Bodypositivity-klingt auf den ersten Blick gut. Aber - was ist das?
Ein neuer Trend, der (vor allem) wirkungsvoll durch die sozialen Medien geistert. Gegen Photoshop-Bilder, das unrealistische, perfekte Erscheinungsbild gerichtet, gegen das makellos durchtrainierte Ideal wetternd. (Vorwiegend) Frauen, die ihre - in ihren Augen- vermeintlichen Makel wie Cellulite, eine Speckfalte hier, ein Speckröllchen da, Narben, eine schiefe Nase oder was auch immer als nicht perfekt wahrgenommen wird, "feiern". Eine Flut von nicht bearbeiteten Bildern, sofort nach Knipsen online gestellt, ohne Filter, ohne Photoshop sondern direkt aus dem echten Leben gegriffen. Mit Hashtags wie #bodypositivity, #notperfect und dergleichen hochgeladen, schon ist die Zugehörigkeit zum neuen, hippen Trend öffentlich gemacht. Zugegeben - einer, der wirklich toll scheint, sinnvoll in einer unechten Welt wie unserer, erstrebenswert, um in solch einer möglichst gesund zu bleiben.
Uns wird gezeigt, dass wir unsere "Makel" lieben sollen. Dürfen. Müssen. Egal, was andere sagen. Wie sollen unsere subjektiv wahrgenommenen "Fehler" feiern. Klingt super - ist es wahrscheinlich auch. Realistisch? Ich zweifle. Aber Skeptikerin bin ich sowieso immer und überall und durch und durch. Von jeher. Aber vielleicht sind meine Zweifel ja nicht ganz unangebracht.
Bodypositivity - müssen wir jeden Zentimeter an uns lieben -jeden Tag, jede Stunde unseres Lebens, um uns wahrhaftig annehmen zu können? Muss ich meine Narben, meine Cellulite, meine Speckröllchen oder was auch immer es ist, das bis jetzt meine Missgunst erregt hat, lieben, ja - sogar medienwirksam vermarkten und die ganze Welt darauf hinweisen? Wäre es denn nicht auch schon ein riesiger Schritt, diese neutral ansehen zu können und zu tolerieren? Ihnen Daseinsberechtigung zu geben? Darf ich nicht auch mal frustriert vorm Spiegel stehen, nicht wissend, wie ich meine "nicht-Norm-konformen" Kurven kaschiere? Lange Ärmel tragen, um die Spuren, die die Vergangenheit in Form von Narben hinterlassen hat, zu verbergen? Darf ich nicht auch meinen nach dem Essen aufgeblähten Bauch unter weiten Shirts verstecken, anstatt ihn unter dem neu kreierten Namen "Food-Baby" zur Schau zu stellen? Ich sage ja. Ich behaupte sogar kühn - man darf seine Schwachstellen sogar hassen. Wenn man dann wieder aufhören kann damit, bevor man großen Schaden an sich und seiner Gesundheit anrichtet.
Bodypositivity - kenne ich das? Ja. Nein. Vielleicht. Ab und zu. Eher nicht. Manchmal.
Bodypositivity ist für mich kein Dauerzustand, den man nach einem bestimmten Muster erreichen kann und sich dann auf dem Erreichten ausruhen kann - ebenso wenig, wie Glück ein Zustand ist. Ja, ich erlebe - wie vermutlich und hoffentlich die meisten unter uns- auch Momente, in denen ich trotz aller Unzulänglichkeiten eins mit mir bin. Mich wohlfühle. Manchmal sogar offen zu den Makeln stehe, die ich meiner Meinung nach mit mir herumtrage. Ebenso wie genau jene Körperpartien mich einen Tag später zu purer Verzweiflung bringen können. Es gibt Tage, an denen ich meine "Sitzfalten", wie die auch bei Dünnen vorkommenden Speckfalten im Sitzen auf Plattformen wie Instagram und Co. Liebevoll genannt werden (#thingirlshaverollstoo) - akzeptieren kann. Ein paar Stunden danach hasse ich sie. Auch wenn ich sie tolerieren kann - habe ich bisher noch keinerlei Bedürfnis verspürt, diese der Welt zu präsentieren, und das vielleicht sogar noch mit Stolz. Diese Phasen der Toleranz können Minuten, Stunden oder Tage andauern. Und dennoch abwechseln mit Tagen der Ablehnung. Habe auf die harte Tour gelernt, diese Tage zu akzeptieren. Sie zu überstehen. Ein Mindestmaß an Selbstakzeptanz zu wahren. Zelebrieren? Daran brauchen wir in solch einem Zustand doch gar nicht zu denken - es geht doch meistens einfach darum, den Tag dennoch in neutraler Stimmung zu beenden und auf ein besseres Morgen zu hoffen.
Entwickeln wir einen neuen Trend, der mitunter gar nicht so echt ist, wie er zu scheinen vermag? Muss ich mich 24/7 wahnsinnig toll, liebenswert, attraktiv und begehrenswert fühlen, um sagen zu dürfen, ich mag mich? "Reicht" es denn nicht, zu versuchen, Frieden zu schließen und anzunehmen, dass es auch verdammt schlechte Tage geben kann? Nicht jeder Makel muss geliebt werden. Ihm Daseinsberechtigung einzuräumen kann manchmal schon ein Riesenschritt sein. Ich glaube - und damit bin ich bestimmt nicht allein- dass ich nie eine Party schmeißen werde für meine Cellulite, nie ein Feuerwerk der Freude für meine Oberschenkel zünden werde, um sie freudig an meinem Körper begrüßen zu dürfen. Ich versuche, sie zu ignorieren, tolerieren und im besten Falle, zu akzeptieren. Mir an manchen Tagen nicht den Spaß von ihnen verderben zu lassen und mich nicht in meiner Freiheit berauben zu lassen. Dennoch kurze Hosen zu tragen. Oder was auch immer Überwindung bedeutet im Dasein mit dem jeweiligen "Makel".
Ich glaube, man darf sich auch mal richtig schrecklich zu finden, ohne dafür verurteilt zu werden oder als unzufrieden abgestempelt zu werden von Vertretern eines neuen Kults. Klar beneide ich diese, besonders an schlechten Tagen. Frage mich jedoch auch, ob und in welchem Ausmaß abseits von sozialen Medien diese "Ich liebe alles an mir 24/7" - Darstellung real ist und auch so gelebt wird. Im Alltag, ohne Kamera.
Und ja - es kann manchmal ganz schön frustrierend sein, damit konfrontiert zu werden, während man selbst statt auf "Du und Du" mit seinen Oberschenkeln auf Kriegsfuß steht, und sich Gedanken macht, wie man diese am besten mit einem One Way Ticket zum Mond schießen könnte (ich habe noch keine erfolgsversprechende Lösung gefunden - Tipps werden dankend entgegengenommen, vielleicht habe ich einfach nicht ausführlich genug nach Informationen gesucht).
Bodypositivity - muss ich das erreichen?
Kreieren wir ein neues, oft unerreichbares Ziel, das uns dazu verleitet, unsere Schwachstellen in den Fokus rücken zu müssen, uns darüber zu definieren, um als zufriedener Mensch zu gelten? Muss ich stolz auf jeden Millimeter meines Körpers sein? Setzen wir uns damit nicht schon wieder ein neues Ideal, ein mitunter unerreichbares Ziel, dessen Nichterreichung die Spirale der Unzufriedenheit und der Frustation anfeuert?
Ich selbst bin ja ehrlich gesagt noch immer auf der Suche nach Fotos, die mehr zeigen als eine Mini-Narbe hier, einen Millimeter zu viele Kurven da und eine mit freiem Auge kaum übersehbar vermeintlich zu große Nase hier, während die perfekt geschminkten "nicht perfekten" Models in die Kamera lächeln. Böse Zungen, die behaupten, dass es hier einige Trittbrettfahrer gibt, die sich über Komplimente freuen, aber Trittbrettfahrer gibt es ja sowieso und überhaupt überall.
Bodypositivity - will ich das?
Klar klingt es toll. Aber für mich - und da bin ich bestimmt kein Einzelfall- lautet das Ziel vorrangig wahrscheinlich vorerst "Ich kann auch Tage überstehen, an denen meine subjektiv wahrgenommenen, oder auch objektiv verifizierten Schwachstellen mich nicht zu purer Verzweiflung bringen". Klar - das klingt nicht so hip, so trendy, so aufregend. Es wird auch bestimmt keinen Kult auslösen, dafür scheint es zu unspektakulär. Es klingt eben so… normal. Und wer will denn schon normal und durchschnittlich sein? Aber zugegeben - wieviele von uns leben diese "Normalität"?
Würde ich allerdings die Phasen des bereits erwähnten "mich nicht ausstehen- Könnens" nicht erleben, würde ich mich nicht daran erfreuen, das Gefühl des Eins-Seins erleben zu dürfen und Kraft daraus ziehen können.
Bodypositivity - kann ich das?
Es sei jedem gegönnt, so viel Vorweg. Die wenigen, die cs schaffen - Respekt. Ich bewundere euch. Für den Rest der Menschheit in einer Gesellschaft, die trotz allen Gegenbewegungen weiterhin an dem Einheitsmodel der Schönheit festhält, ist es vermutlich bereits ein Erfolg, einen Neutralitätspakt mit dem Gesamtpaket "Ich" zu schließen. Und wenn das erreicht ist, obliegt es jedem selbst, ob das im Stillen gefeiert, sich ab und zu darüber gefreut wird oder ob es in die weite Welt hinausposaunt wird - denn Stolz lebt jeder anders aus. Und egal, ob es in sozialen Medien gefeiert, im Alltag gezeigt oder sich im Stillen darüber gefreut wird - stolz können alle darauf sein.