In einem Schweizer Musiklokal fühlen sich ein paar Gäste „unwohl“, weil die Reggae-Band, die dort spielt, aus Weißen besteht, die Rastalocken tragen. Gestohlenes Kulturgut, meinen sie. „Kulturelle Aneignung“ ist das neue Modeschlagwort. Das sei politisch nicht korrekt.
Der Veranstalter entblödet sich nicht, daraufhin das Konzert abzubrechen. Anstatt einfach freundlich zu sagen: „Liebe Gäste, wenn Sie sich bei uns nicht wohl fühlen, steht es Ihnen jederzeit frei, zu gehen.“
In Hallstatt damals, der Japaner, der sich Lederhose und Gamsbart „kulturell angeeignet“ hatte, war unvergesslich putzig. Unwohl hab ich mich aber nur des Gamsbartes wegen gefühlt, weil ich Trophäen von getöteten Tieren insgesamt nicht mag. Das allerdings auch, wenn ich sie auf dem Hut eines Ur-Österreichers oder Bayern sehe, das hat mit dem Japaner nichts zu tun. Dass er Spaß daran hatte, in kariertem Hemd und uriger Lederhose herumzulaufen, hat in mir keinerlei Unwohlsein verursacht.
Auch mit Takeo Ishi, dem berühmten „jodelnden Japaner“ habe ich kein Problem. Musik nämlich, liebe Unwohlfühler, sehe und fühle ich global, universal, völkerübergreifend, verbindend und keinesfalls trennend, Musik und die Freude daran sollte allen gehören, weltweit.
Aber da ist noch mehr.
David Alaba in Blond. Auch Tina Turner hat das mal getan. Und unsere Freundin Monica aus dem tiefsten Schwarzafrika. Und viele andere auch. Hab ich mich dabei je unwohl gefühlt? Eigentlich nicht, genau so wenig, wie wenn sich schwarze Menschen die Haarkrause glätten lassen oder Asiatinnen nach europäischem Muster die Augen vergrößern. Jede und jeder wie er will, sag ich.
Und fühle mich kein Bisschen meiner kulturellen Identität beraubt. Im Gegenteil. Ist es nicht wunderschön, wenn Gräben zugeschüttet anstatt aufgerissen werden? Wenn gegenseitige Inspiration dazu führt, dass sich Völker vermischen, verschieden Kulturen einander bereichern, einander Vorbild sind, schöne Dinge ihre Wege bis ans andere Ende der Welt finden, seien es Trachten, Moden, Musik, Kunst, wenn spirituelle Reichtümer sich allen Menschen mitteilen, anstatt in einer einzigen Region stecken zu bleiben…
Ich habe darüber nachgedacht. Und hätte da jetzt ein paar heikle Fragen an euch engstirnige, hysterische, verbissene Political-Correctness-National-Fundamentalisten:
Darf ich mir eigentlich eine Buddhastatue in den Garten stellen oder gar einen Zen-Garten anlegen?
Darf ich mir einen Traumfänger ins Schlafzimmer hängen?
Muss ich meine Cowboystiefel wegwerfen und darf ich überhaupt noch Westernreiten?
Darf auch Blues-Musik nur noch von astreinen Afro-Amerikanern gespielt und gesungen werden?
Vor Jahren bin ich im Fasching mal als Mönch gegangen, obwohl ich nicht einmal katholisch bin. Durfte ich das? Darf ich mich noch als Scheich verkleiden? Als orientalische Bauchtänzerin?
Ach ja, überhaupt: Diese Bauchtanzkurse und –gruppen, die es bei uns an jeder Ecke gibt: Sollten diese Damen nicht, anstatt sich an fremder Kultur zu vergreifen, Bandltanz im Dirndl machen, oder Schuhplattln? (Aber halt! Nein! Keine Frauen beim Schuhplattln. Das ist immer noch Männersache, aber sonst… Ihr wisst schon, was ich meine.)
Und weil wir grad beim Tanzen sind: Tango Argentino, bei uns sehr beliebt (und ich gestehe beschämt, dass auch ich diese kulturelle Aneignung schon begangen habe), sollte man doch bitte den dafür zuständigen Latinos überlassen. Oder nicht? Und nebenbei, darf man Latino überhaupt sagen, oder hab ich mich da schon wieder auf peinliche Weise vergriffen? (Okay, Latinas und Latinos wenigstens, tschuldigung…)
Darf ich mir einen echten Perserteppich ins Wohnzimmer legen? Oder wenigstens einen nachgemachten? Oder ist der nachgemachte noch schlimmer als der echte? Und ist das Wort „Perser“ überhaupt noch erlaubt? Ich kenn mich nicht mehr aus.
Und die wunderschönen Malereien der Aborigines: Dürfen die bei mir in Linz an der Wand hängen? Und noch schlimmer: Darf ich als österreichischer Künstler mich in die Geschichte der Traumpfade vertiefen, darüber lernen und mich, einfach um zu verstehen, in aller Bescheidenheit sogar ein wenig in dieser Kunst versuchen? Oder ist das auch schon ein unverzeihlicher Übergriff?
Das Winnetou-Bashing, bei dem Ravensburger und ARD fleißig mitmachen, kommt mir in den Sinn. Tut mir leid, vielleicht bin ich zu naiv, aber ich orte echt keinen Rassismus in den Geschichten einer Blutsbruderschaft zwischen einem Apachen und einem Weißen. Gute gegen Böse, unbhängig von Hautfarben, das Thema fast aller Abenteuergeschichten, finde ich in den Büchern von Karl May. Sie waren es übrigens, die mich zuerst sensibilisiert haben, und den Anstoß dazu gaben, dass ich mich später mit der wahren Geschichte der amerikanischen Ureinwohner auseinandergesetzt und darüber viel gelernt habe. Was dazu führte, dass ich heute noch einen dicken Hals kriege, wenn ich irgend einen enthusiastischen Redneck „This Land is your Land, this Land is my Land…“ grölen höre.
Ah ja, ich habe übrigens eine ganze Weile lang so manches meiner Bilder mit dem Namen „Geronimo“ signiert. Nein, kein gedankenloser Übergriff, keine kulturelle Aneignung. Bloß eine tief empfundene Hommage an Goklayeh, den letzten großen Häuptling und Medizinmann, für den ich dereinst auch eins meiner schönsten Gedichte geschrieben habe.
Aber ich schweife ab. Was ich eigentlich noch sagen wollte:
Ich hab einen alten, voll orientalischen Kelim direkt aus dem Morgenland zu Hause. Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen, dass ich ihn liegen lasse und mich weiter daran freue. Auch den schönen handgeschnitzen Holz-Tomahawk mit den Federn dran würde ich gern hängen lassen. Und den kleinen original indischen Wandteppich. Und den bunten Traumfänger, den mir meine Enkelkinder übergriffigerweise gebastelt haben, obwohl sie gar keine Indianer sind. Ich zieh mir nach wie vor ab und zu Geschichten von Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar rein. Und ich höre gern Blues und Reggae-Musik, egal ob von Jamaikanern oder Vorarlbergern gespielt, egal ob mit Dreadlocks oder ohne, Hauptsache gut, und manchmal tanz ich sogar dazu.
Sollte mich irgendwann irgend jemand besuchen, der sich wegen alldem unwohl fühlt… Kein Problem, es steht ihr und ihm jederzeit frei, gleich wieder zu gehen.
der SachenMacher