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Auf der Suche nach "dem" Volk...

Die Auseinandersetzung um die Frage, wer das denn nun sein soll, währt, seit es die Idee der Ausrichtung von Herrschaft am Willen "des Volkes" gibt. Von Beginn an:

-- Der männliche Teil der "oberen knapp 10%", die zur Zeit der attischen Demokratie keine Heloten oder Sklaven waren: "das Volk"?

-- Die männlichen Vertreter derer, die einen gewissen wirtschaftlichen Erfolg vorweisen konnten, und deshalb im Zensuswahlrecht des 19. Jahrhunderts Wahlrecht hatten: "das Volk"?

-- Diejenigen, die in Bestrebungen, die "Demokratie" vor dem Abrutschen in die "Diktatur des Pöbels" zu bewahren, erst aufgrund einer nachgewiesenen intellektuellen oder gar moralischen Mindestqualifikation das Wahlrecht haben sollten: "das Volk"?

-- Diejenigen, die reklamier(t)en "Wir sind das Volk!": "das Volk"?

-- Diejenigen, die dagegenhalten: "Ihr seid nicht das Volk!": "das (bessere) Volk"?

-- Die, die als die "eigentlichen" angeblich "schon immer" dagewesen sind, sind nur die: "das Volk"?

-- Oder sind das alle, die eben jetzt da sind?

Seit 1789, seit der Wiederentdeckung der Idee, dass es "le peuple" sein sollte, nach dessen Willen und Wünschen sich Herrschaft auszurichen habe, tobt der immer nur kurzzeitig "entschiedene" (besser: nach den jeweiligen Machtverhältnissen durchgesetzte) Standpunkt im Kampf um die Antwort nach der Frage nach dem "Volk".

BTW: Die Wirkmächtigkeit der Droge "Volk" hatte auch der NS verstanden: Dies drückt sich in dessen (pervertierten) Ausdrücken vom "Volkszorn", "Volkswillen", "Volksgerichthof" usf. aus. Und die kommunistischen Staaten schmückten sich mit der Verzierung "Volks"republik für ihre "Volksgefängnisse".

Aktuell haben selbsternannte "(wahre) Vertreter des (wahren) Volkes" wie Marie le Pen, Donald Trump, Beppe Grillo....Konjunktur.

Leute, die sich ebenfalls, und das leidenschaftlich, auf "das" Volk beziehen. "Populismus" heisst der Terminus, der, letztlich als Totschlagargument, gegen sie in Anschlag gebracht wird. Um sich damit als "wahrer Demokrat" von derlei "Gestalten" abzugrenzen.

Wohlfeil, wohlklingend, aber in der Sache völlig wirkungslos.

Gegen solche "Volkstribunen" (das war übrigens eine honorige und angesehene Institution in der römischen Republik, sakrosankt(physisch und rechtlich unantastbar) und mit jederzeitigem Vetorecht gegen Beschlüsse eines jedweden Magistrats ausgestattet. Mit dem faktischen Ende der Republik brauchte man die nicht mehr, da man sich die plebs Wunsch und Willen zur Partizipation qua "Brot und Spiele" hatte abkaufen lassen..) hilft weder Dämonisierung noch naserümpfend-vornehme Abgrenzung.

Genausowenig hilft es, die Fragen, die von diesen Leuten gestellt werden, von vornherein, weil eben "populistisch", wegzuwischen.

Im Gegenteil, in einer ernstgemeinten Auseinandersetzung wird man nicht umhinkommen, die Fragen, die von diesen Leuten gestellt werden, als in Teilen berechtigt anzuerkennen.

Es ist ja gerade die nicht bestreitbare Tatsache, dass solche Fragen allzulange eben nicht gestellt wurden/nicht gestellt werden sollten, die den "Populisten" zu ihrer Akzeptanz verhilft.

Statt Beschweigens, Verbietens, Dämonisierens kann nur der Versuch Erfolg versprechen, die "Kurzschlüsse" bei den angebotenen "Antworten"/"Lösungen" nachzuweisen.

Dünkelhaftes Sich-auf-die-Seite-der-Besseren-Zurückziehen bewirkt nicht nur das schiere Gegenteil: Es mag einem gefallen oder nicht, auf der immerwährenden, und wohl nie endenen Suche nach dem "wahren" Volk ist der "dunkle" Populismus eben nicht die a priori "leuchtende" Antithese zur "Demokratie", sondern deren Schwester.

Die vielleicht "kleinere", oft auch die hässlichere, aber:

Wahrscheinlich sogar der Zwilling, auf jeden Fall aus derselben Familie.

Beide geboren aus der Sehnsucht der Masse, ihre Geschichte und Geschicke über grösstmögliche Partizipation weitmöglichst selbst bestimmen zu können. Bei aller gebotenen Vorsicht vor der Masse: die ja, aller modischen angeblichen "Schwarmintelligenz" zum Trotz, eben doch stets weniger intelligent denkt und noch weniger so handelt, wie die Summe der in ihr Aufgehenden. In dem Zusammenhang auch ein kurzes Nachdenken über den Unterschied zwischen "American revolution" vs. "French revolution", also die Kultur der "ballot" gegen die des "taking the streets".

Zumindest die (dann eben doch eher "mittelbare";) Demokratie ist der Versuch, der Gefahr des Abrutschens in die Vermassung und damit in Richtung Totalität Zivilisiertheit entgegenzusetzen.

So, also zivilisiert, sprich rational, sollte sie deshalb mit der ungeliebten "kleinen Schwester" umgehen.

Glaubensbekenntnisse, Abgrenzungsrituale und Akklamation der richtigen Gesinnung helfen genausowenig weiter wie Dämonisierung, (Selbst)Infantilisierung und der Ruf nach Zensur.

Empfehlung:

-- "Masse und Macht" (Canetti) sowieso

-- oder (erstmal):

"Der Sog der Masse", Harald Martenstein

http://www.zeit.de/2011/46/DOS-Mainstream/komplettansicht

-- und, vom selben Autor, zur Rezeption des "Populismus":

http://www.zeit.de/zeit-magazin/2016/52/populismus-mittelklasse-revolte-diversitaet-harald-martenstein

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