Betteln ist ein beinharter Job

Zum ersten Mal in diesem Jahr auf dem Weihnachtsmarkt. Wie immer Geglitzer überall, Punsch- und Krapfenduft, die Perchten sind gerade noch mit einem Riesenradau durchgezogen, der riesige Weihnachtsbaum überstrahlt alles… Eigentlich perfekt. Wenn da nicht dieser sonderbare kleine Störfaktor wäre, die kleine trostlose Gestalt, die neben den Stufen des Weihnachtsbaum-Podestes kauert, Kopf gesenkt, Oberkörper leise vor- und zurückschwankend, ein leerer Pappbecher in der ausgestreckten Hand.

Sie hebt den Kopf, als ich zu ihr hingehe, und sieht mich an. Ich könnte sie keiner bestimmten Ethnie zuordnen, einfach eine Frau etwa Mitte Vierzig, mit schmalem Gesicht und unendlich müden Augen. Sie versucht ein Lächeln, das nicht so richtig gelingt, ich wünsche ihr Glück und gehe ganz schnell wieder weg, nicht wissend, warum gerade sie mir so besonders nahe geht. Adventsentimentalität?

„Das war jetzt eigentlich fast überflüssig von mir“, sage ich Minuten später zu meiner Begleiterin. „An diesem Platz muss die ja sowieso blendend verdienen, Pole-Position sozusagen, die Kohle würde von anderen Bettlern wahrscheinlich viel dringender gebraucht. Wenn gerade hier direkt unterm Weihnachtsbaum das Bettlergeschäft nicht pfeift, dann wüsste ich nicht wo sonst.“

Wir trinken unseren Punsch oben auf dem Weihnachtsbaum-Podest, ich habe die Frau von dort noch immer im Blick, fast eine Dreiviertelstunde lang. Die Perchtenschellen verklingen in der Ferne, die Stimmung rundherum ist bestens, der Punsch fließt in Strömen, Düfte wehen, Gelächter auch, Langos-, Krapfen-, Leberkässemmel-Mampfer drängen sich durch die wogende Menge.

Von hier oben versuche ich die Zahl der Leute rundherum zu schätzen. 50, 100, 200, mehr? Ich versuche mir auszurechnen, was es für die Frau dort auf dem Boden bedeuten würde, wenn jeder und jede einzelne hier auch nur läppische 50 Cent in ihren Becher fallen ließe. Oder 20. Etwa ein Sechstel oder Siebentel oder Zwölftel oder Fünfzehntel Punsch sozusagen.

Doch meine dort verbrachte Dreiviertelstunde lang scheint sie niemand, wirklich niemand, auch nur zu bemerken. Obwohl sich manche so nah an ihr vorüberdrängeln, dass ich Angst habe, sie rennen sie über den Haufen. Und niemand wirft auch nur einen Groschen in diesen Becher. Zweimal in dieser Dreiviertelstunde wechselt sie die Haltung ein wenig, wahrscheinlich schlafen ihr öfter mal die Beine ein vom langen Knien. Sonst passiert gar nichts.

Nein, das Bettlergeschäft pfeift selbst hier nicht, da war ich im Irrtum. Betteln ist ein beinharter Job, anstrengend, demütigend, frustrierend. Zu knien vor Leuten, die sich von der Not anderer Menschen bestenfalls belästigt fühlen… Und die auf lächerliche, durch ernsthafte Studien längst widerlegte Legenden wie die von der allgegenwärtigen „Bettlermafia“ hereinfallen… oder schlimmer, diese Legenden als willkommenes Alibimissbrauchen, um mit gutem Gewissen wegschauen zu können…

Ich denke daran, was ich irgendwann irgendwo gelesen habe: dass sich im arabischen Raum nicht der Bettler zu bedanken pflegt, sondern stattdessen der Geber dem Bettler dankt, für die Gelegenheit, etwas Gutes zu tun. Was für eine Geschichte. Selbst wenn sie nicht stimmen sollte, dann wäre sie zumindest anbetungswürdig gut erfunden. Könnte fast eine Weihnachtsgeschichte sein. Noch so eine von ganz weit weg, genau wie die uns bestens bekannte, du weißt schon, die aus dem Morgenland, die von den herumirrenden Herbergsuchenden, die schließlich dann in einem Stall… aber nein, das ist ja eine ganz andere Geschichte. Hat mit uns hier doch gar nichts zu tun.

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Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:18

fischundfleisch

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