Ein Selbstversuch. Die großen Plakate flattern im Wind, strahlen in der Sonne und trotzen dem Regen. In großen Buchstaben steht darauf: Blut geben rettet Leben. Ein Datum und ein Ort ergänzen den Aufruf des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Klar, verstehe ich. Doch warum gebe ich mein Blut nicht, um Leben zu retten?

Gut, ich sehe Ärzte am liebsten in TV-Serien und kann Spritzen leiden wie Zahnschmerzen, doch so wirklich sind das keine Gründe. Natürlich erinnere ich mich noch gut an die Blutspendeskandale, verunreinigte Blutkonserven und auch der Hinweis eines Freundes, dass “die sowieso nur Geld mit dem Blut machen” lässt mich etwas zweifeln. Bei allen Kritikpunkten darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass eine Blutspende hilft, egal ob als Transfusion oder als Blutplasma. Dabei ist es egal, ob in der Wertschöpfungskette auch eine kaufmännische Überlegung bei den Beteiligten eine Rolle spielt. Irgendwo liegt ein Mensch, der dieses Blut dringend benötigt, das ist ein Fakt. Alle anderen Faktoren blende ich noch aus. Der humanitäre Gedanke überwiegt, die Neugierde berufsbedingt auch.

Ich mache mich so gestärkt auf den Weg in die Schule nach Weil im Schönbuch. Dort führt das DRK die Blutspendeaktion. Nach der Registrierung als Erstspender und der Erfassung meiner Adressdaten untersucht mich eine Ärztin des DRK. Anhand eines Fragebogens gebe ich Auskunft zu eventuellen Aufenthalten in Großbritannien oder Nordirland. Die BSE-Krise ist hier immer noch aktuell. Zudem möchte die Medizinerin wissen, ob ich Medikamenten-, Alkohol- oder Drogenabhängig bin. Die insgesamt 23 Fragen sind schnell beantwortet, auch die unangenehmen. Blutdruck und Temperatur in Ordnung. Allerdings habe ich nach Einschätzung der Ärztin an diesem Tag zu wenig getrunken, sie schickt mich zusammen mit einem halben Liter Wasser in den Ruhebereich. Bis jetzt fühle ich mich optimal behandelt und betreut. Meine Abneigung gegen Ärzte, Spritzen und andere Weißkittel konnte sich bis dato nicht entfalten. Die vielen neuen Eindrücke haben überwogen, allerdings bin ich noch nicht bei der eigentliche Blutspende gewesen, auch hier hat die Bürokratie ihre Hürden gesetzt.

Den ersten Pieks erhalte ich von einer routiniert dreinblickenden Dame, ihr Namensschild weist sie als Blutentnahmehelferin aus. Sie misst den Hämoglobinwert mit einem kleinen Plastikgerät. Den Einstich spüre ich kaum, ist es die Aufregung, die keine Schmerzen zulässt? Danach geht es Schlag auf Schlag, ich darf Platz nehmen auf einer der knapp zehn Liegen. Auch hier empfängt mich eine Dame in weiß. Nachdem sie an meinem rechten Arm leider nicht die passende Vene zur Entnahme gefunden hat, wechseln wir die Seite. Mein Einwand, dass bisher alle meine Blutentnahmen ohne Schwierigkeiten über die Bühne gingen und schon immer die passende Vene gefunden wurde kontert sie lächelnd. “Wir haben dickere Spritzen als die Kanülen, welche ihr Arzt verwendet, daher müssen wir nach der richtigen Vene schauen”. Ob das in meinem Gemütszustand die richtige Antwort war? Jedenfalls lässt die Aussage das Blut in meinen Adern gefrieren. Auch nicht gut. Doch bevor ich so richtig über das Für und Wider nachdenken kann, steckt die dickere Nadel in meinem linken Arm, war das alles nur eine Ablenkungstaktik? Egal, ich habe nichts vom Einstich gespürt und genieße ab diesem Moment die volle Aufmerksamkeit der DRK-Helferin. Mit prüfenden Blick scheint sie meine Gedanken lesen zu können: “Geht es ihnen gut? Wie fühlen sie sich?” Bevor sie sich dem nächsten Spenderkollegen auf meiner linken Seite zuwendet, weist sie mir noch eine Betreuungsperson zu. Die junge Dame spricht mit mir die ganze Zeit und beobachtet mich dabei. Das muss wohl so sein, denke ich. Nach einer Weile macht auch sie einen entspannten Eindruck, meine gesunde Gesichtsfarbe lässt das zu, denke ich bei mir. In knapp fünf Minuten fließen 500 Milliliter meines Blutes in einen speziellen Beutel, den Fortschritt kann ich gut an einer digitalen Anzeige ablesen. Das erste Mal habe ich kurz das Gefühl, etwas Richtiges getan zu haben, zumal ich von meiner jungen Gesprächspartnerin höre, dass sie bei einer schweren Operation viele Blutkonserven benötigt hat.

Durch einen weiteren Helfer werde ich nach der Blutentnahme in den nächsten Ruheraum gebracht. Kaum erwähnenswert ist der Umstand, dass auch das Herausziehen der Nadel keine Schmerzen verursacht hat. Mit meinem Pflaster und einem kleinen Druckverband mache ich mich also auf in die Horizontale. Als Erstspender muss man nach der Blutentnahme zwanzig Minuten ruhen. Da versteht der Herr über die Stoppuhren im Ruheraum keinen Spaß. Recht hat er. Leider kann ich mich nicht den vielen Zeitungen und Magazinen widmen, die dort ausliegen. Das ist wirklich eine Strafe für mich! Ich packe nach dem penibel eingehaltenen Zeitfenster meine Sachen und erinnere mich sofort an den Hinweis eines Bekannten. “Es gibt immer etwas Leckeres zu essen”. Er sollte recht behalten, die Verpflegung ist wirklich lecker. Etwas schwummrig setze ich mich an den Tisch und trinke erst einmal etwas. Richtig Appetit habe ich zwar noch nicht, dennoch bediene ich mich am reichhaltig gedeckten Tisch. Ich betrachte kurz meinen Druckverband am linken Arm und sehe mich bestätigt. Alles richtig gemacht, und eine gute Geschichte habe ich ebenfalls für eine Veröffentlichung.

Am Abend fühle ich mich etwas müde, am darauffolgenden Tag schmerzt die Einstichstelle etwas. Beides ist aber zu vernachlässigen, das gute Gefühl überwiegt. Zu Hause und bei meinen Freunden bin ich der Held, schließlich ist “der halbe Liter Blut eine ganze Menge”. Doch als Held fühle ich mich nicht. Ich denke an den Menschen, dem nun durch meine Blutspende geholfen werden kann. Warum eigentlich? Die Banner und Hinweisschilder der DRK-Blutspende begleiten mich ein ganzes Leben. Ich erinnere mich gut an die großen Schilder, die bereits in meiner Jugend auf die Blutspendeaktion hingewiesen haben. Dennoch kam es mir bisher nie in den Sinn, selbst dort einmal hinzugehen. Die Angst vor Spritzen kann und darf es nicht sein, wenn es darum geht, Menschen zu helfen. Auch der oftmals als Alibi benutzte volle Terminkalender ist es nicht. In meinem Fall fehlte bisher der persönliche Zugang zu diesem Thema. Da helfen auch keine Hinweisschilder oder Anzeigen in der Zeitung. Ich war bisher einfach nicht betroffen und auch niemand in der Familie hat eine Bluttransfusion benötigt. Mein bisher von Schicksalsschlägen befreites Leben habt mich davor geschützt anderen zu helfen. Aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis hat mich ebenfalls niemand dazu aufgefordert oder motiviert, einen kleinen Teil meines Blutes zu spenden. Was bleibt zurück? Ich fühlte mich die gesamten zwei Stunden während meiner Erstspende optimal betreut und aufgehoben. Notwendige, professionelle Strukturen wechselten sich ab mit der persönlichen Atmosphäre, geschaffen durch die Helfer des Ortsverbandes. Die körperlichen Beeinträchtigungen waren kaum vorhanden. Also steht für mich fest: Mein in Kürze erwarteter Blutspenderausweis kommt wieder zum Einsatz.

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