VON BÄLLEN UND QUOTEN
Quelle: AP
Strahlen um die Wette beim Empfang im Weissen Haus: Dieser Tage wurden sie geehrt, die US-Girls, die diesen Sommer "ihre" Fussball-WM gewonnen hatten.
Wir erinnern uns:
Es war eine Mischung aus beleidigter Herablassung und Desinteresse, welche hierzulande die Meldung begleitet hatte, dass die im deutschen Trikot angetretenen Fussballerinnen als 4., also ohne Medaille, von der zuende gegangenen WM nachhause fahren würden.Beleidigt deswegen, weil das Anrecht auf den WM-Titel nun mal, wie ein jeder hier weiss, bei „uns“ in Deutschland liegt.Herablassend deswegen, weil es Frauen („ach so…“) waren, die da angetreten sind.Aber das Desinteresse?Obwohl ja durchaus im Bereich des Möglichen, war eine denkbarer deutsche Weltmeister - innen - schaft so gar kein Aufhänger für patriotische Zusammenrottung und nationale Aufwallung:Beim public-viewing hätte man wohl mit der pflichtschuldigst anwesenden Frauenbeauftragten ziemlich einsam auf der Tribüne gesessen.Wenn es auch ganz sicher zu begrüssen ist, dass eine weiteres „Schland“ an uns vorüber gegangen ist, so stellt sich doch die Frage, wieso „eigentlicher“ Fussball in diesem Land hier so ausschliesslich männlich ist.
Wobei doch selbst auch in Deutschland der „Kampf- und Stampf-Fussball“ mit Blutgrätsche und mythischem „bis zu letzten Atemzug“ notgedrungen aus der Mode gekommen ist:Die spanischen Jungs hatten ja mehrmals erfolgreich vorgeführt, wie man solchen „Festungsfussball“ spielerisch umgeht und gegen ihn — gewinnt!Für diese Nachhilfe nochmal „Gracias, Espana, Gracias Vicente del Bosque, Gracias David Villa, Gracias Fernando Torres !“Vor diesem Hintergrund, dass nämlich deutsche „Primärtugenden“ im modernen Fussball immer weniger gefragt sind, dass also das Argument immer weniger zieht, Frauen hätten eben nun mal nicht die dafür nötigen physischen Voraussetzungen, sind die verbreitete Herablassung und das durchgehende Desinteresse schwer nachzuvollziehen.Bekanntlich sind es die Spielerinnen der USA, die gerade zum 3. Mal den WM-Titel geholt haben.Und nicht „Wir“ .Haben die einfach mehr Glück, oder sind die schlicht besser?Wieso sind die USA, ja auch keine Bastion der a-priori-Gerechtigkeit bei der gesellschaftlichen Partizipation der Geschlechter in relevanter Breite, auf Titel und Medaillen im „weiblichen Fussball“ so selbstbewusst und selbstverständlich abonniert?Der Schlüssel zum Verständnis liegt in den 70-er Jahren.Und dort in der Neuausrichtung des Schulsports.Schulsport??Für wen sich Schulsport auf Bundesjugendspiele reimt — deren Reputation wurde, zeitlich zur Fussball-WM passend, ebenfalls diesen Sommer deutlich anlässlich des jämmerlichen und peinlichen „#bjs/#bundesjugendspiele“, natürlich aus dem idyllischen Konstanz/Bodensee — der hat von der Wertigkeit des Sports bei der Sozialisation junger Amerikaner wenig Ahnung:Wer es dort nicht schafft, sich im Kollektiv der „jocks“, also der Sportler, seinen Platz zu erkämpfen, dem bleibt als Zuflucht nur noch die Subkultur der „nerds“, wenn er im Sozialverband der peers nicht die Existenz eines Zombie fristen will.„Title IX“ war erstmal nur eine kleine Ergänzung des „Equal Rights Amendments“, das Nixon (!) in 1972 unterschrieb, die gesetzliche Forderung, die materielle Förderung sportlicher Aktivitäten an den Schulen gleichberechtigt zwischen den Geschlechtern aufzuteilen.Bei der Frage, wie man Schulsport also gestalten könne, dass Mädchen wie Jungs sich dort realisieren können, musste man von der klaren Voraussetzung ausgehen, dass die klassischen Felder US-amerkanischer Sportlichkeit, Baseball und Football, 100% männliche Veranstaltungen waren (und bis heute geblieben sind).Sport sollte für Mädchen ab jetzt aber mehr sein als die Beschränkung auf „Gefälliges“ wie Gymnastik oder gar ihre Rolle als schmückendes Beiwerk mit Auftritten als cheer-leader vor den football-games der tough boys.Anstatt nun aber in aussichtslose und unfruchtbare Konkurrenz auf männlich dominiertem Terrain zu treten, oder auf diesem Feld qua Verordnung gewünschte Veränderungen gar erzwingen zu wollen, bewies man in der Ministerial- und Schulbürokratie intelligente Weitsicht:Wohlwissend, dass die Jungs dieses Feld, als „typisch Mädchen“ präsentiert, dem anderen Geschlecht nicht streitig machen würden, „importierte“ man den europäischen Fussball, den soccer; und beliess es nicht beim Import, sondern förderte das Vorhaben und seine Attraktivität massiv. „Typisch amerikanisch“ qua Wettbewerb:Schulmeisterschaften (gut dotiert) auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene.So kommt es, dass soccer in den USA heute weiblich ist.Wie weit diese Konnotation geht, zeigt sich beim ersten Besuch bei amerikanischen Bekannten:Ob es in der Familie Töchter gibt, erschliesst sich dem Besucher schon im Flur:Stehen dort Fussballschuhe, ein klares „Ja“………Und wenn im TV die Übertragung der soccer-Meisterschaften läuft, dann sitzt neben der Tochter auch deren Mutter davor, die dank title IX vor 20 Jahren selbst zum ersten Mal auf dem Rasen ihrer Schule stand.Und so stimmen eben auch die Zuschauerzahlen. Und damit die Werbeeinnahmen.Und:Soccer wurde auch international erfolgreich.
20 Jahre nach seiner flächendeckenden Einführung als „Schulsport für Mädchen“ in den USA war es soweit:Nicht zufällig wurde bei den Olympischen Spielen von Atlanta 1996 Frauenfussball zum ersten Mal als olympische Disziplin ausgetragen.Selbstredend ging die Goldmedaille an die USA, genauso wie auch 2004, 2008 und 2012.Nur 2000 hatte es „bloss“ für Silber gereicht.Ähnlich beeindruckend ist der US-Erfolg bei der FIFA-WM der Frauen:1991 zum ersten Mal ausgetragen, ging auch da der Titel gleich an die USA, genauso wie 1999 und jetzt gerade in 2015.Bemerkenswert vor allem die Konstanz des US-Teams:Die „title IX babies“ beendeten alle WM-Turniere auf einem der ersten drei Ränge.Im Ganzen ein schönes Beispiel dafür, wie Partizipation auf so wichtigen Feldern wie dem des Sports gewollt und gefördert wurde und schliesslich zu einem breiten, gesellschaftlich relevanten Erfolg geführt, mithin durchgesetzt werden konnte.Und dies in zeitlich überschaubarem Rahmen.Ob man in gut 40 Jahren von den hiesigen Bemühungen um Geschlechtergerechtigkeit dasselbe wird sagen können?Hierzulande arbeitet man sich an diesem Topos aktuell ja bevorzugt über verordnete Regulierungen wie die der „Quote“ ab. Auf gut deutsch eben.Ob sich auf den Stühlen der Vorstandsetagen der 30 grössten (DAX-)Unternehmen nun weibliche oder männliche Hintern platzieren, das gilt in der öffentlichen/veröffentlichten Meinung als ultimativer Lackmustest für breiten gesellschaftlichen Umbruch. Aus zwei Gründen erscheint dies erstaunlich:Einmal überrascht es, dass eben diese Auseinandersetzung höchste Priorität hat gerade für Leute, die sich politisch als links und/oder „fortschrittlich“ verorten.Dazu hat kaum jemand je so treffend bemerkt wie Sarah Schmidt in der „Jungle World“:„Wer ganz nach oben will, muss unangenehme Charaktereigenschaften vorweisen: Ignoranz, Egoismus, Gier. Er (oder sie) muss bereit sein, sein Leben ganz dem Leistungsstreben unterzuordnen, auf ein Privatleben weitgehend zu verzichten und moralische Maßstäbe sehr, sehr weit hinten anzustellen. Empathie ist nicht gefragt, außer es geht darum, sich in andere einzufühlen, um diese zu manipulieren. Man muss verdrängen können, über wessen Rücken man bereits gestiegen ist, um weiter voranzukommen. Es ist ein sehr einfaches Bild, das ich hier zeichne, aber Wirtschaft ist, aus der menschlichen Perspektive gesehen, auch nicht eben diffizil gestrickt. Warum sollte dieses Verhalten gesellschaftlich noch mehr gefördert werden als sowieso schon? Ich sehe da überhaupt keinen Grund und bin davon überzeugt, dass sich an der Grundschlechtigkeit durch mehr Frauen überhaupt nichts ändern wird. Es ist nur ein moralisches Deckmäntelchen. Seht her, wir haben sogar Frauen bei uns. Na, dann kann es alles doch nicht so übel sein…….Gesellschaftlich relevant ist das nicht wirklich, oder? Dass für diese alphawilligen Frauen Unterstützung von uns gefordert wird, erscheint mir absurd. Ich will damit nicht belästigt werden.“Oder, wie das schöne jamaikanische Sprichwort sagt:„Je höher der Affe klettert, desto besser sieht man seinen Arsch“.Das ist bei der Äffin auch nicht anders……nur wird , korrekt, aus „seinem“ dann „ihr“ Arsch……Aber auch, wenn man die „moralische“ Frage beiseite lässt, wem eigentlich man beim Erklimmen der Karriereleiter hilft, bleibt der Zweifel an der gesellschaftlichen Breite, also Relevanz solcher „Platzzuweisung“.Wollte man sich nicht nur auf Schau- oder Alibi“kämpfe“ beschränken, sondern „numerische Geschlechtergerechtigkeit“ tatsächlich ernst nehmen, dann müsste man ehrlicherweise über eine Männerquote an den Supermarktkassen nachdenken. Zumindestens vom Aspekt der quantitativen Relevanz her wäre man damit wesentlich näher an der Sache dran.Unbestritten bedurfte es auch im Beispiel des amerikanischen Frauenfussball des Anstosses durch eine gesetzliche Regelung, um bestehende Verhältnisse gerechter zu gestalten.Bei deren Umsetzung klammerte man sich allerdings nicht an Zwangsmittel und Quoten, sondern machte ein neues Feld auf, eben das des Fussballs, auf dem sich „die andere Hälfte“ Selbstverwirklichung, Partizipation und öffentliche Wahrnehmung erkämpfte.Und das mit einem Erfolg, den man anfangs so wohl gar nicht im Auge hatte.Nochmal: Congratulations on this, America!PS: Jede gesellschaftliche Veränderung bedarf, nachdem durch geduldige Vorarbeit die Voraussetzung dafür geschaffen wurde, des „ikonischen Moments“, um ihr zum scheinbar plötzlichen Durchbruch zu verhelfen. Im Fall des female soccer war es das Bild von Brandi Chastain, die sich in unbändiger Freude jubelnd das Trikot vom Leib reisst, nachdem sie bei der WM `99 das entscheidende Tor zum 5:4 im Elfmeterschiessen gegen China im Endspiel erzielt hatte. Nach torlosen 90 Minuten und Verlängerung……
Wem jetzt Bedenken kommen wg. der unbestrittenen "sexiness" dieser Szene:
Quelle: AP
In der absoluten Mehrzahl wurden die Poster über die Betten in den M ä d c h e n zimmern gepinnt. Und zwar nicht, weil es da ein „hot chick“ zu bewundern gäbe, sondern:„Brandi Chastain taking off her shirt was about the excitement of the victory. It was not to show off her body. It showed that being a woman did not matter; she could celebrate and show emotion. In a moment of temporary insanity, nothing more, nothing less, it does matter if who takes off their shirt out of sheer joy and exuberance. It is a celebration of athletic achievement on the highest level, a mark of the ascendency of women in sports. It laid a path for women to be independent and pave their own way to success in sports.“ (Miller/Scheyer/Sherrard)
Auf gut deutsch:
Weil so aus dem „ach so…“ hinter Frauenfussball ein „!“ wurde.Weiterführend:http://www.thedailybeast.com/articles/2012/06/22/the-truth-about-title-ix.htmlhttp://www.nbcnews.com/storyline/world-cup/level-playing-field-why-usa-so-strong-womens-soccer-n385346http://jungle-world.com/artikel/2011/09/42740.htmlhttp://sites.duke.edu/wcwp/research-projects/womens-soccer-in-the-u-s/womens-soccer-after-1999/womens-soccer-and-gender-roles/
Quelle des Blogbilds:
spreeblick.com