Warum ich soviel über Suizid rede

Der Tod ist gerade ziemlich präsent in meinem Leben. Das ist deswegen interessant, weil es diesmal ausnahmsweise freiwillig so ist. 2004 ist mein Bruder gestorben, 2008 hat mein Vater sich erschossen. Viele Jahre war ich gezwungen, mich mit dem Thema Suizid und Tod auseinanderzusetzen. Ich bin Journalistin und ich glaube, dass ich die Dinge verstehe, wenn ich sie mir erklären kann. Also habe ich versucht, mir zu erklären, warum Menschen sich töten. Warum mein Vater sich getötet hat. Das Versachlichen hat mir dabei geholfen, mit meinem Schmerz umzugehen. Nun habe ich diese Zeit der Suche, der Recherche, des Reflektierens und der Trauer in einem Buch niedergeschrieben. Es ist vergangenen Herbst erschienen und seitdem rede ich wieder viel über den Tod. Und diesmal weitaus öffentlicher als in den vergangenen Jahren.

Das kann manchmal ganz schön merkwürdig sein. Letzten Mittwoch etwa. Da saß ich in einem ZDF-Fernsehstudio, mir gegenüber Markus Lanz und Sonja Kirchberger. Sie erzählte etwas über ihre Playboy-Aufnahmen und ja, da dachte ich mir, was tue ich denn hier eigentlich? Oder: Wieso tue ich das denn?

Also: Wieso tue ich das denn? Es heißt, jeder Suizidtote hinterlässt drei bis fünf enge Angehörige. Das sind sehr viele, wenn man bedenkt, dass sich in Österreich jedes Jahr knapp tausend Menschen töten, in Deutschland knapp 10.000. Oder anders gesagt: Weltweit tötet sich alle 40 Sekunden ein Mensch. Deren Hinterbliebenen haben keine Stimme. Sie fehlt, weil Suizid immer noch ein Tabuthema ist. Viele Angehörigen trauen sich nicht über ihren Schmerz und Verlust zu reden, weil sie sich schämen, weil sie sich schuldig fühlen und weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Viele Freunde wissen nicht, wie sie ihnen gegenüber das Thema ansprechen sollen. Es gibt eine große Unsicherheit und Fassungslosigkeit. Die schadet nicht zuletzt jenen, die selbst daran denken, sich zu töten. Weil sie nicht wissen, an wen sie sich wenden können und wie sie um Hilfe bitten sollen. Ich glaube, einen geliebten Menschen durch Suizid zu verlieren ist eines der schrecklichsten Dinge, die passieren können. Ich will zeigen, dass man darüber reden kann und auch ein Recht darauf hat. Und dass diese Menschen nicht alleine sind. Wie das ist, dieses sich einsam fühlen, das kenne ich.

Was mir Kraft gibt, sind die vielen Reaktionen. Ich bekomme Nachrichten von Menschen, die schreiben sie seien selbst suizidal und sie würden sich nun Hilfe holen, nachdem sie schwarz auf weiß gelesen haben, welchen Schmerz ihr Tod über ihre Familie bringen würde. Ich bekomme Nachrichten von Menschen, die schreiben, sie hätten vor Jahrzehnten jemanden verloren und sie tun sich heute noch schwer darüber zu sprechen oder sie haben sogar noch nie darüber gesprochen. Das Buch hilft ihnen nun dabei, Worte zu finden. Ich bekomme Nachrichten von Menschen, die schreiben, ihre beste Freundin hat jemanden verloren und es sei so schwer nachzuvollziehen, was jetzt in ihr vorgeht. Nun können sie sich das besser vorstellen und besser helfen.

Das ist es doch wert, darüber zu reden, oder? Ich finde schon. Und dennoch wird es mir manchmal zu viel. Ich stehe eigentlich nicht gerne im Mittelpunkt. Das Buch zu schreiben war fast meditative Arbeit – alleine für mich und bei mir zu Hause. Und da wurde ich nun rauskatapultiert, in ein ausgeleuchtetes Fernsehstudio mit Kameras um mich herum und Publikum neben mir und Prominenten an meiner Seite, die professionell einen weiteren PR-Termin abwickeln. Ich fühle mich fast fehl am Platz und meistens auch sehr unvollkommen. Dabei begegnen mir alle freundlich und respektvoll. Lanz etwa hatte das Buch genau gelesen, er hat sich vor und nach der Sendung lange mit mir darüber unterhalten. Und es ist  schon einmal toll, dass ich überhaupt eingeladen werde. Viele Medien wissen nicht genau, wie sie mit dem Thema Suizid umgehen sollen und aus einer Unsicherheit heraus, machen sie lieber gar nichts dazu. Dabei ist das so wichtig, weil die Art und Weise wie über Suizid berichtet wird, darüber entscheiden kann, ob die Suizidrate steigt oder sinkt.

Aber ich könnte das auch nicht machen, wenn ich nicht meine innere Ruhe wiedergefunden hätte, wenn ich meinem Vater nicht verziehen und nicht selbst wieder ein ausgesprochen glücklicher Mensch geworden wäre. Vor einigen Tagen habe ich eine Nachricht von einer 14-Jährigen bekommen. Sie hat mir geschrieben, dass sie den Wunsch hatte, sich zu töten. Nachdem sie mein Buch gelesen hat, sprach sie darüber mit ihren Eltern. Das Buch habe sie gerettet, schreibt sie. Das ist so schön, mehr gibt es da gar nicht zu sagen. Außer: Sollte Lanz mich also wieder einladen - klar, ich bin gerne dabei.

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Herbert Erregger

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