Es war einmal ein Mann, ein Großgrundbesitzer, der wohnte auf einem großen Anwesen und hatte alles, was er sich nur wünschen konnte. Sein Besitz verfügte über duzende Häuser mit duzenden Zimmern, die meist das ganze Jahr über leer standen. In seinem Stall hatte er die besten Pferde, um sie vor die edelsten Kutschen zu spannen. Natürlich konnte er immer nur in einer Kutsche oder auf einem Pferd reiten, aber es bereitete ihm Freude, so viele zu besitzen. In seiner Küche arbeiteten viele Köche und jeder Wunsch wurde ihm erfüllt. Der Mann hatte nie Sorgen oder Ängste, er lebte in Glück und Zufriedenheit. Natürlich hatte er mitgeholfen, das Anwesen in Stand zu halten - erarbeitet aber hatten es hauptsächlich sein Vater und dessen Vater. Der einzige Wehrmutstropfen für ihn war, dass er und seine Frau keine Kinder bekommen konnten.

Eines Winterabends kam eine Dienerin zu ihm und berichtete, dass vor dem Tor ein kleines Kind stehe, keine zehn Jahre alt, und um Einlass gebeten haben. Draußen war es kalt und großherzig, wie der Mann war, ließ er es hereinholen, um es anzuhören. Als er das kleine Mädchen sah, verspürte er großes Mitleid. Die Kleine besaß nicht mehr, als die Lumpen, die sie am Leibe trug und man sah, dass sie lange nicht gut gegessen hatte. "Ich habe so viele Zimmer zur Verfügung und genug zu essen", dachte sich der Mann, "ich will das Mädchen bei mir behalten und dafür Sorge tragen, dass sie in Zukunft zu Essen und ein Dach über dem Kopf hat". Auf die Frage, wo denn ihre Eltern wären, antwortete das Mädchen: " Meine Eltern wohnen auf der anderen Seite des großen Flusses. Sie haben dort eine kleine Hütte und bestellen ein Feld. Doch seit vielen Sommern wird die Ernte immer weniger. Dieses Jahr reicht es nicht, um uns Kinder durch den Winter zu bringen. Meine beiden Brüder sind noch zu klein, deshalb wurde ich über den Fluss geschickt, um bei den reichen Leuten um Hilfe zu bitten." Sie erzählte von ihrer gefährlichen Reise über die Eisschollen, denn die Brücke war lange schon kaputt und für die Fähre hatte sie kein Geld. Den Mann schmerzte es zu hören, wie die Familie Hunger und Kälte litt und beschloss, auch sie auf sein Anwesen zu holen. Er schickte einen seiner zuverlässigsten Diener und eine prächtige Kutsche, die die Familie abholen sollte. Die Wiedersehensfreude und die Dankbarkeit am nächsten Tag war groß und der Mann hatte seine ehrliche Freude daran, diesen Menschen in der Not beigestanden zu haben.

Am nächsten Abend kam erneut die Dienerin. Eine Familie, frierend und hungernd, stehe vor der Türe und bitte um Unterkunft. Sie fürchteten um das Leben ihrer Kinder in der Winterskälte. "Ich habe noch so viele Zimmer übrig und mehr als genug zu essen", dachte sich der Mann. "Natürlich lasse ich auch diese Familie bei mir Unterschlupf suchen. Sie sollen nicht sterben, während ich hier im Wohlstand lebe." Und so kam es, dass nach wenigen Tagen mehrere Zimmer eines Hauses des großen Anwesens bewohnt waren. Der Mann erfreute sich an der Lebendigkeit auf seinem Gut und sprach gerne mit den Gästen. Er hörte zu, wie es auf der anderen Seite des Flusses zuging, was für Bräuche und Sitten dort herrschten und warum so viele Bauern dort verarmten und keine Lebensmittel oder teils nicht einmal ein Dach über dem Kopf hätten. Sie waren sehr froh, nun im Warmen zu leben. Trotzdem vermissten sie ihre Heimat sehr.

Nach 10 Tagen kam ein entfernter Verwandter zu Besuch. Wie es eben Brauch war, wurde ihm ein ganzes Gutshaus zur Verfügung gestellt, wo auch seine Bediensteten Platz fanden und seine Pferde wurden in den Stallungen untergebracht. Am Abend bat er den Mann um ein Gespräch. Bei einem üppigen Mahl und Wein am Kaminfeuer sagte er zu dem Mann: "Wie kannst du all diese Menschen auf dein Anwesen lassen? Hast du keine Angst, dass sie dich nachts ausrauben? Findest du es nicht undankbar, dass sie nun schon so lange bei dir sind und trotzdem noch nichts für dich getan haben? Sie leben von dem, was dir zusteht! Natürlich war es richtig, das kleine Mädchen hereinzulassen, aber das sind jetzt einfach zu viele! Sie werden dein Hab und Gut aufbrauchen, du wirst am Ende nur noch ein Haus für dich haben. Nur noch eine Kutsche und ein Pferd, um es davorzuspannen. Du wirst nicht mehr so viele Köche beschäftigen können, das Essen wird eintönig schmecken. Du bist doch nicht verantwortlich dafür, dass es anderen gut geht. Sollen deine Nachbarn die doch aufnehmen!"

Der Mann wurde still. Er dachte nach und schließlich bekam er Angst. Angst davor, weniger wohlhabend zu sein. Angst, die fremden Bräuche und Sitten könnten wichtiger werden als seine eigenen und die seiner Familie. Angst, dass irgendwann mehr kämen, als er Platz bieten könnte und Unruhe ausbrechen würde. Langsam wurde sein Herz hart und er empfand es als unverschämt von den Menschen, dass sie zu ihm gekommen waren. Warum musste er sich denn um ihre Not kümmern? Mit welchem Recht leben diese Menschen von seinem Hab und Gut? Warum konnten sie nicht da bleiben, wo sie sind, so schlimm kann es dort doch nicht sein. Wann immer ihn nun jemand fragte, wie es ihm mit den fremden Menschen in seinem Anwesen ergangen war, riet er den Leuten davon ab, jemanden aufzunehmen. Sie sollten ihre Mauern besser bewachen, sodass auch niemand unbemerkt hineingelangen könne. Zur Not mit dem Schwert verteidigen lassen. In ihrer Verzweiflung versuchten die notleidenden Menschen nämlich auch diesen Weg. Er riet allen, mit denen er sprach, niemanden hereinzulassen. Sonst fühlten sich andere eingeladen und der Zustrom sei nicht mehr aufzuhalten. Die Stimmung unter den Großgrundbesitzern veränderte sich, wurde kälter. Sie misstrauten allmählich auch einander und versuchten, ihr Hab und Gut zusammenzuhalten. Und vor allem misstrauten sie allen Fremden. Wenn sich jemand vor dem Tore ankündigte, ließen sie ihn gar nicht vortreten. Auf diese Weise liefen sie nicht Gefahr, Mitleid zu empfinden oder ein schlechtes Gewissen, wenn sie Bettler zurück in die tödliche Kälte schickten oder ein Kind dem Hungertod überließen. Schließlich gab es ja so viele davon und sie könnten ohnehin nicht allen helfen.

Viele Jahre später hatte der Mann, verbittert und zornig im Herzen, durch Misswirtschaft nach und nach alle seine Güter verloren. Vor den anderen Großgrundbesitzern schämte er sich und brach den Kontakt ab. Nachdem er auch sein letztes Gutshaus verkaufen hatte müssen, war er mit seiner Frau in eine kleine Behausung am Flussufer gezogen. Doch irgendwann war auch hier das restliche Geld aufgebraucht. Die beiden litten Hunger und die Hütte war marode und bot kaum Schutz vor Regen und Kälte. Als der Hunger groß genug und die Not zu drängend wurde, überwand der Mann seinen Stolz und machte sich mit seiner Frau auf den Weg zu einem Großgrundbesitzer, mit dem er früher befreundet gewesen war. Er wusste, dass dieser vor vielen Jahren oft Notleidenden Schutz gewährt hatte.

Er klopfte am Tor, eine Dienerin öffnete die Luke und fragte nach seinem Begehren. Nach kurzer Zeit kam sie zurück. Der Herr möchte ihn nicht anhören und die Luke schloss sich. Nicht anders erging es ihm an den weiteren Toren an denen er klopfte. Zu groß war die Angst vor fremden Gästen.

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Ich mag doch keine Fische vergeben
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fischundfleisch

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Darpan

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Petra vom Frankenwald

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