Von den Meisten unbemerkt ging vor vierzig Jahren eine Ära in Österreich zu Ende, die Ära der Dampflokomotive und dadurch wurden auch etliche Berufe überflüssig, so zum Beispiel,

Der Anbrenner

In meinen vierzig Dienstjahren bin ich vielen Kollegen begegnet, wichtigen, die ihre Wichtigkeit durch Sterne am Kragenspiegel oder Türschilder mit der Dienstbezeichnung darstellten und wichtigen die keines dieser Kennzeichen hatten. Ihr Kennzeichen, ihre Wichtigkeit ergab sich aus dem Satz – ohne sie geht nichts -. Ohne Dienststellenvorstand und Betriebskontrolleur fuhr die Eisenbahn auch an den Wochenenden, ohne Emmerich, den Anbrenner, fuhren keine Dampflokomotiven aus dem Heizhaus.

Ihm, stellvertretend für die vielen Unbedankten, widme ich die Zeilen.

Emmerich.

Ein Bündel schlechtes Holz, Schwartlinge im allgemeinen Sprachgebrauch, flog mit Schwung auf den Boden des finsteren Führerstandes und gleich danach tauchte ein Gesicht auf, geschwärzt vom Ruß und dem Schmutz der Arbeit, es gehörte Emmerich.

Er begann seine Arbeit, nahm dazu einige alte Zeitungen, ein Bündel Putzwolle, legte alles auf die Heizerschaufel, zündete das Papier an und mit einem kleinen gekonnten Schwung flog dieses Gemisch in die schwarze Feuerbox. Anbrennen hieß das, was er hier begann und Anbrenner war seine Dienstbezeichnung.

Er war Emmerich, der Herr über Schlacke, Kohle, Öl, er wurde lebendig, wenn ein Lok ins Heizhaus kam, auf dem Rüstgleis bei der Kohlerutsche anhielt. Anbrenner ein Beiwerk.

Schon lange bevor die Lok kam, hatte Emmerich den Hunt voll Kohle geschaufelt und einen zweiten ebenso. Die schob er zum Kohlenkran, alles tausendfach geübt, tausendfach erledigt. Quietschend fuhr der Hunt aufwärts, kippte, und die Kohle fiel polternd und staubend in den Tender.

In der Feuerbox der Lok lag schon ein kleines Feuer. Emmerich warf einige Schaufel kleiner Kohle darauf, langsam sollte das Feuer in Gang kommen. Er hustete einen schweren Husten, gereizt von den Gasen die am Führerstand noch nicht abgezogen waren, eine Giftwolke bildeten. Seit Jahren machte Emmerich diese Arbeit, mies bezahlt, eine Plackerei und trotzdem klagte er nicht.

Ich bin froh diese Arbeit zu haben, sagte er einmal zu mir, froh und dankbar.

Emmerich war eine Institution auf der Dienststelle, kaum war Schlacke in der Putzgrube, war er dort und schaufelte, er stand vor der offenen Rauchkammer und schaufelte Flugasche aus der Lok, er gab Öl aus, er räumte die Kanäle, hielt das Feuer auf den Lokomotiven in Bereitschaft. Ohne ihn und seinen Kollegen wäre keine Dampflok gefahren, ohne ihn und sein ölgetränktes schwarzes Übergewand, das seine Frau trotz etlicher Vorwäschen und Hauptwäschen nicht mehr sauber brachte.

Emmerich war ein hagerer Mann, beinahe dünn und immer rußgeschwärzt. Traf man ihn außerhalb der Dienstzeit, so war er immer pikobello beisammen, seine Schuhe glänzten wie ein Spiegel und in seinem Schrebergarten herrschte eine Ordnung wie ich sie noch nie gesehen hatte.

Emmerich warf wieder einige Schaufeln Kohle auf das werdende Feuer und machte die Feuertür zu. Es brauchte Stunden bis aus einer kalten Dampflok wiederum das heiße tonnenschwere, rauchende, dampfende, stampfende Fahrzeug wurde.

Er sah wie ein Gespenst aus, wenn er lautlos durch das halbfinstere Heizhaus ging und wenn er in seinem Eck im Ölmagazin schlief, weil er alles schon getan hatte, was zu tun war. Dort im Ölmagazin hingen auf vier großen Nägeln die Übergewänder der Anbrenner, vor einer schwarzen Wand, ölschwarz und von vielen Jahren Staub tief eingefärbt.

Emmerich trank gerne Kaffee, schwarz und stark. Beim Oberheizer gab es dieses Gebräu und er huschte in den kleinen Anbau. Zwei große Schlucke die Tasse war leer. Er trank in Eile, er war immer in Eile und niemand wusste so recht warum, er ging wohin und kaum war dort wurde er unruhig, kaum war der dampfende Kaffee in der Tasse, schon fehlte die Hälfte. Er saß immer nur am vordersten Rand des Sessels, aufsprungbereit und beinahe abflugbereit, so sah es aus.

Es gab nur eine einzige Zeit wo Emmerich entspannt war, Ruhe verströmte, ungestört sein wollte, wenn er sein Menagereindl (Essgeschirr) öffnete, den Duft des Essens einsaugte, noch bevor er mit dem Besteck hinein fuhr. Beim Essen durfte ihn niemand stören, das war eine heilige Handlung.

Der Druck im Kessel der Lok, die er vor einer Stunde angebrannt hatte, stieg langsam an und Emmerich ging zu den anderen Loks, pflegte das Feuer in ihnen. Emmerich ging seine Kreise, er machte Dienst, war unentbehrlich und so selbstverständlich, dass auch niemand auf die Idee kam, ihn lobend zu erwähnen.

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fischundfleisch

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Mona Loga

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