zinsen.

Warum denkt ihr Experten nicht weiter, warum nur hört euer Denken am Tellerrand des angelernten Wissens auf? Mehr Wachstum = mehr Wohlstand! Mehr Wachstum ist aber auch mehr Verbrauch. Verbrauch von Rohstoffen und Energie. Um Zugriff auf Rohstoffe und Energie zu bekommen, muss man expandieren – was für ein schönes Wort für Plündern, Rauben und Morden. Unseren Glauben an Wohlstand durch Wachstum be- zahlen viele mit dem Leben. Menschen, Tiere und Pflanzen – das Leben an sich fällt dem Wachstum zum Opfer. Mehr Wachstum = mehr Verbrauch = mehr Krieg um Ressourcen = mehr Leid. Noch hat der Krieg uns nicht erreicht, noch schlagen wir uns hier noch nicht die Schädel ein, aber der Krieg der Ideologien, der Weltbilder und der Überzeugungen kommt wieder ins Rollen. Die ideologischen Einsatztruppen rüsten sich bereits, alle schreien nach effizienten und raschen Lösungen, jeder möchte das Kartenhaus auf seine Art vor dem Zusammenbruch bewahren. Jeder meint es gut, gut aus seiner Sicht. Man möchte der angespannten Situation Herr werden und konzentriert sich voll und ganz auf die Bekämpfung von Symptomen.

Darüber ist zur Zeit viel zu hören und zu lesen. Sei es im Bezug auf die Flüchtlingsströme, auf die imperialistischen Stell-vertreterkriege, auf die Auswüchse eines aufgeblähten Finanzsystems, die Zerstörung unserer Umwelt oder die wachsende Umverteilung von »fleißig« zu »reich«. Wie wenig hört man aber über die Ursachen, wie wenig denken wir über unser Denken nach? Jenes Denken, das die Welt, in der wir leben, erschaffen hat. Wir lehren die Kinder noch immer, was sie denken sollen, aber nicht, wie man denken könnte. Man kann einen lebendi- gen Organismus, einen in ständiger Bewegung befindlichen Pro- zess, wie es unsere Welt ist, nicht mit Wundpflastern heilen, die Situation mit den selben Mitteln verbessern, mit denen wir sie zyklisch verschlechtern.

Das Denken, Sprechen und Handeln von Menschen begleitet mich seit fast 35 Jahren beruflich. Um als Schauspieler Menschen spielen zu können, muss man versuchen, sie zu verstehen, die Funktionsweise ihres Denkens zu begreifen. Bleibt man an der Oberfläche an den Symptomen hängen, liefert man nur eine Karikatur ab. Versucht man, das Denken der Figur zu verstehen, so wie sie zu denken, dann hat man viel über das eigene Denken gelernt, und die Figuren verlieren immer mehr an Bedeutung. Die Beobachtung der eigenen Denkmuster schiebt sich in den Vordergrund. Was bin ich eigentlich, jenseits meines Denkens?

Roland Düringer, "Weltfremd", zu kaufen hier

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