Die neuen Herren der Weltwirtschaft

Viele von Ihnen werden sicher wissen, wer oder was JPMorgan Chase, BlackRock, die Credit Suisse oder die UBS sind. Aber nur die Allerwenigsten werden mit Namen wie State Street, Vanguard, Capital Group, Harris Associates, Natixis, Wellington, Fidelity, Dodge&Cox oder Amundi etwas anfangen können. Dabei sind diese Unternehmen, deren Geschäft man früher wohl etwas verklärend als „Vermögensverwaltung“ umschrieben hätte, die neuen Herren der Weltwirtschaft. Es gibt kaum große Aktiengesellschaften in den westlichen Ländern, bei denen keines dieser Unternehmen größter Einzelaktionär ist. Und in der Summe beherrschen diese „institutionellen Investoren“ Wall Street, City of London und den Frankfurter Finanzdistrikt. Doch seltsamerweise sind uns nicht nur die Namen der neuen Herren unbekannt, auch ihr Treiben findet abseits der Öffentlichkeit statt, da die großen Medien einen großen Bogen um dieses Thema machen und die Politik sich ebenfalls versteckt. Kein Wunder, wirft der Siegeszug der neuen Herren doch Fragen auf, wohin unser neoliberales System uns noch führen soll.

Von Jens Berger

.

Vermögen und Besitz bedeuten immer auch Macht. Besonders klar wird dieser Zusammenhang, wenn es um die Besitzverhältnisse von großen Unternehmen geht. Früher waren die operative Geschäftsführung und die Besitzverhältnisse meist in ein und derselben Hand. Doch die Krupps, die Brunels oder die Carnegies gibt es in dieser Form nicht mehr. Mit SAP gibt es nur ein einziges Unternehmen im Dax, bei dem die Unternehmensgründer überhaupt noch etwas zu sagen haben und selbst die Erben samt ihrer Clans haben nur noch in wenigen großen Unternehmen wie BMW, Beiersdorf oder Henkel das Sagen. Bei den meisten großen Aktiengesellschaften haben sogenannte institutionelle Investoren das Sagen und dabei handelt es sich in fast allen Fällen um große Finanzunternehmen, die in der Regel das Vermögen von Kunden verwalten und selbst über keine nennenswerten Vermögen verfügen. Selbst „Gründerunternehmen“ wie z.B. Facebook wandern meist spätestens dann in den Besitz der Finanzunternehmen, wenn sie an die Börse gehen. So besitzt Mark Zuckerberg auch „nur“ 28% an Facebook, während der Rest fast ausschließlich im Besitz von Finanzunternehmen ist – Vanguard, BlackRock, Fidelity und State Street besitzen zusammen mehr Anteile an Facebook als der Unternehmensgründer.

Es kommt aber nur selten vor, dass eine dieser Vermögensverwaltungen, die sich selbst lieber Investment Management oder Asset Management Firmen nennen, mehr als 10% an einem einzigen Unternehmen hält. Aber das spielt keine große Rolle, da diese Firmen in der Summe dieselben Strategien verfolgen und gemeinsam als Besitzer der Unternehmen der operativen Geschäftsführung Anweisungen erteilen. Bei 25 der 30 Dax-Unternehmen halten diese institutionellen Investoren mehr als 50% der Anteile und bestimmen direkt die Unternehmenspolitik. Und dies trifft ungefähr im gleichen Verhältnis auf amerikanische, britische, französische und nahezu alle Aktiengesellschaften der westlichen Welt zu. Die einzigen nennenswerten Ausnahmen bilden Russland und China, die beide einen protektionistischen Schutzschirm über ihre Wirtschaft aufgespannt haben.

Was bedeutet diese Macht konkret? Zu allererst schränkt sie den Handlungsrahmen des angestellten Managements massiv ein. Der Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser ist bei der Siemens AG zwar ein wichtiger Mann – er ist und bleibt aber auch nur ein kaufmännischer Angestellter, der vom Aufsichtsrat des Unternehmens bestellt wird , der wiederum auf der Hauptversammlung von den Aktionären berufen wird. Würde ein Joe Kaeser nun den Interessen der Großaktionäre zuwider handeln, wäre er die längste Zeit seines Lebens Vorstand eines großen Unternehmens gewesen. Gleiches gilt für sämtliche Vorstände der großen Unternehmen. Die teils fürstliche Bezahlung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir hier von Angestellten sprechen, deren Handlungsspielraum vorgegeben ist – und zwar von den Besitzern der Unternehmen und dies sind eben meist genau diese institutionellen Investoren, von denen hier die Rede ist.

Lesen Sie dazu bitte auch: Shareholder Value wird von einer noch schlimmeren Macht überlagert: dem speziellen Einfluss einiger großer Fonds mit kleinen Aktienpaketen

Die Bedeutung der Verschiebung der Besitzverhältnisse hin zu einigen wenigen, meist in den USA ansässigen Vermögensverwaltungsfirmen ist in Gänze anscheinend noch nicht bis zur Öffentlichkeit durchgedrungen. Um dies zu verdeutlichen, fangen wir mit einem Gegenbeispiel an. Der Henkel-Konzern ist zu 61% im Besitz der Erbendynastie des Unternehmensgründers Fritz Henkel. Für die Familie nimmt Henkels Ur-Ur-Enkelin Simone Bagel-Trah die Funktion des Aufsichtsratsvorsitz wahr. Nomineller Chef des Unternehmens ist jedoch der Manager Hans Van Bylen, der die Henkel AG als Vorstandsvorsitzender führt. Van Bylen ist jedoch „nur“ Angestellter, der seine Unternehmenspolitik mit Frau Bagel-Trah abstimmen muss. Diese traditionelle Struktur gestattet einen großen unternehmerischen Spielraum. Henkel müsste beispielsweise kein Werk in Deutschland schließen, nur weil die Energie- oder Lohnkosten oder auch die Umweltrichtlinien in einem anderen Land günstiger für das Unternehmen sind. Wenn Frau Bagel-Trah im Namen des Clans sagt, wir wollen die Werke – aus welchem Grund auch immer – erhalten, so ist Herr Van Bylen an diese Weisung gebunden.

Ganz anders sieht es bei einem Konzern aus, der im Besitz der Vermögensverwaltungsfirmen ist. Nehmen wir die Bayer AG als Beispiel. Ob die Übernahme des Glyphosat-Herstellers Monsanto eine so kluge unternehmensstrategische Frage ist, hat Vorstand Werner Baumann nicht zu entscheiden, auch wenn es die Finanzpresse meist so darstellt. Baumann ist Angestellter. Der Bayer-Konzern gehört heute zu 93% institutionellen Investoren. Größter Einzelaktionär ist BlackRock mit 7,12%, dahinter kommen die Capital Group, die zwei Schweizer Vermögensverwalter UBS und Credit Suisse, die Société Générale aus Frankreich und Morgan Stanley aus den USA. Diese Firmen haben Werner Wenning zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Bayer AG bestimmt, wo er auf ihre Anweisung hin die Leitplanken für die Unternehmenspolitik setzt. Ob die Bayer AG für stolze 66 Milliarden Euro Monsanto übernimmt, entscheiden aber nicht der Vorstand Baumann und auch nicht der Aufsichtsrat Wenning, sondern die großen Anteilseigner; allen voran BlackRock, die im konkreten Fall besonderes Interesse haben, da sie mit 5,6% auch größter Einzelaktionär von Monsanto sind.

Mit Demokratie, Shareholder oder auch Stakeholder Value hat dieser Prozess nichts zu tun. Vor allem wir, als Öffentlichkeit, sollten lieber gar nicht erst so tun, als hätten wir da ein Mitspracherecht. Das haben wir nämlich nicht und ob wir nun Finanzfirmen wie BlackRock, Vanguard oder State Street gut oder schlecht finden oder ob wir ihnen vertrauen oder misstrauen, spielt für diese Unternehmen überhaupt keine Rolle. Es ist noch nicht einmal bekannt, nach welchen Kriterien BlackRock und Co. Entscheidungen treffen. BlackRocks Strategien werden beispielsweise nicht von grauhaarigen Herren in gemütlichen Clubsesseln bei einer Zigarre und einem guten Glas Single Malt getroffen, sondern von einem Computer namens Aladdin. Wobei der Begriff Computer hier doch sehr verniedlichend ist; Aladdin ist ein Cluster aus 6.000 Hochleistungsrechnern, der als größte „Risikobewertungsmaschine“ der Welt gilt und die Anlagen von 30.000 Portfolios, darunter 170 Pensionsfonds, mit einem Gesamtvolumen von 15 Billionen Euro verwaltet – das sind 10% der weltweiten Vermögenswerte. Oder um es anders zu sagen: Aladdin ist der Superlativ im Finanzwesen schlechthin.

Wer füttert Aladdin, wer programmiert die Algorithmen, die die Welt beherrschen? Nicht nur die besten Informatiker, Mathematiker oder Ingenieure, sondern auch und vor allem die besten Biologen, Chemiker und sogar die besten Mediziner, die jedes Jahr eine der weltberühmten Ivy-League-Universitäten verlassen, bekommen heutzutage erst mal fürstlich dotierte Angebote aus der Finanzbranche, um die Algorithmen zu perfektionieren. Wer bei BlackRock und Co. an Cowboys mit breiten Hosenträgern á la Gordon Gekko (gespielt von Michael Douglas in Wall Street) denkt, ist schief gewickelt. Die fleißigen und genialen Bienen im globalen Finanzsystem tragen Flip Flops und Shorts und haben mit BWL oder Jura so viel zu tun wie BlackRock mit der Heilsarmee. Gesellschaftlich liegt das Problem der Algorithmen vor allem darin begründet, dass sie komplett intransparent sind und selbst die Politik nicht einmal ahnt, wie die Herren der Weltwirtschaft auf Regulierungen oder Gesetze reagieren werden. Klar ist, dass mittel- bis langfristig die Rendite das oberste Ziel der Algorithmen ist; aber wie Aladdin dies erreichen will, steht für uns Normalsterbliche in den Sternen.

Ein Alfred Krupp hatte noch Kontakt zu seinen Arbeitern. Ein Hugo Stinnes hatte seinen eigenen Masterplan, um sein Stahlimperium aufzubauen. Und selbst die zeitgenössischen Clans der Schaefflers, Porsches, Piechs oder Quandts und Klattens haben wenigstens ein Gesicht und eine Telefonnummer, unter der man sie erreichen kann. Vor allem im Mittelstand sind sehr viele Unternehmerfamilien ohnehin eher an einer langfristigen Entwicklung interessiert, die sich in einem positiven gesellschaftlichen Rahmen abspielt. Die Rendite ist zwar auch wichtig, wird aber nicht als Zielwert definiert. Dass Aladdin weiß, was gut für die Gesellschaft ist und ob sein Algorithmus mit Parametern wie Glück, Umwelt, Freiheit, Gleichheit, Angst und Zukunft überhaupt etwas anfangen kann, darf getrost bezweifelt werden. Ohne pathetisch werden zu wollen: Dass die Macht über die großen Konzerne der Welt heute von intransparenten Vermögensverwaltungen ausgeübt wird, deren Schnittstelle zum Menschen aus noch intransparenteren Algorithmen besteht, ist zutiefst verunsichernd. Und wir reden hier ja nicht „nur“ über Klebstoff- und Chemikalienhersteller, sondern auch über Apple, Google, Microsoft, Facebook und Co, die allesamt in der Hand institutioneller Anleger sind. Alleine BlackRock ist bei Apple, Microsoft, Chevron, Shell, General Electrics, Nestlé und Exxon Mobil größter Aktionär.

Wenn Besitz gleich Macht ist; wem gehört eigentlich BlackRock? Wer sich diese Frage stellt, endet schnell in einem System der Überkreuzbeteiligungen und Querverbindungen, die einen schlicht in den Wahnsinn treiben. BlackRock gehört nahezu komplett … institutionellen Investoren, darunter an oberster Stelle PNC, Barclays, Wellington, Vanguard, State Street usw. usf. . Und wem gehören diese Unternehmen? Raten sie mal. Die Antwort überrascht jetzt nicht mehr: Die hier genannten institutionellen Investoren gehören allesamt institutionellen Investoren. Wir haben es mit einem selbsttragenden und selbsterhaltenden System zu tun, in dem die Verwalter des Vermögens dem Vermögen selbst gehören.

Und wer oder was ist dieses Vermögen? Ganz oben auf der Kundenliste von BlackRock stehen die Öl- und Devisenfonds von erdölproduzierenden Staaten und Staaten mit chronischen Devisenüberschüssen wie China. Gleich dahinter kommen die großen Pensionsfonds und Versicherer. Alleine die 300 größten Pensionsfonds der Welt verwalten rund 13 Billionen Euro – Geld, das sie ihrerseits Vermögensverwaltern wie BlackRock, Vanguard oder State Street anvertrauen und dabei die Macht, die mit dem Vermögen verbunden ist, an die Vermögensverwalter übertragen.

Jährlich fließen weitere 3,6 Billionen Euro als Beiträge in Sach- und Lebensversicherungen. Lebensversicherungen und auch private Krankenversicherungen sowie fast alle Altersvorsorgeprodukte funktionieren nach dem Prinzip, dass die Beiträge auf den Kapitalmärkten angelegt werden und später die verzinste Rendite die Leistungen erbringt. Abgesehen davon, dass dies langfristig nicht funktionieren kann, hat diese Privatisierung der Daseinsvorsorge natürlich dazu geführt, dass die Summe der verwalteten Vermögen immer weiter stieg. Ein Produkt dieser Entwicklung ist BlackRock. Natürlich können Sie auch als Privatkunde ein Teil des BlackRock-Reichs werden. Jedoch sollten sie schon schlappe 50 Millionen Euro mitbringen – das ist die Mindestanlagesumme bei BlackRock.

Wurden wir früher und werden wir auch heute noch von Tycoon, Oligarchen und Magnaten regiert, die aufgrund ihres Vermögens über Macht verfügten, so droht uns schon bald die Macht der Algorithmen, die sich auf Unsummen von „Vermögen“ gründet, das vornehmlich aus der Privatisierung der Daseinsvorsorge und staatlichen Reserven stammt. Dann werden „die Märkte“ als Sammelbegriff für die Interessen des Großkapitals Realität; dann gibt es keinen Ansprechpartner mehr, an den man sich in Sachen Mitarbeiterinteressen, Umweltschutz oder gesellschaftlicher Verantwortung wenden kann. Denn Computer-Cluster á la Aladdin sprechen weder mit Hans Mustermann noch mit Angela Merkel. Und dieser Dystopie kommen wir von Tag zu Tag näher und merken es noch nicht einmal, da dieses Thema interessanterweise im gesellschaftlichen Diskurs keine Rolle spielt. Dabei gäbe es sehr wohl politische Maßnahmen, um die Entwicklung zu entschärfen. Probleme können aber nur bekämpft und schlussendlich vielleicht gelöst werden, wenn man sie kennt.

Quelle: Jens Berger / NachDenkSeiten

0
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
0 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Noch keine Kommentare

Mehr von Samoht53