Deutschland ist stolz auf seine Ingenieure, Entdecker und Freigeister, es gibt einige herausragende Persönlichkeiten. Wir haben aber eigentlich das Potential für viel mehr Kreativität. Das wird uns jedoch abtrainiert. Zunehmend sind andere auch schneller als wir, versuchen nur halbausgereifte Sachen und beherrschen die Fähigkeit, auf komplexe Herausforderungen entsprechend zu reagieren. Auf vernetztes Denken wird in unseren Schulen niemand konsequent vorbereitet, dort geht es hauptsächlich um Wissensvermittlung. Veränderung ist möglich: Es gibt weltweite Initiativen dies zu ändern, mit Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Von Jörg Knebusch[*].
In unserem Landkreis gab es bisher bis auf eine konfessionell gebundene Grundschule keine alternative Bildungsangebote und nun haben sich in den letzten Monaten gleich 3 Initiativen zur Gründung von alternativen Schulen gebildet. Ist das reiner Zufall? Sind das „nur“ Aktivitäten von ewigen Alternativos, Systemgegnern und Utopisten? Nein! Es sind ganz normale Eltern, Lehrer, Unternehmer – Menschen, die sich Ihre Gedanken über die aktuelle Situation unserer Gesellschaft im Hinblick auf sich vollziehende gravierende Umwälzungen und die notwendigen nachhaltigen Reaktionen machen.
Befinden Sie sich im Moment im Wohlfühlmodus? Meinen Sie, so wie es gerade läuft, sind wir für die Herausforderungen der Zukunft richtig aufgestellt? Dann lesen Sie bitte nicht weiter.
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Für alle anderen: Am 18. September 2015 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Agenda 2030, eine Übereinkunft aller 193 Mitgliedsstaaten mit 17 globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) mit 169 Unterzielen. Sie gilt seit dem 1. Januar 2016 und dient sozusagen als Gebrauchsanweisung für eine bessere Welt. Haben Sie davon schon etwas gehört? Wieso eigentlich nicht? Anscheinend gab es Wichtigeres ;)
Die Agenda 2030 benennt fünf Dimensionen, auf die gleichermaßen abgezielt werden muss:
den Menschen, den Planeten, Wohlstand und Frieden und eine globale Partnerschaft (englisch: People, Planet, Prosperity, Peace, Partnership – „5 Ps“). Die Vision der Agenda 2030 ist der gesunde Mensch, der in Frieden in einer gerechten Gesellschaft lebt, umgeben von einer intakten Umwelt – überall in der Welt.
Wenden wir uns nun speziell dem 4. Ziel-Komplex „Hochwertige Bildung“ zu, wo im Unterziel 4.7 steht: „Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen …“
Die UNESCO hat für diesen Ziel-Komplex Bildung bereits ein Umsetzungsprogramm entwickelt. 2015 fiel der Startschuss für das UNESCO-Weltaktionsprogramm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE). Das fünfjährige Programm (2015-2019) zielt darauf ab, langfristig eine systemische Veränderung des Bildungssystems zu bewirken und Bildung für nachhaltige Entwicklung vom Projekt in die Struktur zu bringen. Die Bundesregierung beteiligt sich am Weltaktionsprogramm, das federführende Ressort ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Irina Bogota, die Generaldirektorin der UNESCO schreibt im Vorwort der Roadmap zur Umsetzung des Weltaktionsprogramms „Bildung für nachhaltige Entwicklung“: „Die komplexen globalen Herausforderungen der heutigen Zeit verlangen Antworten, die in unserem kollektiven Verständnis von Menschlichkeit verwurzelt sind. Ich bin davon überzeugt, dass die vor uns liegenden Risiken und Chancen einen Paradigmenwechsel erfordern, den nur Bildung in unseren Gesellschaften hervorrufen kann.“
Im Weltaktionsprogramm BNE heißt es dann
Lehren und Lernen soll auf interaktive Weise und mit dem Fokus auf die Lernenden gestaltet werden, um forschendes, aktionsorientiertes und transformatives Lernen zu ermöglichen.
Wie soll das umgesetzt werden?
Förderung von Kernkompetenzen wie kritisches und systematisches Denken, kollaborative Entscheidungsfindung und die Übernahme von Verantwortung für aktuelle und zukünftige Generationen.
Was soll das bewirken?
Lernende jeden Alters in allen Lernumgebungen in die Lage versetzen, sich selbst und die Gesellschaft, in der man lebt, zu verändern.
Wieso lesen wir davon nichts? Ist es nicht gewollt, dass die Mehrheit der Bevölkerung kritisch, kreativ und systematisch denken lernt und in allen Lebenslagen in die Lage versetzt wird, sich und die Gesellschaft zu verändern? Soll unser Bildungssystem nur brave, fleißige „Abarbeiter“ für die Industrie hervorbringen?
Interessanter Weise schrieb bereits am 13. Oktober 2014 einmal die Wirtschaftswoche: „Endlich durchbrach nun am 6. Mai 2014 in der englischen Tageszeitung „The Guardian“ ein ‚offener Brief’ an den OECD-Verantwortlichen für Pisa, Andreas Schleicher, mit dem Titel „OECD and Pisa tests are damaging education worldwide“ das unwürdige Schweigen – unterschrieben von über 150 Universitätsdozenten aus aller Welt.“ und hebt dann hervor: „In den Pisa-Studien und der OECD-Governance ist also keine Bemühung zu sehen, nationale Bildungssysteme zu optimieren, sondern die Absicht, weltweit eine globalisierte, standardisierte Bildungspraxis zu installieren. In dieser werden Menschen auf ihren Wert als „Humankapital“ reduziert und die Nationalstaaten haben sich einem globalen Bildungs-Leviathan unterzuordnen. Höchst fraglich ist, ob diese Zielsetzung und der Weg dahin wohl mit den Bedingungen von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten, Völkerrecht und Gemeinwohlförderung vereinbar sind.“
Verblüffend und eigentlich völlig im Einklang mit der geäußerten Kritik sagt Schleicher bereits 2011, was „Schule 2.0“ für ihn bedeutet: „Sie bereitet auf ein gesellschaftliches und berufliches Leben vor, das wir heute noch nicht kennen, auf Technologien, die erst morgen erfunden werden, und hilft, Herausforderungen zu bewältigen, von denen wir heute noch nicht wissen, dass es sie gibt.“ Auch in dem 2012 gehaltenem Vortrag auf einer TED conference äußerte er sich ähnlich.
Wie passt das zusammen? Kann Schleicher sich in der OECD mit seinen Ansichten nicht durchsetzen? Wieso misst die OECD in Pisa dann sogenannte Lernerträge als Schülerleistungen in Mathematik und in Lesekompetenz und nicht in Kreativität und vernetztem Denken? Wer ist denn die OECD eigentlich und was sind ihre Ziele?
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird bei Wikipedia wie folgt beschrieben: „Laut OECD-Konvention sind die Ziele der Organisation
zu einer optimalen Wirtschaftsentwicklung, hoher Beschäftigung und einem steigenden Lebensstandard in ihren Mitgliedstaaten beizutragen,
in ihren Mitgliedstaaten und den Entwicklungsländern das Wirtschaftswachstum zu fördern,
zu einer Ausweitung des Welthandels auf multilateraler Basis beizutragen.
Die Analysen und Empfehlungen der OECD zur Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten orientieren sich an einer liberalen, marktwirtschaftlichen und effizienten Wirtschaftsordnung. Für die Arbeits- wie für die Produktmärkte spricht sich die Organisation für den Abbau von Schranken und für mehr Wettbewerb aus.“
Auf der Website der OECD steht in der Mission, die man sich gegeben hat, jedenfalls nichts davon, dass man eine nachhaltige Entwicklung der Welt als oberste Prämisse fördern möchte, es geht um das ökonomische und soziale Wohlbefinden der Menschen (im Rahmen und zur Absicherung einer liberalen, marktwirtschaftlichen und effizienten Wirtschaftsordnung).
In ihrem Jahresbericht „Bildung auf einen Blick 2017 – OECD-Indikatoren“ widmet sich die OECD erstmals auch der Messung der Zielerfüllung der Bildungsziele aus den 17 Global Goals, hält aber an den anderen, althergebrachten Indikatoren für eine „erfolgreiche“ Bildung weiter fest … so dann eben auch die Kultusminister der Länder und das mit Lehrmethoden, die zum Teil 100 bis 150 Jahre alt sind. In Baden-Württemberg reagierte man gerade auf die Verschlechterung bei der Pisa-Bewertung im Fach Mathe mit einer Wochenstunde mehr. Sind Schüler mit besseren Pisa-Bewertungen wirklich besser auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet?
Wieso muss sich denn so grundlegend etwas an unserem Bildungssystem ändern? Was ist das für ein System? Es wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt, um fleißige Fabrik- und FließbandarbeiterInnen sowie gehorsame Soldaten zu „produzieren“. Die Wirtschaft war auf die Produktion von relativ gut planbaren Mengen gleichartiger Massenartikel ausgerichtet und benötigte brave, funktionierende Arbeiter, die einfache Aufgaben erledigen können. Dafür war Frontalunterricht, Auswendiglernen, Einzel-Fach-Unterricht die richtige Methode.
Nur hat sich beginnend seit den 1970er Jahren die Welt gravierend geändert – sie wurde komplexer und schnelllebiger. Und all das spitzt sich mit den Veränderungen durch die Digitalisierung immer mehr zu. Jedoch kommt aus unserem Bildungssystem überwiegend kein Nachwuchs, der Eigeninitiative, komplexes Denken und Kreativität zum Finden und Lösen der aktuellen Problemstellungen gelernt hat. Auch die Wirtschaft tut sich schwer mit den notwendigen Veränderungen – Machterhalt von alten „Alphatieren“ und zentrierte Führungssysteme mit tiefen Hierarchien verhindern Schnelligkeit und Eigenverantwortung im Umgang mit der immer weiter wachsenden Komplexität. Ein Ausweg aus dieser Sackgasse sind verschiedenste Ansätze aus dem Baukasten von „New Work“. Dieses hier weiter auszuführen wäre ein eigenes Thema und würde den Rahmen sprengen.
Ich möchte mit einem Zitat fortfahren: „Wir sind Schüler von heute, die durch Lehrer von gestern in einem System von vorgestern auf die Probleme von übermorgen vorbereitet werden sollen.“, aus dem Buch „Die Schule schwänzt das Lernen“( 2013) von Andreas Müller, Bildungsinnovator und Leiter des Insitituts Beatenberg/Schweiz.
Ist es wirklich so schlimm? Sicherlich hat sich schon punktuell einiges zum Positiven verändert und gibt es heute schon einige neue herausragende „Leuchttürme“, aber grundsätzlich gilt immer noch, was George Land in einem Langzeittest festgestellt hat – dem Menschen wird ein nicht-kreatives Verhalten beigebracht. Land hatte 1968 ca. 1600 Kinder im Alter von 3-5 Jahren auf ihre Kreativität getestet, basierend auf einem Test, um für die NASA die kreativsten Köpfe zu finden. Dann testete er die selben Kinder wieder im Alter von 10 und 15 Jahren. Außerdem führte er diesen Test auch noch an 280.000 Erwachsenen durch, mit folgendem Resultat: im Alter von 5 Jahren waren unglaubliche 98% ideen- oder erfindungsreich, dann mit 10 Jahren schon nur noch 30%, die 15-jährigen gerade noch 12% und bei den Erwachsenen waren es noch ganze 2%.
Jetzt könnte man ja auch sagen, ok – die 2 % sind die Vordenker und alle anderen müssen das Erdachte nur noch ausführen. Werden wir damit die immer größer werdenden Herausforderungen unserer Zukunft lösen? Ich habe da einige Zweifel. Und wieso sollen wir die Menschheit eigentlich beim kreativen, selbständigen Denken, bei Innovationen bremsen?
Und wieso ist das eigentlich so? George Land erklärt das bildlich so – unser Bildungswesen funktioniert für das Gehirn so, als ob es laufend die Anweisung erhält, Gas und Bremse gleichzeitig zu betätigen. Wir sollen Neues lernen, entdecken und entwickeln, erhalten dazu aber laufend einengende Regeln, Verbote und sonstige Vorgaben. Texte, Formeln, Gesetze, Lösungswege auswendig lernen, Wissensvermittlung und das in Klassenarbeiten wiedergeben – das ist überwiegend die Schulpraxis.
Und wie soll das heute in der Schulpraxis anders funktionieren? Es funktioniert und interessanterweise auch noch ganz anders als von skeptischen Außenstehenden erwartet. So haben sich Kinder der Freien Schule Forsmannstrasse in Hamburg in ihren zwei freien Projektstunden für Entdeckungen und Forschungen (ein halbes Jahr lang jede Woche) als selbst gewähltes Thema nicht mit Pferden, Computerspielen oder Fussball befasst, sondern ziemlich komplexe technische oder Gesellschaftsthemen gewählt. Und nun kommt das Überraschende: die beste Problemlösungskompetenz hatten nicht die eigentlichen Musterschüler, die beim Auswendiglernen für Klassenarbeiten ganz vorne lagen.
Damit sich das nun grundlegend in unserem Bildungssystem ändert, fordert die Roadmap der UNESCO in insgesamt 5 Handlungsfeldern u.a.
Politische Unterstützung: Integration des BNE-Konzepts in die Politik in den Bereichen Bildung und nachhaltige Entwicklung, um ein günstiges Umfeld für BNE zu schaffen und eine systemische Veränderung zu bewirken
Ganzheitliche Transformation von Lern- und Lehrumgebungen: Integration von Nachhaltigkeitsprinzipien in Bildungs- und Ausbildungskontexte
Übrigens soll das BNE-Konzept bis 2019 umgesetzt sein. Es gibt dazu auch eine Meilensteinplanung und seit Juni einen Nationalen Aktionsplan. Im Vorwort dieses Aktionsplanes für Deutschland schreibt Frau Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung:
„Wir brauchen kreative Ideen, Visionen und Gestaltungsmut für eine nachhaltige Entwicklung.“
Weil es visionäre, mutige Menschen gibt, stehen wir, wie ich auch schon eingangs erwähnt habe, glücklicher Weise nicht mehr beim Punkt Null. Hervorheben möchte ich die Initiative „Schule im Aufbruch“. Diese hat es beispielsweise schon geschafft, für fast 100 Schulen in Deutschland und Österreich eben genau diese Transformation zu einem solchen Bildungssystem anzustoßen bzw. bereits zu vollenden. Ein herausragendes Beispiel bildet die Evangelische Schule Berlin Zentrum, deren ehemalige Leiterin, Magret Rasfeld, heute der führende Kopf von „Schule im Aufbruch“ ist. Vier Schülerinnen dieser Schule haben ein begeisterndes Buch über „Lernen wie es uns gefällt“ geschrieben.
Wieso kennen selbst die meisten Schulleiter das BNE-Konzept nicht? Ein Schulleiter sagte mir nach der Diskussion über „Schule im Aufbruch“, die Global Goals und die gesellschaftliche Notwendigkeit der Transformation des Bildungssystems, dass er für die Initiative „Schule im Aufbruch“ keine Zeit hat – er hat schon viele Moden von Lernmethoden kommen und wieder verschwinden sehen und müsse sich nun mit dem Thema Autismus befassen.
Den Schluss meiner Darlegungen möchte ich nun mit ein paar Gedanken zum Thema „Mut“ einleiten. Auf der diesjährigen Utopianale mit dem Thema „Was wir lernen wollen“ am 11./12. November 2017 in Hannover tauschten wir uns in Dreiergruppen darüber aus, wann und wie wir in unserem Leben schon mal Mut bewiesen hatten und was es so mit dem Mut auf sich hat. Dabei definierte ich für mich Mut als Moment des Verlassen einer Komfortzone, Mut, weil man ein Ziel erreichen will, Mut als „ausgeklinkte Sehnsuchtsfeder“.
Liebe KultusministerInnen, StaatssekretärInnen und DezernentInnen, liebe Lehramt-ProfessorInnen und StudentInnen, liebe SchuleiterInnen und LehrerInnen, was macht die Arretierung Ihrer „Sehnsuchtsfeder“ … haben diese Zeilen sie etwas gelockert? Die UNO, die UNESCO und die Bundesregierung mit dem Nationalen Aktionsplan haben Ziele gesetzt und Wege aufgezeigt. Liebe Eltern, liebe SchülerInnen, es geht um Eure Zukunft bzw. die Eurer Kinder – steht auf und fordert Veränderungen ein. Bildet lokale oder regionale Aktionsgemeinschaften im Zeichen von „Schule im Aufbruch“, so wie z.B. die Bürgerinitiative OSIA – Osnabrücker Schulen im Aufbruch.
Ein Vater, Geschäftsführer und Bürger
Quelle: NachDenkSeiten