Mitte der 1950er Jahre grassierte ein Witz in Österreich, der lautete: „Was sind die 3 unnötigsten Dinge der Welt? 1. Die Brustwarzen des Mannes, 2. Die Hoden des Papstes, 3. Das österreichische Bundesheer.“ Nunmehr gibt es etwas Viertes: Addyi – die sogenannte Lustpille für die Frau.
Damit man(n) auch sicher gehen kann, dass diese auch – wie zur Wirksamkeit erforderlich – täglich eingenommen wird, wird zusätzlich eine neue Krankheit erfunden: die „allgemeine hypoaktive Sexualtriebsstörung bei Frauen vor der Menopause“. Ja, darf das denn wahr sein?
Zwar wird zugegeben, dass die Tablette schwere Nebenwirkungen zeigt – Schwindel, Niedriger Blutdruck, Übelkeit und Ohnmachtsanfälle – also klassische „iatrogene“, d. h. durch Medikationen verursachte – Krankheitssymptome. Doch das ändert nichts an der Werbestrategie zu suggerieren, dass Frauen „über ihr geringes sexuelles Verlangen unglücklich sind“ (Salzburger Nachrichten, 20. 8. 2015, S. 22. Der Kopftitel dieser Seite lautet übrigens „Wissen / Gesundheit“ – beides wird hiermit nicht gefördert!)
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Das Grundproblem ist folgendes: unabhängig von den legitimen Verkaufsinteressen der Pharmafirma, die Addyi entwickelt hat, zeigt sich eine fatale psychologische Werbestrategie: es wird Frauen unterstellt, dass sie so „funktionieren“ sollten wie es Männer von sich selbst erträumen – immer auf Sexjagd – so wie es in James-Bond-Filmen vorgeführt wird. Es ist noch nicht so lange her, dass von fortschrittlichen Forscherpersönlichkeiten unter dem Überbegriff „Gender Medicine“ erkannt und propagiert wurde, Frauen nicht als „defekte“ Männer zu interpretieren, sondern zur Kenntnis zu nehmen, dass sie einen anderen Hormonstatus besitzen, andere Organe und Organreaktionen und dass man die Testergebnisse, die zumeist an männlichen Haftinsassen erprobt wurden, nicht auf Frauen und schon gar nicht Mädchen umlegen dürfe.
Es ist seit langem erforscht und populär publiziert – z. B. durch den italienischen Soziologieprofessor Francesco Alberoni – dass Männer, sofern sie nicht durch harte Arbeit abgelenkt werden, pornographische Machtphantasien pflegen, um ihr Selbstwertgefühl zu steigern, wohingegen Frauen in arbeitsfreien Minuten eher davon träumen, romantisch umworben zu werden. Der Mann nutzt Viagra & Co. um seine Mannesschwäche auszugleichen – statt darüber nachzudenken, wie seine Stressbelastung aussieht (und auch sexuelle Werbung bedeutet Stress! Deswegen wird ja häufig durch Macht- und Gewaltaktionen ersetzt!), um so gelassener und vor allem spielerischer mit sich und anderen umzugehen. Aber dabei kommen sich viele schwach, „weibisch“ vor – weil es nicht dem in Actionfilmen propagierten Männlichkeitsideal entspricht – obwohl sie wissen müssten, dass das nur Kino ist und nicht die alltägliche (und übrigens auch sozial erwünschte) Realität.
Lust hängt davon ab, wieviel Zeit man sich nehmen will, die unterschiedlichen Erregungskurven aufeinander abzustimmen (wenn die Beteiligten das wollen). Das haben schon Masters & Johnson in den 1960er Jahren erkannt und mit ihrem sexualtherapeutischen Übungen erfolgreich vermittelt.
Heute soll alles auf Knopfdruck schnell gehen ... aber der Körper ist kein Automobil und „springt bei Kälte“ nicht gleich an. Sich aneinander zu erwärmen bis Hitze die Voraussetzung zur „Explosion“ schafft (und die kann auch langsam und damit intensiver von statten gehen als bei einem bloßen „Schnellschuss“!), braucht Zeit so wie eine Elektrokochplatte Zeit braucht bis man auf ihr braten kann (im Gegensatz zu einem Gasherd, den Vergleich habe ich schon 1994 in meinem Buch „Ungeduld des Leibes“ herangezogen.).
Das Geheimnis des Meisterverführers Casanova lag darin, dass er selbst sprödeste Frauen zärtlich umworben und nicht brutal bedrängt hat. Im Pornofilm sieht man diesen Lifestyle nicht – daher verlassen sich viele Männer auf die Angst oder das Wohlwollen ihrer erfahrenen Partnerinnen, die ohne Lust nachgeben „um des Friedens willen“ – nur die unerfahrenen leiden und zweifeln an ihrer Attraktivität. Das alles gehört zur einer umfassenden Sexualpädagogik, in der vor allem die Manipulationen und die dunklen Seiten sexueller Beziehungen aufgezeigt und erklärt gehören – und dazu gehört auch die Werbepsychologie der anderen Art, nämlich der Produktpropaganda.