Ein alter Mercedesbus nimmt die Gruppe auf, setzt sich in Bewegung und ich nehme das Mikro, stelle mich vor, erkläre die nächsten drei Stunden. Vor den Fenstern schönster Frühherbst.An der Grenze in Bratislava steigen zwei pralle Zöllner zu, sie schauen streng in die Pässe, stinken dabei nach Schweiß und ziehen die Prozedur in die Länge. Endlich, auf Wiedersehen.
Auf dem Flughafen Bratislava regiert 1990 das Nichts, ein paar Schokoriegel gibt es, Zigaretten aus irgendeinen fernen Land, Marlboro aus Bulgarien oder so, echte Beuschelreißer wie die Wiener zu sagen pflegen. Langsam füllt sich der Warteraum und die Leute drängen zum Fenster, wo is er denn, unser Flieger.Welcher wird es denn sein?
Ich kenne das alles, zünde mir eine Zigarette an und warte bis uns gelangweilte hübsche Flugbegleiterinnen in den Flieger bringen.
Die Iljuschin 62 ist verdammt laut, schlecht gedämmt, mit einem Nickerchen wird es nichts, auch weil die Stewardessen bereits die Tabletts mit dem Essen austeilen und sofort zieht Schweinsbraten- mit Sauerkrautduft vermischt durch den Flieger. Es gibt dieses Essen bei jedem Flug der CSA, Pilsner aus der Dose und Ausnahmezustand bei den Erstfliegern.
Ich ziehe den Alufoliendeckel gar nicht ab, lasse alles so wie sie es hingestellt haben, während mein Nachbar geräuschvoll seinen Alubehälter in Rekordzeit leert, sich dabei Kraut auf das Hemd patzt und trotzdem irgendwie unzufrieden zu mir herüber schielt. Möchten sie meine Portion auch, frage ich scheinheilig und er stimmt freudig zu. Nochmals zwei Schnitten Schweinsbraten, Knödel Kraut und Bier. Ich hoffe er speibt bei der Landung nicht und wenn schon, dann nach vorne.
Ich besuche die Mitreisenden meiner Gruppe, ich bin ja ihr Reisebegleiter. Die Formulare füllen sie aus, die Visa haben sie griffbereit, sie bieten mir Mehlspeise an und ich lehne dankend ab, der Bröselkuchen kratzt mich sicher noch ein Stunde und der Kaffee ist eine Qual, aber was macht man nicht alles um seine Langweile im Leben auszugleichen. Freundlich bittet mich die Stewardess, meinen Platz einzunehmen, wir sind fünfzehn Minuten vor Moskau. Sinkflug, Landung, mein Sitznachbar drängt raus, nimmt seinen Handkoffer und wurstet sich durch die Menge, er will rein in den Bus, es muss doch schnell gehen, aber hier geht alles seinen gelangweilten Gang. Ich bin der Letzte im Bus, bleibe bei der Tür stehen und bevor die Anderen noch mitbekommen, dass sie aussteigen sollen bin ich schon bei der Kontrolle, gewusst wie. Ich brauche den Vorsprung, die Suche nach der Reiseleiterin macht es nötig. Sie hält ein Schild mit Avstrija, Gott sei Dank, sie ist da, ich winke und nehme sie mit zu den Leuten der Gruppe.
Warum die grausam alten und abgenutzten Busse den Namen Ikarus tragen, bleibt für mich auch diesmal ein Rätsel. Egal, wir fahren in Richtung Stadt an diesem schönen Herbstnachmittag und aufgeregt kommentieren die Gäste die Verstopfung der Straßen, Ladas, Moskwitsch und noch einige andere russische Autos bilden ein zähflüssiges Blechgeschiebe in den Straßen, die wie alle Vorstadtstraße aussehen. Hohe Plattenbauten, ab und an ein altes Haus, unbegreiflich wieso die noch stehen, dann die ersten Gründerzeithäuser, schlichtes Grün mit braunen Rändern, ein Park. Tatjana, die Reiseleiterin, erklärt unser Programm. Wir fahren zum Pushkinmuseum, sehr gut, gegenüber im Haus der Kultur gibt es Rubel zu einem guten Preis, die Banken haben ohnedies wegen technischer Probleme geschlossen. Endlich haben alle Geld, könnten sich etwas kaufen, es gibt fast nichts, die Holzpuppen und einige Stickdecken im Kleinformat fordern die eingetauschten Rubel zurück. Gregorie, den ich schon kenne, schenkt mir eine Flasche Kognak aus dem Kaukasus.
Die Stadt ist ein Zwitter. Sie ist schön. Sie bringt Staunen in die Gesichter, sie glitzert und glänzt, zwei Meter weiter, Dreck liegengeblieben, leere Vodkaflaschen, aufgebrochener Asphalt und wieder glänzende Fenster. Langsam erreichen wir das Hotel, ein Riesenbau gegenüber der Allunionsausstellung, jede Menge Betrieb und schon schwirren die Ersten in ihre Zimmer ab. Ich nehme noch einen Kaffee, hier ist er erträglich, der Preis 1 Dollar ist irr, aber was soll’s, und ich warte ob noch jemand zurückkommt, irgend ein Anliegen vorbringt, z. B. die Tapeten sind so grün da kann ich nicht schlafen, ich brauche ein anders Zimmer hatte mal einer gewünscht. Er hat dann doch im Grün geschlafen, wobei er von Nacht zu Nacht besser schlief, kann auch an der üppigen Reiseteilnehmerin gelegen haben, die dürfte eine Form der Müdigkeit erzeugt haben, aus der er nur durch Schlaf herauskam. Moskau mon amour, du hast mich wieder und du stinkst wie eh und je, bist schlampig, abweisend, Ausländer sind für dich Devisen, aber es gibt auch Lichtblicke, deine Schönheit an Punkten deiner Fläche, aber ich muss dir vorwerfen, die Soljanka schmeckt noch immer wie selbstgemachter Kleister.
Roter Platz mit all seinen Sehenswürdigkeit, die Soldaten im Stechschritt kommen zur Ablöse, im GUM dem größten Warenhaus der SU gibt es Sachen, die bei uns nur noch entsorgt würden, brav kaufen die Touristen, was sie dann mit ihren Einkäufen machen? Was geht es mich an, ich führe sie durch ihre Besichtigungswünsche und beantworte freundlich, ja fast liebenswürdig ihre Fragen. Tatjana kennt die Wünsche, führt uns zu einem Lokal mit Piroggen, Teigtaschen mit Fleischfülle, und dazu russisches Bier, die Reiseseeligkeit stellt sich ein. Ein voller Magen und hohe Häuser, ein wenig Alltag und Klöster, keine Pannen, die Tage vergehen und schon stehen wir auf dem Flughafen, Tatjana und ich geben einander die Hand, ein Abschied für immer von ihr, nicht von Moskau.
Im Flugzeug isst mein Nachbar wieder meinen Schweinsbraten, eine der Frauen steckt mir ein Kuvert zu und in Bratislava wartet der alte Mercedesbus.