Wahrscheinlich hat jeder von euch schon mindestens einmal einen dystopischen Film gesehen. Hunger Games (auf Deutsch: die Tribute von Panem) ist aktuell wohl der bekannteste. Auch dystopische Bücher sind in der Schule oft Pflichtlektüre. George Orwell's 1984 wird zum Beispiel oft gelesen. Früher erschienen mir diese Weltbilder erdacht oder in weiter Ferne. Momentan fühle ich mich mitten drin. Mit demselben beklemmenden Gefühl, das ich auch bei den erdachten Versionen bekomme.
Viele Dystopien beruhen auf einem einfachen Grundprinzip: die Resourcen auf der Erde werden weniger oder es werden des Friedens Willen neue soziale Strukturen eingeführt. Jedenfalls gibt es eine Gruppe an Menschen, die arbeiten und in höchster Not und Armut leben. Sie sind abgegrenzt und abhängig von einer anderen Gruppe, die von deren Arbeit profitieren, in Wohlstand und ignoranter Dekadenz leben und sich abschotten vor dem Elend, das ihr Lebensstil erzeugt.
Eines Tages aber macht sich eine kleine, dann immer größer werdende Gruppe aus der armen, arbeitenden Bevölkerung auf den Weg, um am Reichtum und Fortschritt der anderen teilzuhaben. Immerhin haben sie diesen Reichtum und Fortschritt ermöglicht. Als Zuschauer oder Leser und aus der Distanz betrachtet ist eines völlig klar: alle Menschen haben ein Recht darauf! Und die, zu deren Lasten das System lebt, sogar noch mehr. So fiebert man mit, wie das Unrechtssystem über den Haufen geworfen wird und alle Menschen wieder in Gleichheit leben.
So wie in unserer Realität, dachte ich lange Zeit. Bis mich unsere Realität einholte. Denn lebten wir nicht längst in einer solchen Dystopie, in der wir zur ignoranten, in friedlichem Wohlstand lebenden Bevölkerungsschicht gehören? Wie im Kino hatte ich nie darüber nachgedacht, ob das Leben in den ärmeren Ländern direkt etwas mit mir zu tun haben könnte. Ob wir deren Rohstoffe ausbeuten und ihre Arbeitskraft. Immerhin spende ich ja jeden Monat Geld, um "denen" zu helfen. Ist das nicht genug?
Nun haben sich die Zustände in vielen dieser Länder so verschlechtert, dass sich mehr und mehr Menschen aufmachen, um am Reichtum der Welt teilzuhaben.
Und ratet Mal: es gibt Menschen, die sich genau verhalten, wie in den Dystopien. Sie haben Angst, etwas zu verlieren, sie möchten nicht teilen, sie möchten das System, wie es war, aufrechterhalten. Sie möchten aus die Menschen, die da kommen schießen, sie aussperren, abtransportieren, weiter ignorieren können. Sie bestärken sich gegenseitig, denken sie wären im Recht, lassen sich von nichts und niemandem in ihrer Angst besänftigen. In allen europäischen Ländern gruppieren sich die rechten Angstmenschen. Sie fordern. Wenn die Politik nicht nach ihren Vorstellungen handelt, wenn die Menschen hereingelassen werden, demonstieren sie, beschimpfen, pöbeln, brandschatzen.
In Filmen und Büchern hat mich das Verhalten dieser Gruppe jedes Mal auf's neue betroffen und wütend gemacht. Insgeheim hatte ich gehofft, dass Menschen in unserer Kultur sich nicht so verhalten würden. Ich wurde eines Besseren belehrt. Und das macht mich traurig und besorgt um unsere Zukunft. Wozu sind diese Menschen noch fähig?