Oder: Wieso Antifa Blödsinn ist. Ein Appell an 'die Guten', die die Bösen wurden - 'die Guten', die sich vergessen haben.

Stets war ich der Meinung, sich von dem politischen Geschehen zu distanzieren, alle Meinungen objektiv zu observieren und möglichst sachlich zu analysieren, genüge meinem Engagement, doch an einem warmen sonnigen Theaterabend war's damit zu Ende. „Identitäre stürmen den Audimax“ – ich war dabei. Toll. Davon kann ich mir auch nichts kaufen, aber ich habe sehr viel daraus gelernt. Während des Stücks halte ich es noch für grandiose theatralische Leistung, erinnert an die Weiße Rose, wobei - irgendwie auch nicht.

Erst als mir bewusst wurde, was da wirklich passiert war, war es auch schon vorbei. Und erst an den folgenden Tagen wurde mir klar, dass es relativ irrelevant ist, weshalb die Identitären diese Aktion gestartet haben. Was zählt ist, was für Gedanken sie in mir geweckt haben. Diese Gedanken sind nicht gut. Wer wie die Identitären an diese Zeit erinnert, trägt ein Element dieser Zeit in sich, ohne Zweifel – dies muss nicht argumentiert werden.

Die kommenden Wochen sind von der Präsidentschaftswahl geprägt. Hofer steht im Zentrum, so viel Aufmerksamkeit blieb ihm davor lange verwehrt. Und 'die Linken' schreien auf. Und ich schreie mit. Emotionalisiert von meinem persönlichen Versagen an dem anfangs so schönen Theaterabend schreite ich ein – gegen Hofer, gegen die FPÖ.

Soviel zu Antifa.

Am Wahltag scheint noch alles hoffnungsvoll, für uns Linken, für mich neu gewonnenen Sozialisierten. Umso erschreckender das Ergebnis, das knallhart für so vieles steht. Für das Versagen der SPÖVP – bewusst zusammengeschrieben, auseinanderhalten kann sie ohnehin kaum ein normaler Mensch; für den linken Aktionismus, der von vielen als extrem und in die Enge treibend empfunden wird – aber auch für die ehrlich wirkende und direkte Art der Freiheitlichen.

Was von vielen ignoriert wird, ist, dass dieser Erfolg in Summe kein aktives Verhalten der FPÖ ist. Es ist eine Reaktion, welche von SozialdemokratInnen provoziert wird! Welches Programm vertritt die SPÖ? Sind die Grünen links? Würde man auf der Straße Leute fragen, so hieße die Antwort wohl, dass sie gegen die radikalen Rechten stehen. Gegen. Aber wofür?

Die Wahl, Teil eins, ist geschlagen. Die Demo vor den nächsten Termin angesagt. „Gegen Norbert Hofer und gegen die FPÖ“, ja. Toll. Ich bin dabei. Und wofür?

Was wollen die Linken?

Die Sozialdemokratie führt ein so wichtiges gesellschaftliches Modell in sich, dass offensichtlich keiner mehr weiß, worum es geht. Die SPÖ hat dieses Gesicht schon lange abgelegt, sie stagniert in ihrer Abwehrreaktion gegen die rechte erstarkende Opposition. Ihre aktionistischen Töchter versuchen sie durch Engagement und endlos erscheinende Energie wiederzuerwecken, doch begehen denselben Fehler. SozialdemokratInnen waren in der Geschichte durchgehend ein progressiver, wichtiger, revolutionärer Bestandteil unserer Heimat – Ja, Heimat, denn darum geht es. In dieser Geschichte waren sie jedoch meist vom Volk und immer vom politischem Programm getragen. Heute klammern sie sich an das Volk und haben es verloren. Ihre Jungen haben es sehr wohl noch niedergeschrieben, orientieren sich jedoch oft sehr am originalem Marxismus – vermutlich eben um die SPÖ wieder auf Schiene zu bringen. Es geht um einen Gegenpol, jenen Pol, den die Sozialdemokratie in ihrer Geschichte verloren hat. Ideologie ist nichts Schlechtes.

Wie soll ein politisches Programm, mit einzigem öffentlich-wirksamen Inhalt, das aus 'gegen-FPÖ-Bekundungen' besteht, Erfolg haben? Schon als kleines Kind lernte ich, Positionen niemals negiert zu verfassen. Ein 'Nein' führt nicht zum Ziel. Aber etwas Anderes bietet das gesamte linke Spektrum den verzweifelten Mitte- und Nichtwählern nicht. Wer soll ihnen somit verübeln, die einzig offene Partei zu wählen? Die einzigen, die für ein klares Programm stehen? Die einzigen, die anscheinend ehrlich sind? (Lugner außen vor.)

Ich kann es jenen nicht verübeln. Ich kenne genug, die es machen werden. Und das ist falsch. Aber das ist Sozialdemokratie von heute. Und weiterhin falsch.

Erkennt, dass nicht allein die SPÖ, nicht die ÖVP, nicht die Grünen schuld an dem Erfolg der FPÖ sind. Es sind alle zusammen, alle die kein eigenes Programm* mehr vertreten. Alle, die aufgegeben haben, für eine bessere Gesellschaft zu kämpfen – für eine, die ihren Idealen entspricht. Jene tragen Schuld, die nur mehr den Kampf 'gegen das Böse' im Sinn haben. Wir sind die Guten. Ja, genau...

Wir alle sind Schuld!

Hören wir auf, gegeneinander zu kämpfen. Die FPÖ trägt nicht den Löwenanteil der Schuld, möge ihr Programm noch so fraglich sein. Groß gemacht wurde sie durch uns. Wir sollten anfangen, den Fehler bei jedem einzelnen von uns zu finden und dabei unser Programm zu vertreten, nicht durch Populismus. Nein, wir sollten besser sein. - Aber es gäbe auch kein alternatives Programm, das anderweitig vertreten werden könnte. Wofür stehen Sozialdemokratie? Wofür?

Ich habe hier nicht den Anspruch diese Frage zu klären. Es hat sich zu unserem Nachteil nie eine 'Linke' in Österreich gebildet, die SPÖ hat jedoch auch jeden Anspruch aufgegeben, diese Lücke zu füllen. Ich appelliere an alle Vertreter einer sozialistischen Meinung aufzuhören, gegen die so 'radikalen Rechten' aufzutreten. Ich appelliere an alle Vertreter einer sozialistischen Richtung für ihr Programm zu stehen. Und nein, Revolution ist kein Programm, so schön ihr es auch finden mögt.

Die Wähler der FPÖ sind keine Ungebildeten, sie sind nicht die Elite, sie sind das Volk, sie sind wie wir! EinE SozialdemokratIn würde dies erkennen, einE SozialdemokratIn ist tolerant. EinE SozialdemokratIn ist demokratisch. Sozialistische, Konservative und Nationalisten haben sich ihren Platz in dieser Nation gesichert. Und wenn, dann durch diese Wahl. Alle gehören gehört! Wer kann sich anmaßen, einen auszuschließen? Tatsächlich machen dies am lautesten die Linken. Das ist keine Toleranz! Tatsächlich haben das viele sozialistische Strömungen vergessen, es wurde vergessen, dass Programm Inhalt sein sollte.

Ich glaube aus tiefster Überzeugung, die FPÖ hätte auch viele Stimmen, wenn alles anders liefe. Und das muss OK sein. Aber sie hätte viel weniger als heute – wenn die übrige Mehrheit beginnen würde, für ihr Programm zu kämpfen, als nur gegen die Minderheit. Denn wer diesen Satz neben der Arbeit, neben dem Studium liest und bei gesundem Verstand ist, muss die FPÖ wählen. Ich verstehe sie. Verstehen heißt nicht, für gut empfinden. EinE SozialdemokratIn müsste verstehen. Verstehen und agieren.

Reset und Aufbruch.

Und wer versteht, wird am 19. Mai nicht 'gegen Hofer und gegen die FPÖ', sondern

  • für Toleranz,
  • für Asyl und Menschenrechte,
  • für die erkämpfte Demokratie,
  • für unseren Rechtsstaat und sogar
  • für unsere Kultur und Heimat

und vieles mehr (seid etwas einfallsreicher als ich) auf die Straße gehen! Wir haben nichts zu verlieren, aber wir können noch viel mehr gewinnen. - Die Sozialdemokratie kann ihr Gesicht wiedergewinnen!

Es soll nicht der Tag werden, an dem die FPÖ geschlagen wurde, sondern der, an dem das ganze linke Spektrum wieder wählbar wurde!

__________

*Mir ist bewusst, dass unsere Parteien sehr wohl Programm führen. Es sollte jedoch auch bekannt sein, dass der/die DurchschnittsbürgerIn dieses vermutlich auch im Ansatz kaum kennt. Was er/sie kennt sind die Beschuldigungen. Diese müssen konstruktiver Politik weichen. Nehmen wir den ersten Schritt!

Shutterstock/Hadrian

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