Ich stehe auf dem Steg, fast in der Mitte, und sehe auf das schwarze Wasser mit seinen grünen Algenflecken, den treibenden Schilfblättern, Gräsern und Mücken. Steht das Wasser, strömt es, es ist nicht zu erkennen, es ist einfach nur da, so wie ich da bin und versuche, ein wenig von der Vergangenheit des Platzes zu erspüren.
Die Fluchtstraße, die vom Steg in die Ortschaft führt, eine schnurgerade Allee, die zwischen den Bäumen Skulpturen hat, geformt von Betroffenheit, geformt als Mahnung nie wieder solchen Regimen die Herrschaft zu erlauben. Langsam zerfallen sie, die Figuren, die Installationen, werden zu altem Holz, zu rostigem Stahl, aber sie machen mich noch immer betroffen, vielleicht durch ihre sichtbare Vergänglichkeit, die einen Bogen zum Vergessen erzeugt, warum dies alles ist.
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Leute kommen, fotografieren gierig jeden Nagel, stehen auf der Brücke, ohne die Bedeutungstiefe des Ortes zu spüren, besondere Exemplare der menschlichen Dummheit schreiben sinnlose Sätze auf die erklärenden Tafeln.
Ich versuche eine Vorstellung über die 70.000 Ungarn zu finden, ein Bild wie es gewesen sein könnte, ein Bild fernab der wenigen Fotos, die ich kenne, der Versuch zu spüren, wie es Menschen erging, die mit halberfrorenen Beinen, mit verschmutzter Wäsche, mit Hunger, Müdigkeit, Mattigkeit und dem Gedanken, ich muss es schaffen, die neun Kilometer der Fluchtstraße entlang wankten und nur das Wort Freiheit hielt sie aufrecht. Wie haben sie ihr Ziel erreicht, wie lebten sie im Inneren, was ging vor in einer Mutter mit Kind, die nach ihrem Mann sucht, wie hart ist die vergangene Realität? Hart greift sie nach mir, doch meine Wohlstandshaut zeichnet die Bilder weicher, lässt mich nicht jeden Gedanken zu Ende denken, Selbstschutz vor Selbstberührungen.
Wie sahen sie aus am Zwischenziel, dem Ort Andau, wie sahen sie die wartenden Decken und Suppenkessel, konnten sie außer Müdigkeit, Erschöpfung noch etwas empfinden, galt es für sie nur noch, ein warmes Eck zum Schlafen zu finden? Ich stelle mir die grauen wankenden Gestalten vor, ihren Atem der Wölkchen in die Luft zeichnet, die Augen, die umhersehend irgendetwas suchen und nicht wissen was. Vielleicht war alles auch ganz anders, wie soll ich es wissen, ich habe nur meine Bilder entwickelt aus meinem Wissen und Gefühl.
Ich stehe auf dem Steg, ein Neubau, ein Gedenksteg, der mit dem alten Steg nur eines gemeinsam hat, den Standort. Er soll erinnern an die einfache Bohlenbrücke über den Einserkanal, den Fluchtweg 1956, den schmalen Weg, ja beinahe schon Grat über den die Flüchtenden mussten, den Blicken der Russen ausgesetzt, der Laune der Soldaten ausgesetzt, manchmal schossen sie, um Schrecken zu verbreiten. Sie sprengten den Steg und trotzdem benützten die Flüchtlinge die Trümmer, es schien als gäbe es ein Seil an dem sie sich hinüberzogen. Die Freiheit, die sie nur vom Hörensagen kannten, die Freiheit zog sie rüber, ließ Schmerz, Qual und Hunger und Angst zurück, nur der Augenblick zählte, der Augenblick als die Füße Österreich betraten.
Sie wurden versorgt, sie wurden aufgenommen, auch wenn mancher Bauer sich mit überhöhten Rechnungen Geld verdiente, was machte das schon aus, Hilfe darf nicht von Zahlen abhängig sein. Hilfe ist eine Seelenaufgabe.
Ich stehe noch immer auf dem Steg, dem unscheinbaren Denkmal für Freiheit über einen Kanal gespannt. 60 Jahre danach gibt es da eine Feier, oder auch nicht, ich kann es nicht erkunden und so gehe ich zurück mit der Hoffnung, dass es immer solche Brücken geben wird.