Vergangenes Jahr im Oktober hat sich Udo Reiter, der ehemalige Intendant des MDR, das Leben genommen. Daraufhin hat ihn die deutsche "Bild-Zeitung" aufs Cover geknallt. In einer zugehörigen Kolumne stand, er habe sich selbst aus dem Rollstuhl befreit, und jetzt habe er Flügel und könne fliegen. Der Tenor: Er hätte sein Ende selbst in die Hand genommen, so wie das richtige Männer eben machen. Das ist nicht nur ungeschickt. Es ist auch gefährlich.
Heute wurde bekannt, dass sich der ehemalige "ZDF"-Wettermoderator Ben Vogel getötet hat. "Bild.de" ist mit Details schon ganz vorne dabei.
Dabei ist es so: Die Art wie über Suizid berichtet wird, kann darüber entscheiden, ob die Suizidrate steigt oder sinkt. Anfang der 1980er-Jahre, als in Wien die U-Bahn ausgebaut wurde, stiegen die Suizide stark an, und die Berichte darüber führten zu einem weiteren Anstieg – Werther-Effekt. Daraufhin arbeiteten Ärzte und Therapeuten einen Medienleitfaden aus. Sie beriefen eine Pressekonferenz ein, wo sie Tipps über den richtigen medialen Umgang von Suiziden gaben. Die sensibilisierte Berichterstattung zeigte Wirkung, die Suizide gingen rapide zurück – Papageno-Effekt.
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Schwer zu glauben? Nach dem Tod des deutschen Torwarts Robert Enke gab es in der Berichterstattung kein Halten, jede suizidpräventive Empfehlung wurde ignoriert. In Folge starben viermal so viele Menschen wie zuvor auf dieselbe Art wie Enke.
Wie wird falsch berichtet? Unreflektierte Details über Suizidart, Suizidort oder "Gründe" oder ein Heroisieren verstärken den Imitationseffekt. Es ist falsch, möglichst emotional zu schreiben und nicht auf die Sprache zu achten. Oft wird die Meldung nicht eingeordnet – dann gibt es nur die bloße Geschichte, möglichst viele Details und damit wird der Leser alleine gelassen. Keine Hilfsangebote, keine anderen Auswege. Für Menschen, die verzweifelt und einsam sind – und die gibt es – kann das manchmal Grund genug sein, darüber nachzudenken, sich zu töten.
Dazu kommt die Relevanz: Ist jeder Suizid einer, über den berichtet werden muss? Nein. Man sollte vorher überlegen – und zwar noch mehr als bei jeder anderen Geschichte – warum will ich meinen Lesern/Hörern/Sehern das erzählen?
Denn nicht selten ist der einzige Grund dafür ein Steigern der Auflage. Und damit das besonders gut klappt, wird es auch gerne besonders falsch gemacht: Der Tote kommt aufs Cover, sein Suizid wird in alle möglichen Zusammenhänge gestellt, die meist an den Haaren herbeigezogen werden, Gerüchte werden gestreut, der Suizid wird als einziger Ausweg dargestellt. Denn Suizid verkauft sich, und das liegt daran, dass er erschreckt und fasziniert zugleich.
Was kann also getan werden? Wenn sensibilisiert über Suizid berichtet wird, etwa über Erfahrungsberichte von Menschen, die gerne sterben wollten und das überwunden haben, wenn Hilfsangebote aufgezeigt werden, kann das jemanden davon abhalten, sich zu töten.
Es geht also nicht darum, nicht über Suizide zu berichten. Ich will mich da gar nicht ausnehmen, ich habe selbst ein Buch über den Suizid meines Vaters geschrieben. Es geht darum, wie darüber berichtet wird. Ich habe viel mit Ärzten und Therapeuten geredet. Wer spürt, welchen Schmerz der Suizid eines geliebten Menschen hinterlässt, wird sich eher Hilfe holen als sich selbst zu töten.
Hier sind Journalisten in der Pflicht. Natürlich lastet auf ihnen ein enormer Zeitdruck. Dazu kommen die Wünsche der Chefs, nicht anderen Medien an Informationen hinterherzuhinken: "Warum haben wir das nicht und die schon?". Oft gibt es auch eine Unsicherheit das Thema und den Umgang damit betreffend. Doch jeder Fehler in der Berichterstattung, jedes hastige Hinschreiben, jedes Detail, das ausgegraben und wie eine Trophäe auf der Titelseite präsentiert wird, kann einen Menschen das Leben kosten. Damit das nicht so ist, würde vielleicht manchmal schon ein kurzes Innehalten und Neu-Bewerten reichen.
Ich würde mir wünschen, dass es im deutschsprachigen Raum eine konsequente und durchdachte Auseinandersetzung mit dem Thema Suizid gibt. Weil das Leben retten kann. Und auch gar nicht so schwierig wäre.