Aus aktuellem Anlass möchte ich hier die Geschichte einer heftigen Whats-App-Diskussion unter Künstlern erzählen, die mich mächtig irritiert und, ja, warum es nicht zugeben, stellenweise auch sehr enttäuscht hat.
Jemand hatte einige Gedanken und Ansichten zur aktuellen politischen Situation aufs Tapet gebracht, die von anderen sofort als „Wahlwerbung“ verteufelt und abgelehnt wurden. Derlei hätte in einer Künstlergruppe nichts verloren. Überhaupt seien so etwas wie etwaige (womöglich gar parteipolitische!) Gesinnungs-Bekenntnisse ein absolutes No-Go.
In dieser Runde hätte es „nur“ um Kunst zu gehen. Ausschließlich. Nicht etwa auch um das Leben um uns herum, nicht etwa auch um Ängste und Hoffnungen und Sehnsüchte und Meinungen und alles, was uns sonst noch antreibt und in uns brennt. Nicht etwa um soziales, gesellschaftliches oder politisches Engagement. Nein, nein, nein. Nur um Kunst.
Das Thema hat sogar einige bewogen, die Gruppe zu verlassen. Tschüss liebe Leute, sage ich. Ihr träumt von warmen Eislutschern. „Nur“ Kunst gibt´s nicht, zumindest nicht dann, wenn man sie ernst nimmt.
Kunst ist Leben und Leben ist Kunst, ist Alltag, ist überall, begegnet uns auf Schritt und Tritt, hüllt uns ein, gestaltet unsere Welt und letztlich auch uns selber. Ob Malerei, Bildhauerei, Musik, Tanz, Theater, Filme, ob nobelpreisgekrönte Literatur oder am Lagerfeuer erzählte Geschichten... was auch immer, wir können ihr sowieso nicht entgehen, der Kunst. Genau so wenig wie dem Leben. Genau so wenig wie der Politik.
Von Michelangelos anmutigem David bis hin zum klobigen Holocaust-Denkmal, vom erotischen Akt bis zum säbelschwingenden Husaren, von der Höhlenmalerei bis zur vollgeschütteten Großleinwand, vom altmeisterlichen Gemälde bis hin zu Omas kreuzstichgesticktem Sprücherl über dem Sofa, von Tschaikowskis Ballettmusik bis zum Gangsta-Rap, von der ersten Kinderzeichnung bis zum millionenteuren Meisterwerk erreicht sie unser Innerstes auch dann, wenn wir es manchmal nicht einmal richtig wahrnehmen.
„Ich mag im stillen Kämmerlein hübsche Blumerl malen und lustige Wanderlieder singen. Naja, vielleicht auch ein bisserl was gewagtes Abstraktes, allenfalls noch bisschen was in Richtung feministisch, das ist im Trend... Aber Politik? Das interessiert mich nicht. Nur die Kunst.“ Okay, auch ein Statement. Durchaus erlaubt. In Wahrheit hochpolitisch und ebenfalls ein kleiner Beitrag zur Gestaltung der Welt.
Aber: Die hübschen Blumerl, der Bergbauernhof, die Arbeiter auf dem Feld, das nächtliche Straßencafé, ein Kuss unter Liebenden, eine kriegerische Schlachtenszene, Maria mit dem Kind, eine Vollmondnacht... Nichts ist bedeutungslos und „nur“ Kunst. Sogar der allseits bekannte und nur scheinbar banale „Hirsch am Bergsee“ wirft Fragen auf. Was war die Intention, genau dieses Motiv zu wählen? War das Anliegen die Schönheit und das Recht auf Leben und Freiheit von Tieren? Oder stand da jemand Gewehr bei Fuß vor seiner Leinwand, um eine Jägeridylle zu romantisieren? Was hat sich der Künstler dabei wohl gedacht? Hat er sich überhaupt was gedacht? Nein? Okay, Gedankenlosigkeit ist auch eine Geisteshaltung. Und sowohl die Freiheit der Gedanken als auch das Fehlen derselben sind...ja was wohl..hoch politisch in ihren Auswirkungen.
Einen Zugang und eine Gesinnung ausdrückend kann jedes einzelne Motiv, jede einzelne Choreografie, Anklage, Verherrlichung und alles was dazwischen liegt bedeuten. Bisweilen unterscheiden sich sogar die Zugänge von Schöpfer und Betrachter massiv. Besonders dann, wenn ein aussagekräftiger Titel fehlt, der die Interpretation in eine Richtung lenkt. Ich erinnere mich lächelnd an Begegnungen, bei denen mir Besucher meiner Ausstellungen erklärten, was ich in ihren Augen da eigentlich gemalt hatte.
In jedem Fall macht ein Kunstwerk etwas mit dem, der es sieht und sich darauf einlässt. Es beeinflusst – manchmal kaum merklich – das Gefühl, das Erleben der Betrachter, den Zugang zur Welt, ästhetisch, gesellschafts- oder sonstwie politisch, in winzigsten Schritten vielleicht nur und ganz verborgen, aber immerhin. Letztlich nicht viel weniger, als eine Nachrichtensendung mit den Sehern macht.
Nicht zum ersten Mal flechte ich hier einen Ausschnitt aus einer Rede ein, die ich vor ca. 10 Jahren anlässlich einer Ausstellung halten durfte:
„Wir Kunstschaffenden sind eigentlich mächtige Menschen. Wir stellen uns mit dem was wir tun in die Öffentlichkeit. Wir haben Publikum, mehr oder weniger. Wir tun etwas Wesentliches und Eigentliches. Wir setzen uns mit der Welt auseinander, schauen sie an, bilden sie ab, beschreiben sie, kommentieren sie, öffnen neue Zugänge, wir pflanzen im Idealfall Gedanken und Ideen in die Köpfe der Zuhörer und Betrachter. Und bringen damit irgend etwas in Gang, etwas Kleines oder Großes, etwas das sofort wirkt oder auch erst viel später, bewusst oder unbewusst – irgend etwas bringt das Erleben von Kunst in den Menschen immer in Gang. Kunst ist – direkt oder indirekt – immer auch politisch. Und darin liegt auch ihre Macht. Und ihre Verantwortung.“
Eine Verantwortung, die man gar nicht ernst genug nehmen kann. Und über die in Künstlerkreisen zu diskutieren man nicht zu feig oder zu bequem sein sollte. Wach bleiben, hinschauen, zuhören, lernen, Position beziehen, Anteil nehmen. Kunst ist groß. Also denkt auch ihr groß, anstatt euch nur mit den eigenen Zehen zu spielen. Stellt euch Diskussionen zu jedem erdenklichen Thema, anstatt den Schwanz einzuziehen und euch beleidigt abzuwenden. Selbst ein Streitgespräch muss nicht immer gleich ein Zerwürfnis sein. Im Gegenteil, manchmal ist sowas sogar pure Inspiration.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die sich heute so aufgepudelt und ins Schmollwinkerl zurückgezogen haben!
Ja, ja, ja! Kunst IST politisch. Jede Kunst. Immer. Also hat Politik auch dort ihren Platz, wo es „nur“ um Kunst geht. Habt doch bitte den Mut und die Größe, euch auch damit auseinander zu setzen, vor allem in einer Künstlergruppe, die aktuell ohnehin in einem politisch ziemlich gebeutelten Land existiert. Das geht uns alle etwas an.
Oder ihr steckt alternativ den Kopf in den Sand, malt ein paar hübsche Blumerl, und das war´s dann.
Der SachenMacher
p.s.: Irgendwie geht mir plötzlich eine Zeile aus Georg Danzers melancholischer Ballade „I hob scho so fü Liada gschriem“ durch den Kopf, nämlich diese: „I gnotz da hinter der Gitar und s’Lebn rennt draußd fuabei“. Hat er sicherlich nicht wirklich immer so empfunden.
Aber euch könnt es so gehen, wenn ihr nicht aufpasst.